Notfallsanitäter

Gefahr für die Notfallmedizin?

Das Notfallsanitätergesetz lässt bei Notärzten alle Alarmglocken läuten. Im Bundestag warnten Ärzte davor, die Mediziner durch den neuen Berufsstand ersetzen zu wollen. Nicht nur die Rettungsdienste halten diese Vorbehalte für stark übertrieben.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Immer ein Fall für den Doktor?

Immer ein Fall für den Doktor?

© Rüdiger Wölk / imago

BERLIN. Die Bundesärztekammer und Verbände der Notfallmediziner und Anästhesisten haben den Entwurf des Notfallsanitätergesetzes scharf angegriffen. Umstritten sind die Passagen, die den Notfallsanitätern "invasive Maßnahmen" und das "eigenständige Durchführen von heilkundlichen Maßnahmen" erlauben würden.

Unterschiedliche Meinungen gibt es auch zu den im Gesetzentwurf genannten Kosten von 42 Millionen Euro im Jahr für den neuen Beruf. Die geplante neue Berufsgruppe in den Rettungsfahrzeugen als Unterstützer für die Notärzte an und für sich stößt dagegen auf allgemeine Zustimmung.

In einer Expertenanhörung im Bundestag warnte Dr. Annette Güntert von der Bundesärztekammer vor zu hohen Erwartungen an das Gesetz.

Weder werde das neue Berufsbild die präklinische notfallmedizinische Versorgung der Patienten verbessern, noch ließe sich damit Geld sparen, wie es der Entwurfstext andeute.

Vielmehr drohe eine Verschlechterung der Notfallversorgung und der Patientensicherheit, da die geplante dreijährige Ausbildung für die Sanitäter nicht ausreiche, die Folgen ihres Handelns abzuschätzen und Komplikationen zu beherrschen.

Damit sei auch zweifelhaft, ob die aufgewertete Ausbildung tatsächlich Behandlungsfolgekosten einsparen helfe.

In dieses Horn stieß auch Frank Riebandt, der die Notärzte in Deutschland vertrat. Nicht einmal die Approbation biete ausreichende Sicherheit zur Versorgung von Notfallpatienten. Deshalb gebe es die Zusatzweiterbildung "Notfallmedizin".

Selbst Pflegepersonal benötige eine zweijährige Zusatzqualifikation, um auf Intensivstationen eingesetzt werden zu können. dennoch billige ihnen der Gesetzgeber derartig weitreichenden Kompetenzen wie den neuen Notfallsanitätern nicht zu, sagte Riebandt.

Weniger rigide äußerte sich Professor Bernd Böttiger für die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Bei den in Frage stehenden heilkundlichen und invasiven Tätigkeiten könne es sich ja nur um solche handeln, die der Sanitäter tatsächlich erlernt habe und beherrsche.

Wichtiger sei zu verhindern, dass mit dem Gesetz die "notarztfreie Notfallrettung" etabliert werde.

Deshalb sollten die Sanitäter lediglich bis zum Eintreffen des Notarztes Verantwortung tragen und nicht selbstständig den Transport ins Krankenhaus organisieren dürfen.

Weniger Absolventen erwartet

Die Gegenreden hielt Marco König vom Deutschen Berufsverband Rettungsdienst (DBRD) und der Einzelsachverständige Dr. Christopher Niehues. "Es geht nicht um Notfallnarkose, um Thoraxdrainage oder darum, Hälse aufzuschneiden, wenn von invasiven Maßnahmen die Rede ist", sagte König in der Anhörung.

Es gehe in erster Linie um Reanimation, die Linderung der Luftnot und die Gabe von Schmerzmitteln.

Schmerzmittel zu verabreichen, sei nach dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht erlaubt, ergänzte Niehues. Schon dies falle unter den Begriff invasiv. Selbst bei schweren Verbrennungen dürfe der Notfallsanitäter keine medikamentöse Schmerztherapie einleiten.

Dies erlaube das Gesetz nur dann, wenn eine konkrete Verschlechterung des Zustandes des Verletzten zu erwarten sei. Das sei aber trotz Schmerzen nicht immer unbedingt der Fall.

Niehues plädierte daher für mehr Kompetenzen für die Notfallsanitäter, um den Anspruch der Patienten auf optimale medizinische Versorgung befriedigen zu können.

Umstritten war in der Anhörung auch, ob der Gemeinsame Bundesausschuss beauftragt werden solle, eine Richtlinie zur Übertragung von Aufgaben auf die neue Berufsgruppe erarbeiten solle.

Während Niehues sich dafür aussprach, um bundesweit geltende Grundregeln zu erhalten, auf denen die regional unterschiedlichen Vorgaben der Ärztlichen Leiter von Rettungsdiensten aufsetzen könnten, sprach der Einzelsachverständige Dr. Hartwig Marung dem GBA die Kompetenz an dieser Stelle ab.

Auch die BÄK war dagegen, den GBA einzuschalten, und verwies auf die Empfehlungen der Kammer zu Delegation und Substitution ärtztlicher Leistungen.Ein uneinheitliches Bild ergab sich auch bei der Diskussion über die Finanzierung.

38 Millionen Euro mehr im Jahr soll laut Gesetzentwurf die gesetzliche Krankenversicherung für die Ausbildung der neuen Berufsgruppe aufbringen. Das stieß auf die "grundsätzliche Ablehnung" durch die Kassenseite.

Der Rettungsdienst sei eine öffentliche Aufgabe und müsse daher aus Steuermitteln getragen werden, sagte Robin Rüsenberg vom GKV-Spitzenverband. Zudem gehe die GKV von Mehrkosten bis zu 200 Millionen Euro im Jahr aus.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft schätzt die Belastungen nur für die Ausbildungskrankenhäuser auf 62 Millionen Euro im Jahr. Der Berufsverband Rettungsdienst geht dagegen von sinkenden Ausbildungszahlen und damit auch -kosten aus.

Derzeit würden etwa 4000 Rettungsassistenten im Jahr ausgebildet. Mit der Aufwertung des Berufes steige dessen Attraktivität, die derzeit noch hohe Fluktuation sinke. Die Zahl der Absolventen werde daher auf 2000 bis 2500 zurückgehen.

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