Arzneimittelpolitik
Gesundheitsministerium zur EU-Abwasserrichtlinie: „Kein Kommentar“
Das Bundesgesundheitsministerium hat drohende Arzneimittel-Ausfälle infolge der neuen EU-Abwasserrichtlinie auf dem Schirm. Zuständig für deren Umsetzung sei aber das Umweltministerium.
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Sauberes Trinkwasser erfordert einigen Aufwand. Der soll jetzt noch weiter steigen, indem größere Kläranlagen mit einer 4. Reinigungsstufe ausgerüstet werden.
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Berlin. Erstmals hat sich jetzt auch das Bundesgesundheitsministerium zur kommunalen Abwasserrichtlinie der EU (KARL) und den daraus drohenden Konsequenzen für die Versorgung mit generischen Arzneimitteln geäußert. Obwohl nur spärlich: Im Nachgang zur Pressekonferenz der Regierung am Montag, teilte das BMG heute mit, „dass wir diesen laufenden Prozess nicht weiter kommentieren“. Innerhalb der Bundesregierung sei das Umweltministerium federführend für die Umsetzung der Richtlinie.
Zum Sachstand referiert das Ministerium, „Polen sowie eine Reihe von Unternehmen und Unternehmensverbänden“ hätten inzwischen Klagen beim Gerichtshof der EU gegen die erweiterte Herstellerverantwortung eingereicht, wonach Pharma- und Kosmetikunternehmen „zu mindestens 80 Prozent“ die Bau- und Betriebskosten einer 4. Reinigungsstufe in größeren Kläranlagen tragen sollen, mit denen sich Mikroverunreinigungen ausfiltern lassen. „Entscheidungen stehen noch aus“, heißt es weiter.
Kommission soll nochmals prüfen
Anfang Mai hatte bereits das EU-Parlament in einer Entschließung zur Europäischen Wasserresilienzstrategie an die Kommission appelliert, „eine neue und umfassende Bewertung der Auswirkungen (der kommunalen Abwasserrichtlinie – red.) auf die Arzneimittelbranche vorzunehmen“ (Randnummer 52). Was die Kommission inzwischen auch zugesagt hat.
Deutschland hatte den BMG-Ausführungen zufolge bereits bei seiner Zustimmung zu KARL im November vorigen Jahres in einer Protokollerklärung „Bedenken hinsichtlich der Versorgung mit generischen Arzneimitteln und möglicherweise entstehender Mehrbelastungen der Krankenkassen“ angemeldet.
Schon damals habe man die Kommission „aufgefordert, bei sich abzeichnenden negativen Auswirkungen, insbesondere Lieferengpässen und Marktaustritten versorgungskritischer Arzneimittel sowie bei relevanten Mehrbelastungen der Krankenkassen infolge der Richtlinie zeitnah Maßnahmen zu ergreifen, um die Versorgung der Patientinnen und Patienten sicherzustellen“.
Worst-Case-Szenario Metformin
Pharmaverbände haben in den vergangenen Wochen wiederholt vor Marktaustritten generischer Produkte gewarnt und Nachbesserungen an der Richtlinie, vor allem aber eine faire Lastenverteilung gefordert. Die Industrie befürchtet jährliche Mehrkosten in Milliardenhöhe. Das Geschäft mit patentfreien Medikamenten könnte sich dann vielfach nicht mehr rentieren.
Breitere mediale Resonanz erfuhr diese Warnung zuletzt durch drastische Veranschaulichung am Beispiel Metformin. ProGenerika hatte darauf hingewiesen, dass die hiesige Marktversorgung mit dem in der Diabetestherapie essenziellen Wirkstoff größtenteils von dem tschechischen Anbieter Zentiva besorgt wird.
Und der habe schon angekündigt, bei unveränderter Umsetzung der Abwasserrichtlinie sein Metformin „vom Markt (zu) nehmen“. Dann müssten, so ProGenerika wörtlich, „fast drei Millionen Patient:innen auf deutlich teurere Alternativen umsteigen, die GKV wäre mit bis zu 1,5 Milliarden Euro Mehrkosten jährlich konfrontiert“.
DEGAM fordert Interessenausgleich
Die Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) sieht in diesem Worst-Case-Szenario zugleich das Ende einer leitliniengerechten Diabetikerversorgung. Sei Metformin nicht mehr zu bekommen, werde sich „die Qualität der medizinischen Versorgung verschlechtern. Die Nebenwirkungen können stärker ausfallen, auch die Therapietreue wird sinken, wenn nur noch Medikamente, die gespritzt werden müssen, verfügbar sind“, so Präsidiumsmitglied Dr. Günther Egidi.
Die DEGAM, heißt es in der Mitteilung weiter, setze sich für einen Ausgleich der beiden Geltungsansprüche Gewässerschutz und auskömmlichen Wirkstoffvertrieb ein. Verbandspräsident Prof. Martin Scherer: „Wir brauchen eine Gesundheitspolitik, die gewährleistet, dass solche wichtigen Arzneimittel verfügbar bleiben – und zwar ohne dass Regelungen zum Umwelt- und Gewässerschutz in toto wieder gekippt werden.“ (cw)