Notdienst-Reform im Südwesten

Hausarzt wehrt sich gegen KV

In Baden-Württemberg nähern sich bei der Notdienstreform KV und Ärzte vor Ort in oft mühsamen Lernkurven an. Das zeigt das Beispiel eines Hausarztes, der vor einer zu knappen Personalplanung warnt.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Mit Flyern und einem einheitlichen Logo machen die neuen Bereitschaftsdienst-Praxen in Baden-Württemberg auf sich aufmerksam.

Mit Flyern und einem einheitlichen Logo machen die neuen Bereitschaftsdienst-Praxen in Baden-Württemberg auf sich aufmerksam.

© KVBW

STUTTGART. Beim innerärztlichen Mammutprojekt in Baden-Württemberg, der Reform des Notfalldienstes, knirscht es regional bei der Umsetzung.

Ein Beispiel ist der Landkreis Biberach im Südosten des Landes, 1400 Quadratkilometer groß mit rund 190.000 Einwohnern.

Der Hausarzt Dr. Winfried Baumhauer aus Mietingen in dem betroffenen Landkreis hält der KV-Führung vor, mit realitätsfernen Zahlen zu operieren.

Bisher gebe es neun Notfalldienstpraxen und drei Krankenhausambulanzen, die am Wochenende und Feiertagen täglich durchschnittlich 180 Patienten betreuen.

In der neuen Struktur seien zunächst nur ein Arzt im Sitzdienst und je ein Fahrdienst im Osten und im Westen des Kreises vorgesehen gewesen.

Angesichts des "ziemlich geschlossenen Widerstandes der Kollegen" bei einer Diskussionenveranstaltung Mitte Mai sei die Zahl der veranschlagten Sitzdienste unvermittelt auf zwei hochgesetzt worden, so Baumhauer.

Aber auch das sei noch zu wenig. "Künftig sollen vier statt bisher zehn Kollegen den Dienst machen", sagte der Hausarzt.

KV: Wir planen zunächst großzügig

Biberach sei deutlich größer als die Nachbarkreise, warnt der Hausarzt. "Vergleicht bitte nicht Kreise miteinander, die weniger verwandt sind als Äpfel und Birnen", appelliert er an die Verantwortlichen. Er plädiert dafür, zwei bestehende Notfallpraxen im Kreis weiterlaufen zu lassen.

KV-Vize Dr. Johannes Fechner, dem die Federführung des Projekts obliegt, weist die Kritik zurück, die KV gehe von "illusorischen" Zahlen aus. Die KV arbeite zu Beginn der Planung in einem Notfalldienst-Bezirk zunächst immer erst mit "großzügigen" Annahmen, berichtet er der "Ärzte Zeitung".

Zudem zeigten Erfahrungen aus Westfalen-Lippe, dass sich bei einem Zusammenlegen von Notdienstbezirken die Zahl der nötigen Hausbesuche nicht aufaddiert.

Vielmehr würden weniger Hausbesuche angefordert, ohne dass es zu einer Verlagerung etwa auf den Rettungsdienst komme, so Fechner.

Hausarzt Baumhauer hat bei dieser Rechnung bedenken: "Es werden nicht nur die Bagatellfälle wegbleiben", fürchtet er. Sondern auch jene Patienten, die am weitesten von den künftigen zentralen Notfallpraxen entfernt wohnen.

Offizielle Maßgabe der Reform ist, dass eine Notfallpraxis sich von jedem Ort in Baden-Württemberg aus innerhalb von 20 bis 30 Autominuten erreichen lässt.

Baumhauer will sich nach eigenen Angaben schriftlich bei der KV melden und sich gegen ein sogenanntes Organisationsverschulden wehren.

Seine Befürchtung: Eine zu geringe Besetzung des Notdienstes könne im Extremfall Schadensersatzansprüche beispielsweise von Patienten nach sich ziehen, die zu lange auf einen Hausbesuch warten mussten.

"Ich lasse mich nicht in eine Überlastungssituation treiben", sagt er.

"Ich hafte als Vorstand persönlich"

Diese Sorge brauche der Kollege nicht zu haben, entgegnet KV-Vize Fechner. Ein Organisationsverschulden läge vor, "wenn erkennbar ein Mangel aufrechterhalten wird". Doch dann trüge die KV dieses Verschulden, nicht aber der einzelne Arzt, so Fechner.

So weit werde er es aber niemals kommen lassen: "Schließlich hafte ich als KV-Vorstand persönlich."

Die KV-Führung ist Unmut über die Notdienstreform gewöhnt - und hat im Einzelfall auch auf Zwang gesetzt. Im Februar war bekannt geworden, dass der Kreisbeauftragte für den Notfalldienst im Neckar-Odenwald-Kreis abgesetzt wurde.

Der betreffende Arzt habe sich wiederholt gegen die Reform ausgesprochen. Das sei völlig legitim, aber mit seinem Amt unvereinbar, hieß es seitens der KV.

Am 19. Juni wollen die KV-Vertreter in einer Sondersitzung letzte Hand an die Reform anlegen - vermutlich in geschlossener Sitzung. Mit Kritik an der Großreform hat Fechner nach eigenen Worten zu leben gelernt.

Er sei zunächst vielerorts "übel beschimpft" worden, berichtet er. Wenn die neuen Notfalldienst-Praxen dann zwei Monate laufen, "will kein Kollege das Rad mehr zurückdrehen".

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Kommentare
Dr. Karlheinz Bayer 11.06.201315:16 Uhr

Notdienstreform in Baden-Württemberg

Westfalen Lippe hat zwar viele Einwohner wie Baden-Württemberg, aber nur Rheine, Münster und allenfalls Paderborn haben eine ähnlich ländliche Lage wie wir sie in Baden-Württemberg, nicht nur in Biberach, vorfinden.

In den Städten mag ja eine Notfallpraxis mit einem Arzt ausreichen um acht andere "vom Dienst zu befreien". Aber auf dem Land? Wie soll das gehen? Hier in der Ortenau gibt es in den Nächten und an den Wochenende 22 Diensthabende. Wenn es nach Fechner geht, sollen es bald nur noch 1-4 sein, konzentriert in Offenburg und drei weiteren Städten.
Wer soll die Arbeit, die bisher auf dem Land geleistet wird, in Zukunft leisten? Fechner schrieb im März an die Bürgermeister des Renchtals, zwar könne die Fahrdienstzeit hier durchaus mal 40 Minuten betragen (sie beträgt 40 Minuten, wenn ein Patient in die nächste NF-Praxis fehren soll!) aber ses sei so, daß "statistisch jeder Bürger in Baden-Württemberg den ärztlichen Bereitschaftsdienst einmal in 5 Jahren in Anspruch nimmt". Dies sei ein "Ausnahmefall" und es sei "zumutbar", eine zentrale Notfallpraxis aufzusuchen. Im übrigen, schreibt er weiter, bleibe das NOTARZT-Wesen mit seiner Hilfsfrist von 15 Minuten von der Reform "unberührt".

Als einer der Leitenden Notärzte im Ortenaukreis kann ich nur sagen, zum Glück unberührt einerseits, aber andererseits stimmt das nicht, denn Fechner suggeriert ja geradezu, daß man bitteschön auch den Notarzt rufen soll, wenn der Bereitschaftsarzt zu lange braucht oder die Notfallpraxis zu weit weg ist.

Fechner sagt zwar, das Aufkommen für die Notärzte wird sich durch diese Reform mit ihrer drastischen Verkleinerung an Diensthabenden nicht verändern, wir Notärzte beobachten aber bereits jetzt eine stete Zunahme von Einsätzen, die eigentlich in den hausärztlichen Bereich gehören.

Fechner behauptet, die Zahlen aus Westfalen-Lippe würden das nicht bestätigen. Fechner übersieht aber, daß es ein Leichtes ist, in diesem nördlichen Bundesland anzurufen, und siehe da, auch dort steigen die Notarzteinsätze rapide an. Weiter hört man, daß die AOK wohl von der KV Beträge aus der Bereitschaftsdienstvergütung (das sind dort etwas mehr als ein halber Euro pro Einwohner) zurückfordern will.

Fechner antwortet nicht auf Kritik.
Fechner behauptet, überall sei alles Gold, nur in dem Bereich, aus dem er momentan gerade Kritik hört, gäbe es einzelne Querulanten. Die Querulanten sitzen vom Neckar-Odenwald-Kreis, wo sich sogar der Landrat eingeschaltet hat wegen der Absetzung eines Querulanten durch Fechner, bis nach Ravensburg, wo die Kollegen sich ein gut funktionierendes System nicht zerschlagen lassen wollen.
Die Resistance sitzt in Ludwigsburg, die einen Notarztpool behalten wollen bis nach Reutlingen, wo ein Pilotversuch gescheitert ist.

Fechner hört das und sagt, hinterher werden alle, bei denen die Reform eingeführt wurde, nichts anderes mehr wollen.

Ich widerspreche dem. Kollege Baumhauer ist kein Einzelfall. Er ist der Prototyp des Notdiensteinteilers auf dem Land. Diese greifen sich an den Kopf und fragen sich, ob der Hausärzteverband hier wirklich systematisch seine Mitglieder auf dem flachen Land verprellen und es zulassen will, daß sich die Fachärzte von den Diensten freikaufen.

Freikaufen.
Fechners immer wieder behauptete 70%-Zustimmung zu seiner Reform ist in Wahrheit eine Zustimmung zu der Option, nie mehr einen Dienst tun zu müssen. Würde die KV das, was im Kammerrecht steht von der grundsätzlichen Dienstpflicht jedes Arztes, verknüpft lassen mit der Berietschaftsdienst-Reform, lägen die Zustimmungsraten in dem Bereich, der sich jetzt real bereits abzeichnet:
Im Ortenaukreis möchten ein wenig mehr als 50% zwar die Reform, aber gleichzeitig klinken sie sich 3/4 bis 4/5 aus.

Und dann kommt noch die Frage, wer diese Reform bezahlt.
Die GKV werde sich an den rund 54 Mio Euro beteiligen, hat Fechner immer wi9eder behauptet. Die GKV schert sich daran einen Dreck. Angeblich zahlt sie

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