Hintergrund

Hilfe statt Berufsverbot - das sollte auch für den süchtigen Niedergelassenen gelten

Wenn Ärzte süchtig sind oder es einmal waren, kann ihnen die Zulassung zur Versorgung von gesetzlich Krankenversicherten verweigert oder entzogen werden. Dies gilt auch dann, wenn sie eine Therapie erfolgreich absolviert haben.

Von Sabine Schiner Veröffentlicht:
Griff zur Flasche: Wie viele Ärzte in Deutschland alkoholsüchtig sind oder andere Drogen zu sich nehmen, dazu gibt es nur Schätzungen.

Griff zur Flasche: Wie viele Ärzte in Deutschland alkoholsüchtig sind oder andere Drogen zu sich nehmen, dazu gibt es nur Schätzungen.

© Foto: til

Das schreibt Paragraf 21 der Zulassungsverordnung für Ärzte vor. Suchtexperten halten diese Regelung für überholt, Vertreter der Landesärztekammern haben das Bundesministerium für Gesundheit aufgefordert, die Rechtslage an den aktuellen Stand der Suchtmedizin anzupassen.

Dr. Mark Siegmund Drexler, Drogen- und Suchtbeauftragter der Landesärztekammer Hessen, gehört mit zu den Initiatoren des Vorstoßes, der auf Antrag des Vorstands der Bundesärztekammer auf dem 111. Deutschen Ärztetag in Ulm auf den Weg gebracht worden war. "Die derzeitigen Vorgaben entsprechen dem Denken der 1950er-Jahre", sagt Drexler im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

Damals sei man davon ausgegangen, dass eine Suchterkrankung selbst verschuldet und nicht heilbar ist. Heute wisse man aus der Suchtmedizin, dass eine Berufsausübung durchaus möglich ist - und zwar ohne Patienten zu gefährden. Die derzeitige Regelung sieht dies nicht vor. Nach Paragraf 21 ist ein Arzt ungeeignet für die Ausübung der Kassenarzttätigkeit, wenn er "innerhalb der letzten fünf Jahre vor seiner Antragstellung rauschgiftsüchtig oder trunksüchtig war". Einen Interpretationsspielraum lässt der Paragraf nicht zu. Für die Betroffenen ist das hart.

Drexler erzählt von einer Ärztin, die sich wegen ihrer Alkoholsucht an die Ärztekammer gewandt hatte. Drexler vermittelte ihr eine Therapie. Dort lernte sie unter anderem, zu ihrer Suchterkrankung zu stehen und sie nicht zu verleugnen. Als sie dreieinhalb Jahre später die Zulassung beantragte, gab sie offen zu, abstinente Alkoholikerin zu sein. "Sie hat daraufhin die Zulassung nicht bekommen", schildert Drexler.

"Sucht ist eine behandelbare Erkrankung", sagt auch Dr. Klaus Beelmann von der Ärztekammer Hamburg. Genaue Zahlen, wie viele Ärzte suchtkrank sind, gebe es nicht. Beelmann schätzt, dass es bundesweit über 7000 Mediziner sind. Allein in Hamburg sei davon auszugehen, dass jedes Jahr etwa sieben Ärzte an den Folgen von Alkoholismus sterben. Die Angst, die berufliche Existenz zu verlieren und das häufig ratlose Wegsehen von Kollegen, Praxismitarbeiterinnen und Familienmitgliedern führe zu einer Chronifizierung der Erkrankung.

Die Ärztekammern bieten suchtkranken Ärzten mittlerweile einen Rundum-Service an, um ihnen den Ausstieg aus der Sucht zu erleichtern. In Hamburg bekommen die Betroffenen beispielsweise das Angebot, eine stationäre Entgiftungs- und Entwöhnungsbehandlung in einer Suchtklinik zu machen - in der Regel dauert das sechs bis acht Wochen.

Bundesweit mehr als 7000 süchtige Ärzte?

Die Ärztekammer hilft bei der Auswahl der Klinik, bei der Vermittlung einer Praxisvertretung und organisiert die ambulante Nachbetreuung. Dabei wird mit den Betroffenen eine freiwillige Vereinbarung geschlossen, die für die Dauer von zunächst einem Jahr gilt: Darin verpflichten sie sich unter anderem, eine monatliche Untersuchung durch einen Gutachter samt psychopathologischen Befunden zuzulassen, jede Woche zum Psychotherapeuten zu gehen und regelmäßig Selbsthilfegruppen zu besuchen. Ziel der Therapien ist es, den Betroffenen die Tätigkeit als Arzt zu ermöglichen. Das klappt nicht immer. "Es gibt Rückfälle, das ist nicht zu leugnen", sagt Drexler. Insgesamt gesehen ist seine Bilanz positiv.

Das ist auch die Erfahrung von Bernhard Mäulen, Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Leiter des Instituts für Ärztegesundheit in Villingen-Schwenningen. "Wir erreichen einen großen Teil der Ärzte mit den Programmen", sagt Mäulen. Etwa 70 bis 80 Prozent der Ärzte blieben nach einer Therapie abstinent.

"Wir müssen nicht strafen, sondern Hilfen und Kontrollen anbieten", fordert er. Strafe - wie sie Paragraf 21 vorsehe - sei keine Lösung. Auch vor dem Hintergrund des zunehmenden Ärztemangels sei es wichtig, die Kollegen für die Arbeit fit zu machen, und ihnen nicht das Arbeiten zu verbieten.

Weitere Infos zum Thema Ärzte und Sucht gibt es unter folgenden Adressen: www.bundesaerztekammer.de, www.aerztegesundheit.de und www.oberbergkliniken.de

Der Paragraf 21 Zulassungsverordnung

Er könnte demnächst modifiziert werden, der Paragraf 21 der Zulassungsverordnung: "Ungeeignet für die Ausübung der Kassenpraxis ist ein Arzt mit geistigen oder sonstigen in der Person liegenden schwerwiegenden Mängeln, insbesondere ein Arzt, der innerhalb der letzten fünf Jahre vor seiner Antragstellung rauschgiftsüchtig oder trunksüchtig war." (ine)

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