Reform der Notfallversorgung

KBV-Chef Gassen wirbt für Notfallgebühr in bestimmten Fällen

Wer in die Notaufnahme eines Krankenhauses rennt, ohne vorher eine Leitstelle anzurufen, soll „gegebenenfalls“ einen Extra-Obolus entrichten, schlägt KBV-Chef Gassen vor. Zwei Argumente sprächen dafür. Klinikvertreter reagieren skeptisch.

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Viele Notaufnahmen sind „verstopft“: KBV-Chef Dr. Andreas spricht für eine grundlegende Reform der Notfallversorgung aus.

Viele Notaufnahmen sind „verstopft“: KBV-Chef Dr. Andreas spricht für eine grundlegende Reform der Notfallversorgung aus.

© Jürgen Heinrich / SZ Photo / picture alliance

Berlin. In der Debatte um die Reform der Notfallversorgung hat sich der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen, für die Einführung einer Notfallgebühr ausgesprochen.

Wer direkt in die Notaufnahme eines Krankenhauses gehe, ohne vorher eine Leitstelle anzurufen, solle „gegebenenfalls“ eine derartige Gebühr entrichten, „denn das kostet die Solidargemeinschaft unterm Strich mehr Geld und bindet unnötig medizinische Ressourcen, sagte Gassen dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND) am Mittwoch.

Der KBV-Chef betonte, das System der Notfallversorgung sei grundsätzlich „neu“ zu organisieren. Viele Notaufnahmen seien „verstopft“, weil Menschen dorthin kämen, die keine echten Notfälle seien. „Da fährt ein Rettungswagen raus, weil sich jemand den Finger in der Tür geklemmt hat und dann kommt der Wagen nicht rechtzeitig zu einem Herzinfarkt“, nannte Gassen ein Beispiel.

Deshalb mache es Sinn, Klinik-Notdienst und den ärztlichen Bereitschaftsdienst „virtuell“ zusammenzuschalten. Patientinnen und Patienten ließen sich dann über die 112 beziehungsweise 116 117 per Ersteinschätzung auf die für sie richtige Versorgungsebene lotsen.

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Gemeinsamer Tresen? In der Regel wohl nicht

Einen gemeinsamen Tresen in den Notaufnahmen werde es „wohl in der Regel“ nicht geben – einen solchen brauche es auch nicht, betonte Gassen. Eine durchschnittliche Notaufnahme in einem Krankenhaus versorge einen Patienten in der Stunde. Überdies sei fraglich, woher man das Personal für eine solche „Ersteinschätzungsjury“ nehmen solle.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will im Zuge der geplanten Krankenhausreform auch die Notfallversorgung umkrempeln. Geplant sind unter anderem gemeinsame Leitstellen und von niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern betriebene Integrierte Notfallzentren, sogenannte INZ.

Über den Umbau der Notfallstrukturen wird in Deutschland seit Jahren diskutiert. Ein entsprechender Reformanlauf unter dem früheren Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) war in der vergangenen Legislaturperiode gescheitert – teils auch am Widerstand der Länder.

DKG: Vorschlag derzeit eher kontraproduktiv

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) reagierte am Mittwoch zurückhaltend auf die Idee einer Notaufnahme-Gebühr. „Wenn wir über Sanktionierungen sprechen, müssen zuerst einmal die Bedingungen erfüllt sein, die gewährleisten, dass alle Patientinnen und Patienten in einer Notfallsituation ideal beraten und gesteuert werden“, sagte DKG-Chef Dr. Gerald Gaß.

Eine medizinische Ersteinschätzung über integrierte Leitstellen der Telefonnummern 112 und 116 117, kurzfristige Terminvermittlung in Arztpraxen und auch unmittelbare Hausbesuche durch den KV-Notdienst seien für die Patienten wichtige Voraussetzungen für eine gute ambulante Notfallversorgung jenseits der Notfallambulanzen der Kliniken, so Gaß.

„Erst wenn diese Voraussetzungen durch die zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen geschaffen sind, kann man darüber nachdenken, ob man von den Patientinnen und Patienten eine Art Strafgebühr erhebt, die diese Beratung und Steuerung ignorieren und den direkten Weg in die Notfallambulanzen suchen.“ Jetzt durch finanzielle Sanktionierung Patientinnen und Patienten steuern zu wollen, sei „kontraproduktiv“ und könne sogar zur Versorgungsverschlechterung führen, warnte Gaß. (hom)

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Kommentare
Dipl.-Med Astrid Tributh 12.04.202319:03 Uhr

Im Land Brandenburg gibt es seit mehr als 10 Jahren Bereitschaftsdienstpraxen, vorgeschaltet der Notaufnahme, wer zu Fuß kommt, muss sich erst hier vorstellen. Unfälle ausgenommen. Zunehmend werden diese Praxen flächendeckend aufgebaut. Die Arbeitszeiten sind an Sprechstundenfreien Zeiten.
Das ist ein gute Möglichkeit der Steuerung der Patienten, die denken in der Notaufnahme mal "Durchgecheckt" zu werden. Es entlastet deutlich die Notaufnahmen.
Ich bin sehr für "Erziehung" der Patienten, sich zu überlegen, wann man zu Arzt geht, rechtzeitig!!!
Ich arbeite selber zeitweise in einer Bereitschaftsdienstpraxis und weiß mit welchen Beschwerden und Argumenten die Patienten kommen. Selten ein Problem für die Bereitschaftspraxis!
Die Patienten an den Kosten zu beteiligen, die unberechtigt die Notaufnahme kontaktieren halte ich nicht für gut. Wer muss zahlen und wer nicht? Wer befindet darüber? Auch vorher die Leitstelle anzurufen und um Genehmigung zu bitten - schwierig. Ich habe schon erlebt, das zu einem Herzinfarkt der Rettungswagen nicht gekommen ist und an den Hausarzt verwiesen wurde.
Eine finanzielle Steuerung halte ich grundsätzlich überlegenswert, das Primärsystem in den Vordergrund stellen. Patienten haben in Deutschland 1,4 Hausärzte, auch Fachärzte werden mehrfach gleicher Gruppen aufgesucht.
Vielleicht mal ein Ansatz?

Dr. Jens Wasserberg 12.04.202313:22 Uhr

Es geht um den Schutz der Versorgungsstrukturen insgesamt und darum, den zweifelsfrei vorhandenen Missbrauch zu verhindern.
Unstrittig hat unsere Gesellschaft nicht mehr die Valenzen, alles zu jeder Zeit regeln zu können. Die Eigenverantwortung wurde unserer Gesellschaft stetig aberzogen, so dass die fehlerhafte Inanspruchnahmen auf vielen Feldern gedeihen konnte. In Zeiten, in denen Geld und Personal da waren, war das 'nur' ärgerlich für diejenigen, die ohne Anerkennung die Bequemlichkeiten ausgleichen mussten. Jetzt fehlt es aber erkennbar an nahezu allen Ecken an Personal. Diejenigen, die noch da sind, sind heillos überlastet.
Wenn man angesichts der immer größer werdenden Schere zwischen sinkendem Angebot und teilweise sogar noch steigender Nachfrage den Kollaps verhindern will, muss man unangebrachte Inanspruchnahmen reduzieren. Jede Bagatelle, in der Nacht unsinnig behandelt, verhindert eine vielleicht wesentlich notwendigere Behandlung tagsüber.
Um das System zu schützen, ist es zwingend, Fehlinanspruchnahmen zu reduzieren, wenn man sie schon nicht verhindern kann.
In Zeiten der Überlastung der Vollbeschäftigen muss der Fokus auf diejenigen gelegt werden, die künftig noch Leistungen erbringen sollen. Jeder leistungsbereite Teilnehmer - MFA, Arzt oder Pfleger - kann nicht mehr ersetzt werden, wenn er frustriert aus seinem Beruf aussteigt. Dieser Exodus ist bereits in vollem Gange und es wird allerhöchste Zeit, hier schleunigst mit Entlastung und Wertschätzung gegenzusteuern.
Eine Selbstbeteiligung der Patienten zur Entlastung der Versorger durch Steuerung ist nahezu weltweit erprobt. Nur in unserem Lande soll das nicht gehen. Das ist nicht überzeugend.

Dr. Ulrike Hackenberg antwortete am 12.04.202319:00 Uhr

Danke für den guten Kommentar!

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