Quality-of-Life-Preis

Kinder mit Cerebralparese werten ihre Lebensqualität als gut

Mitleid für Kinder mit Cerebralparese? Völlig fehl am Platz. Denn fragt man die jungen Patienten selber, schätzen sie ihre Lebensqualität als gut ein. Die Pädiaterin Dr. Marion Rapp wurde für ihre Untersuchungen mit dem Quality-of-Life-Preis ausgezeichnet.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Therapeutin bei der Arbeit mit einem Kind mit Cerebralparese.

Therapeutin bei der Arbeit mit einem Kind mit Cerebralparese.

© Antonia Reeve/Science Photo

BAD HOMBURG. Wenn ein Kind mit einer Cerebralparese zur Welt kommt, ist man als Außenstehender geneigt, den kleinen Patienten wie auch dessen Eltern zu bemitleiden. Je schwerer die Ausprägung der Behinderung, desto mehr erscheint einem die Lebensqualität der Betroffenen gemindert zu sein.

Diese Annahme jedoch ist falsch, wie die Autoren der SPARCLE-Studie 2007 nachwiesen, indem sie die jungen Patienten erstmals persönlich befragten. Auch deren Eltern vertraten mehrheitlich die Auffassung, dass der Schweregrad der Behinderung keinen Einfluss auf die Lebensqualität ihrer Kinder hat. Allerdings förderten ihre Aussagen in einer Folgestudie zutage, was den Betroffenen selbst nicht erwähnenswert schien: dass es vor allem die Schmerzen der Patienten sind, die deren Lebensqualität signifikant verschlechtern.

Pädiaterin erhält ersten Preis

Für ihre Erkenntnisse über die Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen mit Cerebralparese hat die Pädiaterin und Kinderchirurgin Dr. Marion Rapp, Mitarbeiterin der Lübecker Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, den diesjährigen Quality-of-Life-Preis erhalten. Der von dem Bad Homburger Arzneimittelhersteller Lilly Deutschland gestiftete Preis zeichnet Forschungsprojekte aus, die Messinstrumente zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität einsetzen oder entwickeln.

Den zweiten Preis erhielt Dr. Julia Caroline Radosa, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Universitätsklinikum des Saarlands, für ihre Studie über die Lebensqualität und Sexualfunktion nach laparoskopischer Myomtherapie, deren Ergebnisse auch in der aktuellen Leitlinie Hysterektomie berücksichtigt wurden. In Abwesenheit der Preisträgerin nahm ihr Bruder, Privatdozent Marc Radosa, Chefarzt der Gynäkologie an den Agaplesion Diakonie Kliniken Kassel, die Auszeichnung entgegen.

Die gesundheitsbezogene Lebensqualität (Health-Related Quality of Life, HRQoL) ist ein multidimensionales Konstrukt, das physische, psychische und soziale Elemente berücksichtigt und sich an der subjektiven Wahrnehmung Betroffener orientiert. Für ihre Befragung der Eltern von Kindern mit Cerebralparese fasste Marion Rapp die Definition einfacher: "Lebensqualität ist, was ein Mensch über sein Leben denkt und wie er sein Leben empfindet." Zweimal befragte sie insgesamt 551 Eltern (527 Mütter und 27 Väter) zur Lebensqualität ihrer Kinder, 2004/2005 und 2009/2010.

Schmerzminderung ist zentral

Einige Ergebnisse waren zu erwarten, andere durchaus überraschend: Je höher die Lebensqualität in der Kindheit, desto höher war sie auch im Jugendalter der Patienten. Starke akute Schmerzen (etwa Kopf-, Hüft- und Gelenkschmerzen) führten zu einer relevanten Verschlechterung der Lebensqualität, was sich sowohl auf das Wohlbefinden und die Stimmung der Patienten als auch auf ihre Selbstwahrnehmung und Autonomie, die Schule und ihre soziale Akzeptanz auswirkte. Auch Verhaltensauffälligkeiten der Kinder sowie Erziehungsstress ihrer Eltern waren mit einer niedrigeren Lebensqualität assoziiert. Conclusio der Autorin: "Es ist notwendig, bereits in der frühen Kindheit Interventionen vorzunehmen, um die Schmerzen und die psychischen Probleme von Kindern mit Cerebralparese sowie den Erziehungsstress ihrer Eltern zu reduzieren."

Die Bilanz aus 21 Jahren Quality-of-Life-Preis kann sich sehen lassen: Seit 1996 wurden mehr als 400 Arbeiten eingereicht, von denen die Juroren am Ende 45 auszeichneten. Konnte man die Teilnehmer in den Anfangsjahren noch an einer Hand abzählen, waren es auf dem Höhepunkt 2013 bereits 53 und aktuell 34 Wissenschaftler, die sich um den Preis bewarben. "Auch politisch wird die gesundheitsbezogene Lebensqualität immer wichtiger", sagte Jurymitglied Dr. Johannes Clouth, der den Quality-of-Life-Preis bei Lilly seit 1998 verantwortet und seine Aufgabe im nächsten Jahr an seine Kollegin Tatjana Senin abgibt. Die meisten Einreichungen, so Clouth, stammten erwartungsgemäß aus dem Bereich Onkologie. Dass sich inzwischen jedoch auch Arbeiten mit der Erforschung der Lebensqualität von Müllmännern oder Bäckern befassten, zeige aber, dass das Thema inzwischen in vielen Feldern Beachtung finde.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Zahlen von vfa und IGES

Krebsmedikamente bleiben innovativ – und teuer

Frühe Nutzenbewertung

G-BA: Geringer Zusatznutzen für Nivolumab bei Ösophaguskrebs

Sparanstrengungen in der GKV

MEZIS: Politik muss Pharmaunternehmen mehr in die Pflicht nehmen

Kommentare
Sonderberichte zum Thema

Chronisch kranke Kinder

Mangelernährung frühzeitig erkennen und konsequent angehen

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Danone Deutschland GmbH, Frankfurt/Main

Ist das AMNOG bereit für HIV-Innovationen?

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Gilead Sciences GmbH, Martinsried
Arzneiforschung: Von Innovationen profitieren nicht nur Patienten, sondern immer auch die Gesellschaft als Ganzes.

© HockleyMedia24 / peopleimages.com / stock.adobe.com

Nutzenbewertung

Arznei-Innovationen: Investition mit doppeltem Nutzen

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa)
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Interview

Wie Ärzte in Stresssituationen richtig reagieren können

Verschmutzte Luft

Was Reinigungsmittel in der Lunge anrichten können

Krebs in Deutschland

Bei zwei Krebsarten nahm die Sterblichkeit am stärksten ab

Lesetipps
Serotoninkristalle, die ein Muster ergeben.

© Michael W. Davidson / Science Photo Library

Für wen passt was?

Therapie mit Antidepressiva: Auf die Nebenwirkungen kommt es an

Eine junge Frau fasst sich an ihren schmerzenden Ellenbogen.

© Rabizo Anatolii / stock.adobe.com

Laterale Ellbogenschmerzen

Diese sechs Kriterien sprechen gegen einen „Tennisarm“