Wie weiter in der Pandemie?
Kretschmer: „Am Ende wird wieder die Eigenverantwortung stehen“
Sachsen war lange sehr schwer von der Pandemie gebeutelt. Jetzt hofft der Ministerpräsident, dass bald weniger Staat und mehr Eigenverantwortung beim Kampf gegen das Coronavirus ausreicht.
Veröffentlicht:Dresden. Eine No-Covid-Strategie ist nach Einschätzung des Leipziger Infektiologen Professor Christoph Lübbert unrealistisch. „No-Covid halte ich für schwer umzusetzen und Zero-Covid für illusorisch“, sagte der Mediziner, der am Leipziger Klinikum St. Georg und dem Universitätsklinikum der Stadt jeweils die Kliniken für Infektiologie leitet. „Dann kommt kein Strom aus der Steckdose, und in Krankenhäusern kann sich niemand um die Patienten kümmern“, entgegnete er auf den Vorschlag eines dreiwöchigen kompletten Shutdowns.
Lübbert hatte neben anderen Wissenschaftlern an einer digitalen Konferenz teilgenommen, die die sächsische Staatsregierung unter dem Titel „Perspektiven – Leben mit dem Virus – welche Optionen haben wir?“ ausgerichtet hatte. Lübbert fügte an, er halte Low-COVID für realistisch. „Wir haben im Dezember in Sachsen definitiv eine Überlastung des Gesundheitssystems erlebt“, schilderte der Chefarzt. „Das möchten wir nicht noch einmal erleben.“
„Wir sind auf dünnem Eis unterwegs“
Sachsen hatte lange Zeit die höchsten Inzidenzwerte in der Bundesrepublik. Kliniken konnten zum Teil keine neuen Patienten mehr aufnehmen. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) berichtete, dass Patienten in den Krankenhäusern des Freistaats nur deshalb noch hätten versorgt werden können, weil die Bundeswehr geholfen habe und Patienten in andere Bundesländer verlegt worden seien. „Das darf sich nicht wiederholen“, verlangte Kretschmer. „Wir sind weiter auf sehr dünnem Eis unterwegs.“
Gleichwohl beschloss die sächsische Staatsregierung erste Lockerungen bei den Corona-Beschränkungen für die Zeit vom 15. Februar an. Ab dann sind die Kindergärten und Grundschulen im Freistaat wieder geöffnet. Außerdem das Abholen online bestellter Waren bei stationären Geschäften ist wieder erlaubt. „Nach diesen ersten Lockerungen werden wir drei Wochen warten und dann sehen wir weiter“, fügte Kretschmer an. „Wir müssen abwarten, wie sich die Ausbreitung der neuen Virusvarianten entwickelt.“
Mutiertes Virus nur durch Zufall entdeckt
Lübbert berichtete, dass die Entdeckung der südafrikanischen Virusvariante am Universitätsklinikum Leipzig im Januar einem großen Zufall zu verdanken gewesen sei. „Die Frau kam mit Durchblutungsstörungen im Auge in die Klinik und wurde ambulant behandelt“, sagte er. „Das war bisher kein typisches Symptom einer Corona-Erkrankung.“ Nur durch Zufall sei sie auf Corona getestet, und ebenfalls durch Zufall sei ihr Abstrich dann noch sequenziert worden.
Das Universitätsklinikum testet vor allem jene Patienten regelmäßig, die stationär aufgenommen werden. „Die Patientin war nie in Südafrika und hatte auch niemandem im Bekanntenkreis, der dort war“, sagte Lübbert. „Wie hoch ansteckend diese Mutation ist, zeigt sich daran, dass sich zehn weitere Menschen bei ihr infizierten und sich dies bis nach Halle in Sachsen-Anhalt zog.“
Pendler aus Tschechien bereiten Sorgen
Kretschmer verwies außerdem auf die stark anwachsende Zahl der Neuinfektionen in Tschechien. „Die tschechische Seite bekommt es nicht in den Griff“, schätzte der Ministerpräsident ein. Aktuell liegt die Sieben-Tage-Indizenz in Tschechien bei mehr als 400. Sachsen hat eine lange Grenze zum Nachbarland Tschechien. Von dort pendeln viele Menschen zum Arbeiten nach Sachsen. Sie müssen inzwischen zweimal wöchentlich einen negativen Coronatest vorweisen.
Professor Marcel Thum, Direktor der Niederlassung des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in Dresden, sprach sich dafür aus, die Grenzen nicht zu schließen, „damit die Lieferketten der Wirtschaft nicht unterbrochen“ würden. Kretschmer und Lübbert hielten es für notwendig, dass ein Langfristplan für den weiteren Umgang mit der Corona-Pandemie entwickelt werde. „Wir sehen jetzt schon die psychischen Folgen des Lockdowns“, so der Ministerpräsident. „Am Ende wird wieder mehr die Eigenverantwortung des Einzelnen stehen und weniger die Autorität des Staates.“
Auch Kinder sollen schnell geimpft werden
Infektiologe Lübbert sieht im Impfen die beste Langfriststrategie. „Wir müssen auch die Kinder impfen, sonst erleben wir im Herbst unser böses Erwachen“, sagte er. „Und wir müssen auf der ganzen Welt impfen, sonst können wir die Pandemie nicht bekämpfen.“ Dr. Corinna Pietsch, kommissarische Leiterin des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum, mahnte, dass es für solche Strategien notwendig sei, die Inzidenzen niedrig zu halten. „Sehr wichtig ist außerdem ein niedrigschwelliger Zugang zu Tests“, so die Oberärztin. „Die Leute dürfen keine weiten Wege haben und sollen nicht erst viele Scheine ausfüllen müssen.“