Eine Herausforderung

Kriegskinder in der Pflege

Die Lebensgeschichten von heute Pflegebedürftigen sind oft vom Krieg gezeichnet. Das wird in der Pflege zu wenig beachtet. Ein neuer Leitfaden gibt Tipps.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Schwester bei der Pflege: Kriegskinder haben besondere Bedürfnisse.

Schwester bei der Pflege: Kriegskinder haben besondere Bedürfnisse.

© Patrick Seeger / dpa

KRONSHAGEN. Einen sensiblen Umgang mit den Lebensgeschichten von pflegebedürftigen alten Menschen haben Experten auf einer Fachtagung über die Spätfolgen von Kriegserlebnissen in Kronshagen bei Kiel gefordert.

Hintergrund sind Erfahrungen mit Pflegebedürftigen, deren Handlungen auf den ersten Blick nicht einzuordnen und auf Kriegserlebnisse zurückzuführen sind.

Ein Beispiel: Eine Frau löste im Pflegeheim scheinbar grundlos nachts häufig Alarm aus und nannte auf Befragen kein Motiv dafür. Erst die Lebensgeschichte der Frau brachte eine Pflegekraft auf die Lösung: Die Frau war im Krieg vergewaltigt worden.

Immer wenn Männer Nachtdienst im Pflegeheim übernahmen, kehrte die Angst zurück und die Frau löste Alarm aus.

Michael Selck, Landesgeschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt in Schleswig-Holstein, schilderte dieses Erlebnis auf einer Fachtagung des Vereins kriegskind.de und der AWO. Solche Erfahrungen sind kein Einzelfall.

Rund 30 Prozent der Kriegsgeneration sind Schätzungen zufolge traumatisiert. Doch das repräsentative Wissen zu diesem Thema ist sehr begrenzt, wie Professor Hartmut Radebold in Kronshagen kritisierte.

Pflegende brauchen mehr Zeit

Der Psychiater und Psychoanalytiker, selbst Jahrgang 1935, fordert mehr Forschung über die Erlebnisse seiner Generation während des Krieges, über die Zeit danach und über die Hilfen. Fest steht für Radebold, dass Ärzte und Psychotherapeuten nicht ausreichend auf die Erlebnisse der Kriegskinder vorbereitet sind.

Pflegekräfte berichten, dass sie durch Beschäftigung mit dem Thema Patienten anders kennenlernten und Verhalten neu einordneten.

Informationen bieten AWO und der Verein kriegskind.de mit einem Leitfaden für Pflegende über den Einfluss von Kriegserinnerungen auf die Praxis, der zum Download bereitsteht (www.awo-pflege-sh.de).

Im Leitfaden werden typische Pflegesituationen und deren Auswirkungen beschrieben, Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt oder Besonderheiten bei demenzkranken Menschen behandelt. Die Printauflage des Leitfadens (2500 Stück) ist bereits vergriffen. Nach Ansicht Selcks reichen Fortbildungen und Schulungsmaterial allein aber nicht aus.

Er forderte auch, dass den Pflegenden die Zeit eingeräumt werden muss, sich eingehend mit dem Thema zu beschäftigen. Diese Zeit stehe heute in aller Regel im Pflegealltag nicht zur Verfügung.

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Kommentare
Almut Rosebrock 07.07.201308:19 Uhr

Wichtiges Thema

Danke für den Hinweis auf dieses wichtige (Rand-)Thema!
Als ehrenamtliche Mitarbeiterin mit Senioren habe ich diesbezüglich auch Erfahrungen gemacht. Ich bin der Meinung, dass diese "schwierigen" Themen in unserer "Hochglanz-Erfolgs-Gesellschaft" am liebsten ausgeklammert werden. Auch die nachfolgenden (Jung-)Politiker haben diese Themen überhaupt nicht mehr auf dem Schirm - und agieren so immer wieder ziemlich bis sehr unsensibel.
Menschen brauchen Zeit!
Und das Eingeständnis von Fehlerhaftigkeit -
und die Bitte und Möglichkeit von Versöhnung / Vergebung.

Jesus Christus hat zutiefst Leiden erlebt - und der christliche Glaube erlaubt (darum) auch das "Ansehen" tiefster Not, das "Mitleiden" und "Mitgehen".

"In der Welt habt Ihr Angst - aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden." (Jesus, Joh. 16,33 - in den Abschiedreden)

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