Auf was haben sich Philipp Rösler und die FDP mit dem Gesundheitsressort eingelassen? Westerwelles Ikarus-Syndrom und die Folgen.

Von Helmut Laschet

"Dem SGB V muss ein Paragraf vorangestellt werden, der lautet: Dieses Gesetz gilt wirklich!"

Wie oft hat man in Berlin einen wutschnaubenden Franz Knieps, jahrelang die rechte Hand von Ulla Schmidt, erlebt angesichts der Ohnmacht staatlicher Legislative und Exekutive in der Gesundheitspolitik!

Wahr ist: Im Vergleich zu seinen Kabinettskollegen ist der Bundesgesundheitsminister ein Kaiser ohne Kleider. Seine Bundesbehörden treffen fachlich eigene Entscheidungen und sind nicht weisungsgebunden. Bis auf wenige Ausnahmen - Mitgliedsrecht, Beitragsgestaltung, Zuzahlungen - enthält das Krankenkassenrecht (SGB V) kein für den Bürger unmittelbar wirksames Recht.

Der Gesetzgeber schreibt: Der Bürger hat Anspruch auf... - sagen wir Palliativversorgung. Was passiert? - Nichts! Der Minister mahnt. Die Mühlen der Selbstverwaltung mahlen, vor allem langsam.

Der Gesetzgeber schreibt: Ärzte können wieder nach festen Punktwerten bezahlt werden, wenn Regelleistungsvolumina vereinbart werden. Das war 1997. Realisiert mit viel Ach und Krach 2009.

Die Umsetzung von Vorgaben im SGB V kann das Bundesgesundheitsministerium kaum erzwingen. Selbst da, wo es möglich ist, bedeuten Ersatzvornahmen, sich in einen Partisanenkampf mit Leistungserbringern und Krankenkassen zu begeben.

Wo Siegfried Rösler verwundbar ist

Umstellt ist das Gesundheitswesen von einer Heerschar von Experten. Sie produzieren, oft auf Bestellung, Gutachten am laufenden Band, um Reformen zu initiieren, zu verhindern, zu behindern, jedenfalls zu beeinflussen. Darunter sind Florettfechter, aber auch solche, die regelmäßig die "dicke Berta" betätigen wie die Leute vom Arzneiverordnungsreport oder Apokalyptiker wie der Kieler Ökonom Fritz Beske. Die bekannteste Melodie: Das System ist marode. Diese Melodie findet auch die größte Hebelkraft in den Medien.

Diese sumpfigen Niederungen des Gesundheitswesens hatte Guido Westerwelle im Höhenrausch von fast 15 Prozent der Wählerstimmen im Herbst 2009 aus dem Blick verloren, als er mit der Forderung nach fünf Ressorts inklusive des Gesundheitsministeriums in die Koalitionsverhandlungen ging. Und es war wohl Merkels erste große Gemeinheit gegenüber dem erstarkten Koalitionspartner, dessen Wünsche zu erfüllen. Jubel bei der Ärzte- und Apothekerschaft, warmer Beifall der Pharma-Industrie und der PKV. Und dann noch ein Arztkollege als Gesundheitsminister! Welche Wonne!

Aber den Siegfried Rösler machen gleich zwei Lindenblätter verwundbar: das Image der FDP als Partei der Besserverdienenden und der sozialen Kälte und ihr Ruf als Klientelpartei. Als ob es dafür noch einer Bestätigung bedurft hätte, berief Rösler sogleich den PKV-Lobbyisten Christian Weber als Leiter der Grundsatzabteilung ins Ministerium. Die Opposition schäumte im Hochgenuss.

Sieht man mal davon ab, dass die CSU und ihr Chef Horst Seehofer ohnehin davon traumatisiert sind, nach Verlust der absoluten Mehrheit mit der FDP regieren zu müssen (was die Rachsucht bestärkt), so begann für Philipp Rösler der Kampf des Laokoon mit den Nattern des Medizinbetriebs: GKV gegen PKV, Pharma-Industrie gegen den Rest der Welt, Hausärzte gegen das KV-System, liberale Fortschrittliche gegen die Korporatisten - und jede Bewegung des Gesundheitsministers unter dem Generalverdacht der Klientelpolitik.

Den Mut der Verzweiflung zeigte Rösler bei der Pharma-Industrie. Mit 16 Prozent Zwangsrabatt und früher Nutzenbewertung wurde sie abgeseift wie nie zuvor.

Genützt hat es Rösler nichts. Gut ein Jahr nach der Bundestagswahl scheint der Kredit verspielt. Die FDP befindet sich im freien Fall. Die Flugbahn von Ikarus Westerwelle ist aktuell zu beobachten.

Zur Jahresendausgabe 2010 der "Ärzte Zeitung" mit allen Artikeln

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