Medizinstudium: Union rechnet ohne den Wirt

Die Ärzteschwemme ist Vergangenheit - "mehr Ärzte braucht das Land". Die Union will einen Ausbau der Aus- und Weiterbildungskapazitäten für Ärzte. Der Medizinische Fakultätentag reagiert mit Skepsis, nicht zuletzt wegen der offenen Finanzierung.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Passt noch mehr rein? Die Union plant, die Zahl der Medizinstudienplätze zu erhöhen - ob die Kapazitäten reichen, ist ungewiss.

Passt noch mehr rein? Die Union plant, die Zahl der Medizinstudienplätze zu erhöhen - ob die Kapazitäten reichen, ist ungewiss.

© dpa

BERLIN. "Nach der Ärzteschwemme vor 20 Jahren gibt es mittlerweile absehbar einen deutlichen Mangel an ärztlichem Nachwuchs. Von denjenigen, die ein Medizinstudium begonnen haben, finden sich am Ende zu wenige tatsächlich in der ärztlichen Versorgung wieder."

Dieser Feststellung des Unions-Arbeitskreises Gesundheit in seinem Positionspapier zur Reform der medizinischen Versorgung folgt ein Paradigmenwechsel.

Waren in den vergangenen 30 Jahren alle Anstrengungen der Politik in Bund und Land, nicht zuletzt auch der ärztlichen Selbstverwaltung, darauf gerichtet, Ausbildungskapazitäten knapper zu schneiden und - auch im Interesse der Ausbildungsqualität - bei gegebenen Kapazitäten weniger Studenten auszubilden, so wird nun ein neues Ziel ausgerufen: Bund und Länder sollen einen Aktionsplan unter dem Motto "Mehr Ärzte braucht das Land" ins Leben rufen.

Ziel müsse sein, die Zahl der Studienplätze zu erhöhen. Ferner soll die Zahl der Professuren für Allgemeinmedizin gesteigert werden.

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Bei der Zulassung zum Medizinstudium sollen regelhaft auch Berufs- und Ausbildungserfahrung in anderen medizinischen Berufen angerechnet und persönliche Eignung und Motivation des Bewerbers berücksichtigt werden.

Die Abiturnote sei zwar ein guter Voraussagewert für den Studienerfolg, nicht aber für das Interesse an ärztlicher Versorgung.

Ferner wird vorgeschlagen, dass eine Vorabquote von fünf Prozent für die ambulante oder stationäre Versorgung in künftig unterversorgten Gebieten zum Studium zugelassen werden soll.

Diese Studenten sollen mit Sonderstipendien gefördert werden. Die Inhalte des Studiums müssten sich stärker am "realen Leben in einer Arztpraxis" orientieren.

Beifall von Ärztekammer, Skepsis bei den Unis

Von Ärztekammern kommt Beifall. Sie verstünden sich auch als "Anwälte des ärztlichen Nachwuchses", so der westfälische Kammerpräsident Dr. Theodor Windhorst, der die Pläne für die Nachwuchsförderung und die Erhöhung der Zahl medizinischer Studienplätze unterstützt.

Ausführlich beschäftigt sich der Medizinische Fakultätentag mit den Unionsvorschlägen - und kommt zu einer eher skeptischen Einschätzung.

Anders als häufig behauptet, sei der Schwund im Medizinstudium eher gering; der größte Verlust an Medizinern trete erst nach der Weiterbildung auf, werde aber in den Statistiken von KBV und Bundesärztekammer nicht erfasst.

Außerdem: Gegenwärtig tendieren die Länder in ihrer Realpolitik dazu, Studienplätze abzubauen. Ein großflächiger Abbau von Ausbildungskapazitäten sei durch den Hochschulpakt verhindert worden.

Nur weil der Bund finanzielle Hilfe leistet, werden über 2500 Medizinstudienplätze in den neuen Ländern nicht gestrichen.

Werde die Zahl der Studienplätze erhöht, könne dies auf Kosten der Ausbildungsqualität gehen. Denn die Länder seien nicht bereit, mehr Studienplätze auskömmlich zu finanzieren.

So solle die Überlast der Universitäten für die doppelten Abiturjahrgänge nicht mit den vollen Kosten, sondern nur auf Basis von Grenzkosten kalkuliert werden.

Schätzung des Fakultätentages: Eine dauerhafte Erhöhung der Medizinausbildungskapazitäten um 1000 Plätze würde mehrere hundert Millionen Euro pro Jahr kosten.

Was taugt eine Landarztquote?

Kritisch setzt sich der Fakultätentag auch mit den Vorschlägen zur Zulassung zum Studium auseinander. Derzeit werden maximal 20 Prozent der Studienplätze nach Bestnoten vergeben. Auswahlgespräche und andere Verfahren führten nicht zu einer nachweislich besseren Selektion von Studienanfängern.

Umfragen zeigten, dass 94 Prozent der Studienabsolventen in die kurative Medizin gehen wollen - und das heiße, dass nicht die falschen Studienbewerber ausgewählt werden.

Wer hingegen den Ärztemangel mit einer Senkung des Numerus clausus bekämpfen wolle, laufe Gefahr, eine höhere Abbrecherquote in Kauf zu nehmen.

Von einer Vorabquote für Studenten, die sich bereit erklären, später in unterversorgten Regionen zu arbeiten, hält der Fakultätentag nichts und argumentiert mit bestehenden Vorabquoten. So haben Nicht-EU-Bürger in Deutschland eine Vorabquote, sind also deutschen Bewerbern gegenüber privilegiert.

Während andere EU-Länder für Ausländer Zugangsbeschränkungen praktizieren, sind Bewerber aus der EU den Deutschen in Deutschland gleichgestellt.

Auch Vorabquoten, wie die Sonderquote für die Bundeswehr, hätten nicht den gewünschten Erfolg. Fazit: Die sogenannte Landarztquote hält der Medizinische Fakultätentag für unzumutbar und untauglich; sie führe zu einer Fehlallokation und werde wahrscheinlich auch keinen rechtlichen Bestand haben.

Auch die Bedingungen für die ärztliche Weiterbildung sollen sich nach Vorstellungen der Union verbessern - und zwar auch für die Weiterbilder.

Die Finanzierung müsse so organisiert werden, "dass es für Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte einen Anreiz gibt, sich in der Weiterbildung zu engagieren; sie dürfen jedenfalls nicht mehr draufzahlen müssen".

Initiiert werden sollen Weiterbildungsverbünde zwischen Kliniken und niedergelassenen Ärzten auf dem Land. Sie bräuchten finanzielle Unterstützung, um attraktiv für junge Ärzte zu sein. Die Hoffnung: Wer einmal - nicht nur mit guten Worten, sondern auch mit Geld - aufs Land gelockt sei, bleibe dort kleben.





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