Welttag der Patientensicherheit

Motto: „Sichere Medikation“ – Fehler sind teuer und zum Teil vermeidbar

Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) rückt in den Fokus. Experten setzen auf Aufklärung, Patientenschulung und Digitalisierung, um Medikationsfehler vermeiden zu helfen.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht: | aktualisiert:
Eine Ärztin betreut Senioren und schult sie in medizinischen Fragen. Aufklärung kann ein wichtiges Instrument der Arzneimitteltherapiesicherheit sein.

Eine Ärztin betreut Senioren und schult sie in medizinischen Fragen. Aufklärung kann ein wichtiges Instrument der Arzneimitteltherapiesicherheit sein.

© Robert Kneschke / stock.adobe.com

Berlin. Hinter dem harmlos daherkommenden Begriff der unerwünschten Arzneimittelwirkungen verbergen sich viele menschliche Schicksale und jede Menge struktureller Probleme in der Versorgung.

Darauf haben Vertreterinnen und Vertreter des Aktionsbündnisses Patientensicherheit (APS) am Mittwoch verwiesen. Anlass ist der am Samstag bevorstehende Welttag der Patientensicherheit. Sein Motto lautet „Sichere Medikation“. Das Bündnis will damit eigenen Angaben zufolge Öffentlichkeit für ein einen „wichtigen Dreh- und Angelpunkt der Patientensicherheit“ schaffen.

Korrekte Medikationspläne Fehlanzeige

Etwa 250.000 Krankenhauseinweisungen im Jahr in Deutschland werden auf Medikationsfehler zurückgeführt. Laut APS verursachen Medikationsfehler 1,8 Millionen zusätzliche Krankenhaustage im Jahr. Die Kosten dafür belaufen. sich auf jährlich rund 600 Millionen Euro. Eine Erhebung bei 500 „Apothekenpatienten“ in Westfalen-Lippe hat gezeigt, dass nur bei 6,5 Prozent der Patienten ein korrekter Medikationsplan geführt wurde. 30 Prozent der Pläne wiesen Lücken auf, die Selbstmedikation fehlte. 18 Prozent der Pläne enthielten längst abgesetzte Medikamente, 11 Prozent notierten falsche Dosierungen.

Eine weitere Untersuchung in Bayern dazu hat 2020 ergeben, dass nur rund ein Fünftel der Personen, die drei oder mehr Arzneien regelmäßig einnahmen, überhaupt einen Medikationsplan besitzt.

APS: Viele Krankenhausaufnahmen lassen sich vermeiden

40 Prozent der Patientinnen und Patienten, die drei oder mehr Medikamente gleichzeitig einnehmen, hatten laut APS schon einmal Probleme mit ihrer Medikation. Von Ärzten in Praxis und Krankenhaus ausgelöste Medikationsfehler werden vergleichsweise selten berichtet. Die Statistik der Bundesärztekammer verzeichnet für das Jahr 2020 genau 50 niedergelassenen Ärzten eindeutig zuzuordnende Medikationsfehler aus und 83 von Krankenhausärzten begangene.

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Das APS warnt gleichwohl vor wachsenden Gefahren durch Medikationsfehler in der Versorgung. Zentral sei, die Aufmerksamkeit der im Gesundheitswesen Beschäftigten für die Risiken zu schärfen. Etwa die Hälfte aller arzneimittelbezogenen Krankenhausaufnahmen sei vermeidbar, betonte die Vorsitzende des Aktionsbündnisses Dr. Ruth Hecker, selbst ehemalige Notärztin, bei einer Pressekonferenz am Mittwoch in Berlin. „Patientenverwechslung sowie falsche Medikamentengabe zählten zu den zentralen Sicherheitsproblemen und könnten mittels digitalisierter Prozesse verbessert werden“, sagte Dr. Peter Gausmann, der die APS in der Arbeitsgruppe Arzneimitteltherapiesicherheit vertritt.

Globaler Aktionsplan: Traditionelle Arzneien berücksichtigen

Der Globale Aktionsplan für Patientensicherheit hat eine Laufzeit bis 2030. Er bezieht sich im Wesentlichen auf Schutz vor Patientenschäden, die sich aus Hochrisikosituationen, Polypharmazie und Übergängen in der Versorgung ergeben. Dazu fördert er das Erstellen von Leitlinien und Aktionsplänen, die auch traditionelle und komplementäre Arzneimittel einbeziehen sollten. Zudem versucht er das Wissen über Gesundheit allgemein, die Wechselwirkungen von Arzneien und das Wissen über Dosierung und Einnahme zu verbreitern.

Für den APS-Vize Constantin Grosch gelten Patientenschulungen und die Verbreiterung der Gesundheitskompetenz als Schlüssel für mehr Arzneimitteltherapiesicherheit. Patienten sollten auch auf Allergien und Unverträglichkeiten angesprochen werden, um unerwünschte Wechselwirkungen mit Medikamenten zu vermeiden. Grosch führte auch das Verblistern der Medikamente gleich in der Apotheke ins Feld um Patienten die fehlerlose Einnahme so weit wie möglich zu erleichtern.

Digitalisierte Prozesse können Sicherheit schaffen

Der Vertreter der APS in der AG Arzneimitteltherapiesicherheit Dr. Peter Gausmann verwies auf die Möglichkeiten der Digitalisierung. Patientenverwechslungen und falsche Medikamentengaben zählten zu den zentralen Sicherheitsproblemen. Sie könnten mittels digitalisierter Prozesse verbessert werden. In der Arbeitsgruppe wirken zahlreiche Institutionen aus dem Gesundheitswesen mit, auch der Hausärzteverband, Krankenkassen, das BfArM, Apothekerkammern und Universitäten. Gausmann verwies darauf, dass der Datenschutz nach wie vor sinnvolle digitale Verbesserungen erschwere.

Birgit Vogt von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) verwies auf die Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit der Apotheker, der Behandler und der Pflegekräfte. Elektronische Medikationspläne und die elektronische Patientenakte sollten weiterentwickelt und genutzt werden, erklärte Professor Petra Thürmann, Leiterin der Koordinierungsgruppe der AkdÄ.

Hecken: Innofonds befasst sich mit AMTS

Der Welttag der Patientensicherheit greife ein zentrales Thema der medizinischen Versorgung auf, sagte der Unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) Professor Josef Hecken. Er verwies auf Modellprojekte des Innovationsfonds. So habe sich das Projekt ARena mit dem aufwachsenden Problem der Antibiotikaresistenzentwicklung auseinandergesetzt. Ärztinnen und Ärzte seien dabei unterstützt worden, wie Antibiotika gezielt eingesetzt werden können.

Multimedikation bei älteren Menschen habe das Projekt AdAM in den Fokus genommen. Es untersuchte , ob die Gefahr von gefährlichen Neben- und Wechselwirkungen, die mit der Anzahl der eingenommenen Medikamente steige, wirksam mithilfe eines digital-gestützten Arzneimitteltherapie- und Versorgungs-Managements der behandelnden Hausärztinnen und Hausärzte gemindert werden könne, berichtete Hecken. Der Abschlussbericht liegt noch nicht vor.

Auch Kinder und Jugendliche könnten betroffen sein, sagt Hecken. Hier fördere der Innovationsausschuss das Projekt MEKIH, das sich der Analyse von Medikationsfehlern bei Kindern und Jugendlichen widme.

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