HINTERGRUND

Mutter psychisch krank, Kind gefährdet -  das ist falsch!

Raimund SchmidVon Raimund Schmid Veröffentlicht:
Gefahr kann entstehen, wenn keine innere Bindung zum Kind existiert.

Gefahr kann entstehen, wenn keine innere Bindung zum Kind existiert.

© Foto: imago

Fälle von Kindtötungen haben in den vergangenen Monaten immer wieder die Schlagzeilen in den Medien bestimmt. Unter den Tätern waren vereinzelt auch Mütter mit schweren psychischen Erkrankungen.

Fälschlicherweise ist dabei in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, psychisch kranke Menschen stellten eine besondere Bedrohung für ihre Kinder dar, kritisieren die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) sowie die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP). Beide Verbände wollen verhindern, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen pauschal stigmatisiert werden.

In vielen Fällen hilft ein rechtzeitiges Risikomanagement

Unstrittig ist, dass eine sehr kleine Teilgruppe von Menschen mit psychischen Erkrankungen zeitweise eine erhöhte Gewaltbereitschaft zeigt. Für diese Menschen gibt es aber in der Regel ein Risikomanagement mit gestuften Eingriffen in Krisenzeiten, das im Alltag recht gut greift, sagt Professor Dr. Johannes Hebebrand aus Essen, Präsident der DGPPN.

Außer diesem Risikomanagement ist für diese Minderheit psychisch kranker Mütter auch eine Primärprävention sinnvoll. Eine Kultur des Hinschauens, die Unterstützung schwacher und gefährdeter schwangerer Frauen und Mütter sowie die bessere Vernetzung der Hilfssysteme sind dazu erforderlich. Nötig sei aber vor allem eine engmaschige, aufsuchende und psychiatrische Betreuung der Frauen, gerade wenn bereits früher Gewalt in den Familien vorgekommen ist oder wenn die Mütter mit kleinen Kindern Suizidgedanken äußern. Das Risiko für Kinder, so Hebebrand, lasse sich dann zumindest eingrenzen.

Kindstötungen gehen aber in der Regel nicht von solchen psychisch kranken Müttern aus, stellt Hebebrand fest, der Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie an den Rheinischen Kliniken in Essen ist. Kindstötungen, die unmittelbar nach der Geburt begangen werden, werden überwiegend von jungen Frauen verübt, die von der Familie abhängig und psychisch unreif sind. Diese Frauen litten aber meist nicht an einer psychischen Erkrankung, so Hebebrand.

Sie hätten vielmehr häufig Persönlichkeitsprobleme mit einer ausgeprägten Fähigkeit, Probleme zu verleugnen. Zudem können sie keine innere Bindung zum ungeborenen Kind entwickeln. Da solche Frauen für Helfer nur schwer zu erreichen sind, könne eine Kindtötung in diesen Fällen oft nur schwer verhindert werden.

Auslöser kann häufig eine Überlastungssituation sein

Bei der Tötung minderjähriger Kinder innerhalb des ersten Lebensjahres ist häufig ein aktiver Impulsdurchbruch in einer Überlastungssituation der Auslöser einer schweren Krise. Dies kann - in seltenen Fällen - dazu führen, dass eine Mutter ihren Säugling oder ihr Kleinkind schädigt oder gar tötet. Möglich ist dies etwa bei einer psychisch instabilen Mutter, die wenig Unterstützung durch ihren Partner oder ihre Familie erfährt oder die mit einem gewalttätigen Partner zusammenlebt. Gerade in solchen Fällen ist die Tötung des Kindes nicht selten auch das Ergebnis einer Kindesmisshandlung.

Bei der Tötung minderjähriger Kinder nach dem ersten Lebensjahr - jährlich etwa 100 bis 130 Fälle - sind drei Viertel der Täterinnen oder Täter Menschen ohne psychische Erkrankungen. Vielmehr sind diese Eltern eher sozial verwahrlost und weisen emotionale Störungen auf, erläutert Hebebrand.

Nur bei 25 Prozent der Frauen, die ihre Kinder nach dem ersten Lebensjahr getötet haben, lagen psychische Erkrankungen vor, entweder schwere Depressionen mit Suizidgefahr oder akute schizophrene Krankheitszustände.

FAZIT

Der Anteil von Frauen mit psychischen Erkrankungen, die ihre Kinder nach der Geburt oder nach dem ersten Lebensjahr töten, ist geringer als allgemein vermutet. Mütter dagegen, die sozial verwahrlost sind und emotionale Defizite aufweisen, entsprechen viel eher einem typischen Täterprofil, stellen die Fachgesellschaften DGPPN und DGKJP fest. Die Rekonstruktion zurückliegender Fälle zeige, dass Kinder in emotional labilen Familien in Krisensituationen Gefahr laufen, misshandelt zu werden.

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