Contergan

NRW lässt einen Skandal aufarbeiten

Welche Rolle hat NRW im Contergan-Skandal gespielt? Die Landesregierung will diese Frage jetzt beantworten lassen. Grünenthal bietet Unterstützung an. Das Firmenarchiv bleibt aber geschlossen.

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Will Transparenz herstellen: Ministerin Barbara Steffens am Dienstag.

Will Transparenz herstellen: Ministerin Barbara Steffens am Dienstag.

© Jan-Philipp Strobel / dpa

DÜSSELDORF. Historiker der Universität Münster werden die Rolle des Landes Nordrhein-Westfalen in der Contergan-Tragödie prüfen. Bis Ende 2015 sollen sie Erkenntnisse darüber vorlegen, ob sich die damalige Landesregierung und die zuständigen Behörden im Umgang mit dem Arzneimittel-Skandal und seinen Folgen korrekt verhalten haben.

"Es ist mir wichtig, Transparenz herzustellen", begründete Landesgesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) die Vergabe des Forschungsauftrags an Professor Thomas Großbölting und seine Mitarbeiter vom Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Münster.

Bislang gebe es lediglich Spekulationen darüber, dass sich Politik und Justiz aus Rücksicht auf das Unternehmen Grünenthal nicht richtig verhalten haben könnten. "Es gibt nichts wirklich Substanzielles", sagte sie.

Für viele Contergan-Geschädigte sei die Aufarbeitung der geschichtlichen Zusammenhänge wichtig. Nach Steffens Erfahrung trifft dies insbesondere auf die betroffenen Mütter zu, die sich häufig mit der Frage quälten, ob sie noch mehr für ihre Kinder hätten tun können. "Wir haben nicht mehr viel Zeit, um diese Zweifel zu beseitigen."

Bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung werden nach Angaben von Großbölting zwei Fragen im Zentrum stehen: Warum wurde der Vertrieb des Arzneimittels mit dem Wirkstoff Thalidomid, das 1957 auf den Markt gekommen war, erst 1961 gestoppt? Wie genau sahen die Abläufe beim Ermittlungs- und dem späteren Strafverfahren aus?

Grünenthal bietet Gespräche an

Zur Beantwortung werden die Historiker rund 800 Aktenbände durcharbeiten. Sie stammen aus dem Landesarchiv und den Archiven von Landesbehörden und der Justiz.

Der Historiker sieht die Untersuchung auch als kleinen Beitrag zur Geschichte der politischen Kultur in der Bundesrepublik in den 1950er und 1960er Jahren. "Wir hoffen, einiges an Ergebnissen zu Tage zu fördern, das über den Contergan-Skandal hinausweist."

Die Wissenschaftler würden es begrüßen, wenn Grünenthal ihnen für die Forschung auch das Firmenarchiv öffnen würde. Der Erfolg des Projekts, für das 80.000 Euro zur Verfügung stehen, hänge davon aber nicht ab, betonte Großbölting.

Grünenthal habe den Forschern Gespräche angeboten, sagte Kommunikationschef Frank Schönrock der "Ärzte Zeitung". Das Archiv könne das Unternehmen zurzeit aber nicht öffnen. Grund seien die anhängigen Sammelklagen auf Schadenersatz in den USA und Australien.

"Wir können Externen keinen Zugang zu den Dokumenten geben. Erst müssen die Gerichte sie sichten und würdigen", erläuterte er. Grünenthal stehe den Wissenschaftlern aber zur Beantwortung von Fragen zur Verfügung und biete ihnen Unterstützung bei der Suche nach weiteren Quellen an, sagte Schönrock.

Die Arbeit der Münsteraner Historiker wird von einem wissenschaftlichen Beirat mit Vertretern aus verschiedenen Fächern unterstützt. Zu ihnen gehört Professor Bettina Schöne-Seifert vom Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der Uni Münster. (iss)

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