Gastbeitrag

Organspende: Bei der Widerspruchslösung wird niemand zum Objekt degradiert

In den meisten europäischen Ländern gibt es mehr Organspender als in Deutschland. Studien zeigen, dass die Widerspruchslösung mit signifikant höheren Spenderzahlen einhergeht. Daher sollte die Regelung auch bei uns kommen.

Ein Gastbeitrag von Professor Armin Grau Veröffentlicht:
Wie die Spenderzahlen nach oben bringen? Zwei Arbeiter montieren am niedersächsischen Sozialministerium in Hannover ein Plakat zur Organspende.

Wie die Spenderzahlen nach oben bringen? Zwei Arbeiter montieren am niedersächsischen Sozialministerium in Hannover ein Plakat zur Organspende.

© Julian Stratenschulte /dpa / picture alliance

Im Jahr 2024 haben in Deutschland 953 Menschen nach ihrem Tod Organe für Transplantationen gespendet. Damit sind die seit Jahren auf niedrigem Niveau stagnierenden Zahlen im Vergleich zum Vorjahr nochmals etwas gesunken. Angesichts der rund 8.500 Menschen, die auf der Warteliste für ein Spenderorgan stehen, ist das ein alarmierendes Signal.

In den vergangenen Jahren wurden eine Vielzahl von Aufklärungskampagnen und wichtige Reformen in den Krankenhäusern umgesetzt – darunter die Verpflichtung zur Bestellung von Transplantationsbeauftragten für alle Intensivstationen sowie eine verbesserte Vergütung für die Entnahmekrankenhäuser. Diese Maßnahmen haben leider nicht zu der erhofften Steigerung der Spenderzahlen geführt.

Seit vielen Jahren Stagnation

Woran liegt das? Aktuell haben trotz einer in Umfragen hohen Spendenbereitschaft rund 40 Prozent der Menschen in unserem Land keinen Organspendeausweis und haben sich auch sonst nicht zur Organspende geäußert.

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Im Rahmen der heute gültigen Zustimmungslösung müssen dann die Angehörigen die Entscheidungen in Sachen Organspende nach dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen fällen. Diese fühlen sich in dieser Situation sehr oft überfordert und lehnen eine Organspende häufig ab.

Bei der Widerspruchsregelung werden die Angehörigen genau so intensiv einbezogen. Sie werden gefragt, ob ihnen eine Äußerung des Verstorbenen zur Organspende bekannt ist. Die Angehörigen sind Informationsübermittler, aber sie stehen nicht mehr unter dem großen Druck, nach dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen entscheiden zu müssen.

Angehörigen den Druck nehmen

In den meisten europäischen Ländern gibt es deutlich mehr Spender als in Deutschland. Viele Studien zeigen, dass die sogenannte Widerspruchsregelung mit signifikant höheren Spenderzahlen einhergeht. Die meisten Länder haben diese Lösung bereits eingeführt. In allen Ländern mit Widerspruchslösung ist die Spenderate höher als bei uns.

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Die Widerspruchsregelung ist nicht die alleinige Lösung, aber sie ist ein unabdingbares Element bei der Erhöhung der sehr niedrigen Spendenzahlen in Deutschland, nachdem viele bisherige Maßnahmen nicht wirkten.

Bei der Organspende gilt es abzuwägen zwischen dem Recht auf Leben der vielen verzweifelten Menschen auf den Wartelisten und dem Selbstbestimmungsrecht möglicher Spender. Auch bei der Widerspruchsregelung wird das Selbstbestimmungsrecht gewahrt.

Zeitlebens aktive Entscheidung treffen

Niemand wird gegen seinen Willen zu einer Organspenderin oder einem Organspender. Niemand wird zum Objekt degradiert, instrumentalisiert, oder verdinglicht. Jeder Mensch gehört weiterhin sich selbst. Der Widerspruchslösung ist der Apell immanent, zeitlebens eine aktive Entscheidung zu treffen.

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Nicht wenige Menschen bei uns erhalten Organe aus anderen Ländern, bei denen meist die Widerspruchsregelung gilt. Deutschland profitiert also bereits von der Widerspruchsregelung. Auch das ist zu berücksichtigen.

Nach den vielen schon ergriffenen Maßnahmen fehlt uns in Deutschland die Widerspruchsregelung, die aktuell entscheidungsreif und gut vorbereitet ist. Sie sollte daher zügig umgesetzt werden.

Armin Grau ist Abgeordneter der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen und habilitierter Neurologe.

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Kommentare
Lilith Engel 03.11.202515:14 Uhr

Eine Widerspruchsregelung muss aber unbedingt barrierefrei umgesetzt werden!
Nicht jeder kann die eID-Funktion des Personalausweises (kein kostenpflichtiges Lesegerät, kein Smartphone) nutzen oder ist überhaupt im Internet unterwegs.

Ich spende jedenfalls meine Organe auf keinen Fall, denn ich will auch nach meinem Tod nicht verantworten, die Nachwirkungen meiner Krebsbehandlung oder meine Autoimmunkrankheiten weiterzugeben, woran dann potentielle Empfänger erkranken könnten, was definitiv nicht ausgeschlossen ist.

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