Deutsches Krebsforschungszentrum

Preis eines Krebsmedikaments am Wert orientieren anstatt an den Kosten

Zwischen 800 Millionen und knapp 3,9 Milliarden Euro liegen einer Analyse des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) zufolge die Kosten für die Entwicklung eines Onkologikums. Laut DKFZ spricht dennoch mehr für eine am Wert einer Arznei orientierte Preisfindung als für die reine Kostenorientierung.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Probenabfüllung im Labor: Die Entwicklung neuer Onkologika ist in der Regel teuer und zeitaufwändig.

Probenabfüllung im Labor: Die Entwicklung neuer Onkologika ist in der Regel teuer und zeitaufwändig.

© Armin Weigel / dpa / picture alliance

Heidelberg. Die Entwicklung neuer Medikamente ist ein riskanter, langwieriger und teurer Prozess. Nach wie vor ist umstritten, wie viel Investitionen tatsächlich erforderlich sind, um einen Wirkstoff mit neuartiger molekularer Struktur auf den Markt zu bringen.

Die Kontroverse wird durch Vorschläge angeheizt, den steigenden Preisen für neue Medikamente dadurch zu begegnen, dass Höchstpreise aus den tatsächlich entstandenen Entwicklungskosten abgeleitet werden – eine gerade für die onkologische Pipeline nicht unbedingt förderliche Tendenz.

Angesichts der großen Heterogenität der veröffentlichten Schätzungen, die von 161 Millionen US-Dollar (137 Millionen Euro, alle Kosten in Preisen von 2019) bis zu 4,54 Milliarden US-Dollar (3,86 Milliarden Euro) reichen, hat ein Team von Gesundheitsökonomen und Krebsforschern vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg und vom Deutschen Konsortium für translationale Krebsforschung (DKTK) unter der Leitung des Gesundheitsökonomen Professor Michael Schlander und Karla Vanessa Hernandez-Villafuerte eine umfassende Analyse der wissenschaftlichen Literatur zu diesem Thema vorgenommen.

Knackpunkt Entwicklungsrisiko

Ihre nun veröffentlichte Studie beleuchtet wesentliche Gründe für die große Heterogenität der Schätzungen.

Die Analyse bestätigt nicht nur den langfristigen Trend stetig steigender Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) pro neu zugelassenem neuen Wirkstoff. Sie zeigt auch Unterschiede nach Therapiegebieten auf, wobei die jüngsten Schätzungen für Onkologika mit einigem Abstand am höchsten ausfielen – von umgerechnet 802 Millionen bis 3,86 Milliarden Euro.

Eine Teilerklärung für die große Spanne könnte, so Schlander, darin liegen, dass der niedrigere Wert einer Studie entstammt, die nur Projekte von erfolgreichen kleinen Firmen einbezog, also das Entwicklungsrisiko nicht adäquat berücksichtigte.

Für den DKFZ-Vorstandsvorsitzenden Professor Michael Baumann bedarf es in der Debatte um die Preisfindung für künftige Onkologika mehr an belastbarem Datenmaterial für die fundierte Diskussion. „Gerade in Bezug auf neue Krebsmedikamente wird die Debatte über steigende Entwicklungskosten bereits seit vielen Jahren intensiv geführt. Um zu belastbaren Kostenschätzungen zu kommen, brauchen wir daher robuste Analysen, die wirklich alle relevanten Parameter zuverlässig berücksichtigen und gewichten“, betont der Koautor der aktuellen Publikation.

Punktesystem vorgeschlagen

Die drei Parameter Barausgaben, Entwicklungsrisiko und Zeit bis zur Markteinführung können je nach Projekt variieren, warnen die Autoren weiter. Der Blick auf die Durchschnittskosten könne daher wichtige Unterschiede zwischen den Produkten verschleiern. Diese Besorgnis werde durch ihre Beobachtung verstärkt, dass in der veröffentlichten Literatur ein Kompromiss zwischen der Transparenz der verwendeten detaillierten Daten und der Spezifität der durchgeführten Analysen bestehe.

Bei der Bewertung der Zuverlässigkeit der Studien konnte keine der veröffentlichten Analysen in beiden Dimensionen gleichzeitig überzeugen, heißt es. Das DKFZ-Team habe daher ein Punktesystem für die Verlässlichkeit vorgeschlagen, das als Orientierungshilfe für die künftige Forschung dienen solle.

Preispolitik nimmt Anreize

Die DKFZ-Ökonomen betonen, dass ihre Forschung nicht dazu gedacht gewesen sei, die Idee einer kostenbasierten Preisgestaltung für neue Arzneimittel zu unterstützen – unter anderem auch aus der grundsätzlichen Erwägung heraus, dass eine Preispolitik auf Kostenbasis den Herstellern die Anreize nehmen könne, Forschung und Entwicklung zu beschleunigen und effizient zu betreiben. Auch aus ökonomischer Sicht sprächen gewichtige Argumente für eine am Wert eines Medikaments orientierte Preisfindung gegenüber einer reinen Kostenorientierung, konstatieren die DKFZ-Vertreter.

„Für die Erstattung und die Preisgestaltung sollte der Mehrwert eines Produkts ausschlaggebend sein, nicht die Ressourcen, die für die Entwicklung, Herstellung und den Vertrieb aufgewendet werden. Die Kosten können – wenn überhaupt – nur in Ausnahmefällen eine Rolle spielen, etwa bei Arzneimitteln für extrem seltene Krankheiten.

In diesen Fällen sollte die Frage jedoch richtiger lauten, wie der volle gesellschaftliche Wert erfasst werden kann, anstatt die Kosten als Grundlage für die Preispolitik zu akzeptieren“, konkretisiert Gesundheitsökonom Schlander.

Auch eine Frage des Moleküls?

Die Studie des DKFZ-Teams ergab auch Hinweise auf weitere Ursachen für die Variation der F&E-Ausgaben pro neuem Wirkstoff. So fanden die Ökonomen Publikationen, die auf höhere Erfolgsquoten bei der Entwicklung großer Moleküle – Biologika einschließlich monoklonaler Antikörper – im Vergleich zu kleinen Molekülen und damit herkömmlichen chemischen Verbindungen hindeuten.

Ebenso hätten einlizenzierte Wirkstoffe wahrscheinlich eine höhere Erfolgsquote als Moleküle, die aus der eigenen Forschung eines Unternehmens stammten. Schlüssige Beweise für die verbreitete Annahme, dass kleine Firmen erfolgreicher seien als große biopharmazeutische Unternehmen, haben die Wissenschaftler laut DKFZ jedoch nicht gefunden.

Einige Studien deuteten darauf hin, dass die F&E-Kosten für die Entwicklung von Orphan Drugs im Durchschnitt nur etwa halb so hoch seien wie die Entwicklungskosten für Präparate gegen häufige Krankheiten. Schlander weist in diesem Kontext jedoch darauf hin, dass die Kosten pro Patient dennoch sehr viel höher sein könnten – insbesondere bei Arzneien für extrem seltene Krankheiten.

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