IT-gestützte Triage

SmED hilft, künftig Notfälle richtig einzuschätzen

Die Notfallversorgung startet ins digitale Zeitalter: Am Montag hat die KBV ein softwarebasiertes Instrument zur Begutachtung von Notfallpatienten vorgestellt.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:

BERLIN. Die Notfallambulanzen der Krankenhäuser sind überfüllt. Viele Menschen in Deutschland kennen die Bereitschaftsdienste der Kassenärzte nicht mehr. Um echte Notfälle von Bagatellen besser unterscheiden zu lernen, setzen Vertragsärzte und Krankenhäuser künftig auf Informationstechnologie. 2019 steigen elf Kassenärztliche Vereinigungen, die KBV, AOKen und Ersatzkassen (vdek), Universitätskliniken und das Deutsche Krankenhausinstitut großflächig in die standardisierte Ersteinschätzung – auch schon am Telefon – ein.

Auf der Basis eines in der Schweiz seit Jahren eingesetzten Verfahrens haben das Göttinger aQua-Institut und das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung ein strukturiertes medizinisches Ersteinschätzungsverfahren für Deutschland (SmED) entwickelt. Das Projekt wird mit 3,7 Millionen Euro für drei Jahre vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschuss gefördert. Untersucht werden soll, welche Steuerungswirkung auf Patientenströme sich damit entfalten lassen.

"Das Verfahren soll geschultes Fachpersonal unterstützen, dem Patienten hilfreiche und gut dokumentierte Empfehlungen geben zu können", sagte der Geschäftsführer des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung (Zi) Dominik Graf von Stillfried bei der Vorstellung am Montag in Berlin.

Test an 25 Krankenhausstandorten

Getestet werden soll SmED ab 2019 im Rahmen einer Systeminterventionsstudie in den über die Bereitschaftsdienstnummer 116 117 erreichbaren Leitstellen von zunächst elf Kassenärztlichen Vereinigungen. Zudem soll es an 25 Krankenhausstandorten in gemeinsam von Vertrags- und Klinikärzten betriebenen Integrierten Notfallzentren eingesetzt werden.

„Der Gang in die nächste Krankenhaus-Notaufnahme scheint vielen Menschen die richtige und vor allem die schnellste Lösung zu sein, obwohl ihnen durch einen niedergelassenen Bereitschaftsarzt, einen Termin am nächsten Tag oder sogar nur mit der Hausapotheke ausreichend geholfen wäre“, sagte KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister bei der Vorstellung des Projekts am Montag in Berlin. "Mit der Investition in eine verbesserte telefonische Erreichbarkeit leisten die Kassenärztlichen Vereinigungen einen wichtigen zusätzlichen Beitrag zur Sicherstellung. Die Krankenhäuser und die Bereitschaftspraxen sollen von den sogenannten unechten Notfällen entlastet werden."

Notfallmediziner stehen dem System noch reserviert gegenüber. Nach aktuellem Kenntnisstand könne der Einsatz in den Telefonzentralen, aber auch zum Terminmanagement in Haus- und Facharztpraxen empfohlen werden, heißt es in einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA).

Skepsis bei Notfallmedizinern

Die Notfallmediziner in den Kliniken setzen derzeit auf andere Triage Systeme wie den Emergency Severity Index und die Manchester Triage. Die Vorteile beständen darin, dass zusätzlich zu den klinischen Symptomen, auch Vitalwerte und Ressourcen der Patienten beurteilt werden könnten. Somit könnten auch Patienten als Risikopatienten identifiziert werden, die nicht in der Lage seien, sich adäquat zu artikulieren.

Auch Selbsteinweiser könnten echte Notfälle sein, bemerkte zudem Professor Harald Dormann vom DGINA-Vorstand an. Immerhin 30 Prozent der Notfallpatienten seien älter als 70 Jahre. Oft hätten sie atypisch Symptome. Beispiel: Ältere Menschen haben trotz Blutvergiftung kein Fieber. Gleichwohl könne der Einsatz von SmED über die 116 117 und zum Terminmanagement in Haus- und Facharztpraxen empfohlen werden, sagte Dormann.

Zunächst sollte nach Auffassung von Dorman SmED im Niedrigrisikobereich zum Einsatz kommen. Mögliche Einsatzszenarien für die Software könnten allerdings erst nach der Evaluation in drei Jahren beurteilt werden.

Nicht nur die KVen, auch Wissenschaftler und Gesundheitspolitiker bringen sich in Stellung für die Reform der Notfallversorgung, die vor einer heißen Phase der Diskussion steht. Abgeordnete der Grünen haben am Freitag die Einführung eines Facharzts für Notfallmedizin in Deutschland gefordert.

Das sei aus Qualitätsgründen sinnvoll, sagte eine der gesundheitspolitischen Sprecherinnen, Kirsten Kappert-Gonther, bei einem Fachgespräch der Fraktion im Bundestag. Für den 2. Juli hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen das Gutachten "Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitswesen" angekündigt. Es enthält auch ein Kapitel zur Notfallversorgung, das in Auszügen bereits im September 2017 in Berlin öffentlich diskutiert worden ist.

Der Beitrag wurde aktualisiert am 25.6.2018 um 16.20 Uhr

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Software für den Notfall

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