So sparen die anderen: der britische NHS

Was in Deutschland noch heiß diskutiert wird, hat die neue britische Regierung schon vorgelegt: Ein Sparprogramm für das Gesundheitswesen. Doch die Verwaltung des NHS hat schon viele Reformen ausgesessen.

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:
Die neue britische Regierung unter David Cameron muss sparen - auch bei der "heiligen Kuh" NHS.

Die neue britische Regierung unter David Cameron muss sparen - auch bei der "heiligen Kuh" NHS.

© Xinhua / imago

In Großbritannien streiten Gesundheitspolitiker, Ärzteschaft und andere Gesundheitsberufe um die Zukunft des staatlichen Gesundheitswesens. Zwar strebt die neue britische Regierung Einsparungen in Milliardenhöhe im National Health Service (NHS) an - aber nur bei der Bürokratie: "Wir planen, die NHS-Verwaltungskosten um ein Drittel zu senken. Operationen und andere medizinische Dienstleistungen bleiben verschont", verspricht Gesundheitsminister Andrew Lansley.

Beobachter weisen darauf hin, dass bislang noch jede neue Regierung nach ihrem Einzug in die Londoner Downing Street versprochen hat, den NHS-Amtsschimmel an einen kürzeren Zügel zu legen, nur um später mehr oder weniger alles beim alten zu lassen. Einige Regierungen, darunter auch die abgewählte Labour-Regierung, erhöhten sogar die Verwaltungsausgaben des NHS.

Staatlicher NHS -  garantiert das schlanke Verwaltung?

Der NHS wird, anders als das deutsche Gesundheitswesen, zum Großteil aus Steuermitteln finanziert. Britische Gesundheitspolitiker weisen gerne darauf hin, dass dieses Finanzierungsmodell jährlich Millionenbeträge an Verwaltungskosten spare. "Kliniken und Ärzte brauchen keine Rechnungen schreiben, das spart Zeit und Geld", sagte der ehemalige Labour-Gesundheitsminister Frank Dobson der "Ärzte Zeitung". Freilich: In den vergangenen Jahren sind die Verwaltungskosten des NHS stetig gestiegen. Britische Ärzteverbände sagen, dies sei eine Folge von immer neuen Eingriffen der Politik in die Arbeit von Haus- und Fachärzten. So würden zum Beispiel ständig neue Messdaten verlangt, anhand derer die Versorgungsqualität gemessen werden soll. Damit soll nun Schluss sein. Die Regierung Cameron kündigte an: "Die NHS-Verwaltungskosten müssen bis 2014 um ein Drittel gesenkt werden."

Erster Schritt laut Gesundheitsminister Lansley: Staatliche Kliniken sollen nicht länger verpflichtet sein, Patienten eine bestimmte maximale Wartezeit auf Operationen oder fachärztliche Konsultationen garantieren zu müssen. Dabei versuchte Lansley zu beruhigen, dass die medizinische Versorgung durch die Budgetkürzungen nicht beeinträchtigt werde. Nach Ansicht der Regierung kann der NHS "jährlich drei Prozent" seiner Ausgaben allein dadurch sparen, indem "effizienter gearbeitet" werde. Unklar ist, was das genau für Praxen und Kliniken bedeuten würde. In Medienberichten wird geargwöhnt, es handele sich bei diesen Ankündigungen um "politische Schaumschlägerei" ("The Times").

Auffällig ist bei der Debatte über Kürzungen der Mangel an konkreten Vorschlägen, wo und wie genau gespart werden kann. Zwar kündigte der Gesundheitsminister "deutliche Kürzungen des IT-Programms" an - allerdings ohne Zahlen oder Projekte zu nennen.

Verglichen mit anderen Ressorts kommt der Gesundheitsetat bei den angekündigten Kürzungen noch glimpflich davon. In Zahlen: das Transportministerium muss in den nächsten vier Jahren 780 Millionen Pfund (rund 975 Millionen Euro) oder 7,2 Prozent seines Etats kürzen. Die Lokalverwaltungen (3,8 Prozent), das Wirtschaftsministerium (1,1 Prozent) und das Bildungs-Ressort (3,2 Prozent) kommen nur wenig besser davon. "Im Vergleich zu anderen Ressorts fallen die geplanten Einsparungen im Gesundheitswesen relativ mild aus", sagt Jenny Hope, Redakteurin der Tageszeitung "Daily Mail". Und: "Trotz aller Versprechungen der Regierung werden wir nicht darum herumkommen, das Versorgungsangebot zu kürzen."

Der britische Ärztebund (British Medical Association, BMA) sieht das ähnlich. Die BMA kritisierte die Sparmaßnahmen scharf. "Der großen Verlierer werden wieder die Patienten sein", vermutet BMA-Sprecher Dr. Mark Porter. Viele NHS-Klinikverwaltungen bereiteten Listen vor, auf denen Operationen und andere Behandlungen stehen, die als "nicht kosteneffizient" eingestuft werden.

NHS ist bis heute die heilige Kuh der Sozialpolitik

Dazu zählen laut BMA unter anderem Gelenkoperationen bei adipösen Patienten. "Diese Eingriffe werden demnächst vom NHS nicht mehr angeboten", sagt Porter. Betroffen seien jährlich "tausende Patienten". Damit ist für die BMA klar, dass die Regierung auch Kürzungen bei den "Front line services", also Operationen und Therapien, beabsichtigt. Das ist politisch riskant, da der NHS bis heute als die heilige Kuh britischer Sozialpolitik gilt.

Da Kürzungen bei Leistungen für Patienten aber politisch schwer durchzusetzen sind, könnte es auf eine Erhöhung der Beiträge zur staatlichen Krankenversicherung (National Insurance, NI) hinauslaufen. So ließen sich milliardengroße Löcher im Staatshaushalt stopfen. Im vergangenen Jahr haben die Patienten rund 97 Milliarden Pfund (rund 121 Milliarden Euro) an NI-Beiträgen gezahlt.

"Die kommenden Monate werden gesundheitspolitisch heiß", urteilt "The Times". Es gehe darum zu entscheiden, welche Gesundheitsleistungen bezahlbar sind und welche dem Rotstift zum Opfer fallen.

Der National Health Service (NHS) wurde 1948 gegründet und bezeichnet sich selbst als das weltweit größte öffentlich finanzierte Gesundheitssystem. Der NHS beschäftigt 1,7 Millionen Menschen - mehr Mitarbeiter haben nur die chinesische Armee, Wal-Mart und die indische Eisenbahn, heißt es. Zum NHS gehören 120 000 Ärzte an Kliniken, 40 000 Hausärzte, 400 000 Schwestern oder Pfleger sowie 25 000 Mitarbeiter in Ambulanzen. Insgesamt werden im NHS in England, Schottland, Wales und Nord-Irland über 60 Millionen Menschen versorgt. Kontrolliert wird das NHS vom Gesundheitsministerium, wobei die Aufsicht auf zehn Strategic Health Authorities verteilt ist. Diese wiederum beaufsichtigen regionale NHS-Trusts. (fst)

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