So was wie Selbstverteidigung in der Höhle des Löwen

Auf einer Gewerkschaftsveranstaltung in Berlin verteidigt Gesundheits-Staatssekretär Daniel Bahr (FDP) die Eckpunkte der Koalition zur Gesundheitsreform.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:

BERLIN. Ein leichter Gang ist das nicht für Daniel Bahr. Der Gesundheits-Staatssekretär und FDP-Politiker soll auf einer Veranstaltung des vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) initiierten Aktionsbündnisses "Köpfe gegen Kopfpauschale" die am Dienstag von der Koalition vorgelegten Eckpunkte für eine Gesundheitsreform erläutern.

Freunde schwarz-gelber Gesundheitspolitik finden sich unter den etwa 300 Zuhörern im Auditorium keine. Hier sitzen gestandene Sozialdemokraten wie Wilhelm Schmidt vom AWO-Bundesverband oder gediente Gewerkschafterinnen wie DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Sie nennt die Eckpunkte einen "Offenbarungseid" der Koalition. Union und FDP betrieben damit eine "Politik gegen das Volk". Die Koalition wolle einseitig bei den Versicherten "abkassieren", um das im nächsten Jahr drohende Elf-Milliarden-Euro-Defizit der gesetzlichen Krankenkassen gestopft zu bekommen. Gesundheitsminister Rösler entpuppte sich als "Totengräber der solidarischen gesetzlichen Krankenversicherung". Die Zusatzbeiträge wolle er "als ein Sprungbrett für die Kopfpauschale nutzen". Der von ihm vorgesehene Sozialausgleich für Rentner und Geringverdiener sei "intransparent und unsinnig". Widerstand sei programmiert. "Wir werden einem solchen Ärztepfusch nicht tatenlos zusehen", sagt Buntenbach. Beifall ist ihr sicher.

Bahr muss ohne auskommen, als er ans Rednerpult tritt. Er bedankt sich dennoch für die Einladung und "die Gelegenheit zum Dialog mit Ihnen". Wer behaupte, die Koalition lade das Milliardendefizit allein auf dem Rücken der Versicherten ab, sage nicht die Wahrheit, kontert Bahr. "Alle leisten ihren Beitrag." Ärzten, Kliniken, Pharmaindustrie und Kassen verlange die Koalition 3,5 Milliarden Euro an Einsparungen ab. Auch die Arbeitgeber blieben nicht unverschont. 0,3 Prozent Beitragssatzerhöhung beziehungsweise drei Milliarden Euro müssten auch sie zur Stabilisierung der GKV-Finanzen beisteuern. Die gleiche Summe werde von den Versicherten geschultert. "Ich finde, das ist eine faire Lastenverteilung", sagt Bahr.

Außerdem habe die Koalition weder den Leistungskatalog der gesetzlichen Kassen beschnitten noch die freie Arzt- und Krankenhauswahl eingeschränkt oder aber die Praxisgebühr auf jeden Arztbesuch ausgedehnt. Im Pharmabereich werde es durch die beschlossenen strukturellen Veränderungen zu einer "fairen Preisbildung zwischen Kassen und Herstellern kommen". Auch dies sei im Interesse der Versicherten.

Dass die Koalition künftige Kostensteigerungen im Gesundheitswesen über die von den Versicherten allein zu zahlenden Zusatzbeiträge einfangen will, begründet Bahr damit, dass man aus der leidigen "Spirale" steigender Lohnnebenkosten infolge steigender Gesundheitskosten herauskommen wolle.

Im Auditorium stoßen solche Argumente auf wenig Zustimmung. Unter den spärlichen Applaus am Ende der Rede von Bahr mischen sich vereinzelt Buh-Rufe. Einer der Teilnehmer nuschelt vor sich hin: "Jetzt kommt der wieder mit dem Lohnnebenkosten-Popanz."

Auch Fritz Schösser, Chef des Aufsichtsrats der AOK, ist wenig begeistert. Die Koalition werde mit ihren Eckpunkten wohl oder übel "über die Runden kommen", sagt er. "Ein nachhaltiges Konzept hat sie nicht vorgelegt." Schösser steht mit dieser Meinung - einen Tag nach Bekanntwerden des schwarz-gelben Reformkompromisses - nicht alleine da.

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