Leitartikel zum US-Haushaltsstreit

Solidarität made in USA

Verbitterte Menschen, ein rücksichtsloser, zum Teil haßerfüllter Kampf um Macht: Die Debatte um Barack Obamas Gesundheitsreform wirft ein Schlaglicht auf irritierende Wertewelten der US-Gesellschaft.

Christoph FuhrVon Christoph Fuhr Veröffentlicht:

Christoph Fuhr

Hass, Wut, extreme Polarisierung: Der Streit um Barack Obamas Gesundheitsreform will einfach kein Ende nehmen. Politikern, die eine Strategie der Obstruktion fahren, bietet die amerikanische Gesetzgebung viele Handlungsoptionen, wie jetzt wieder in Washington deutlich geworden ist.

Demokraten und Republikaner haben sich am Montag trotz ellenlanger Debatten nicht auf einen Übergangshaushalt einigen können. Die US-Amerikaner stehen somit ab sofort vor verschlossenen Behörden. Vergeblich wollten die Republikaner den drohenden Finanzierungsnotstand politisch nutzen, um Obamas umstrittene Gesundheitsreform zu blockieren.

Die krasse Ablehnung von "Obamacare" irritiert: Was soll eigentlich daran falsch sein, wenn Millionen Menschen endlich die Chance auf eine Krankenversicherung bekommen?

Wenn ein Riegel vorgeschoben wird, der verhindert, dass Bürger wegen "schlechter Risiken" von Versicherern abgewimmelt werden? Wenn Schwerstkranke rechtzeitig zum Arzt gehen können und nicht mehr aus Angst vor hohen Kosten zu Hause bleiben und damit ihr Leben aufs Spiel setzen?

Auch in Zukunft gibt es viele Verlierer

Das Absurde an der Diskussion ist, dass es auch mit "Obamacare" weiter Verlierer im US-Versorgungssystem geben wird. Das Budgetbüro des Kongresses rechnet vor, dass auch in zehn Jahren noch mindestens 31 Millionen Bürger ohne Krankenversicherung sein werden.

22 der 50 Bundesstaaten haben längst entschieden, dass sie die Leistungen für Medicaid, die Unterstützung für die Armen, nicht ausweiten wollen.

Der Kampf für und gegen umfassende Gesundheitsreformen in den USA hat Tradition. Schon vor 20 Jahren bemühte sich der damalige Präsident Bill Clinton um den großen Wurf, fiel aber voll auf die Nase. Am Ende lag es nicht am politischen Gegner. Seine eigenen demokratischen Parteifreunde ließen ihn im Kongress ins Leere laufen.

Schon damals drängte sich der Verdacht auf, dass Menschen auf der Sonnenseite der US-Gesellschaft wenig sensibilisiert sind für die Probleme von Menschen, die im sozialen Abseits stehen und ihre (vermeintlichen) Aufstiegschancen nicht genutzt haben.

Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten scheint das "Survival of the fittest"-Prinzip immer noch weit verbreitet: Wo jeder seines eigenen Glückes Schmied ist, da kämpft eben auch jeder für sich allein.

Der Staat als Retter der armen Seelen - diese Wertewelt ist mit dem Ego-Selbstverständnis vieler Menschen aus der sozialen Mittel- und Oberschicht nicht kompatibel.

Noch dazu, wenn klar wird, wer die Zeche zahlen soll: "Obamacare" wird die Steuerzahler über die kommenden zehn Jahre mit 1,4 Billionen Dollar belasten - am meisten Geld soll dabei in Subventionen für Versicherungsprämien fließen, Einkommensschwache würden profitieren.

Einer trage des anderen Last

Bemerkenswert ist in der ganzen Debatte die kompromisslose Haltung von evangelikalen, bibeltreuen Christen, die vor allem im Mittleren Westen und den US-Südstaaten stark vertreten sind. Sie lehnen Obama und seine Reform ab - radikal, ohne jede Kompromissbereitschaft.

Die biblische Botschaft aus dem 6. Kapitel des Galaterbriefs, Vers 2, "Einer trage des anderen Last", scheint ihnen mit Blick auf solidarische Verantwortung keine Orientierung zu geben.

Um fair zu bleiben: Es ist nicht so, dass Amerikaner generell jeder Gedanke von Solidarität fremd ist. Bei großen Naturkatastrophen (Tornados oder Hochwasser etwa) fehlt es nicht an Freiwilligen, die oft von weit her angereist kommen und sich uneigennützig für die Opfer in die Pflicht nehmen.

Allerdings gilt auch hier: Eigeninitiative ist gefragt, und nicht vermeintliche staatliche Bevormundung.

Der Blick in die Abgründe der Gesundheitsversorgung in den USA führt beinahe zwangsläufig zum Vergleich mit der Situation in Deutschland.

Und da gibt es vor dem Hintergrund des US-Horrorszenarios eigentlich nur eine einzige Einsicht: Trotz mancher Widersprüche und Verwerfungen haben wir keinen Grund, uns über das gute, alte GKV-Solidarsystem zu beklagen. Möge es den Menschen in unserem Land auch in Zukunft treue Dienste leisten!

Lesen Sie dazu auch: Spielball Obamacare: Streit um US-Haushalt eskaliert

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