Frankreich

Teva-Boykott aus Antisemitismus?

Als Protest gegen die israelische Politik gegenüber Palästina bekleben in Frankreich zunehmend Patienten ihre Versichertenkarte mit einem Teva-Boykott-Aufkleber. Ein Boykott, der antisemitische Handlungen verdecken soll, warnen Ärzteverbände.

Denis Durand de BousingenVon Denis Durand de Bousingen Veröffentlicht:

Paris. Bereits seit einigen Jahren fordern in mehreren Ländern Gegner der Politik Israels gegenüber Palästina den Boykott israelischer Produkte. In Frankreich hat sich die Lage nun ganz aktuell im Gesundheitswesen zugespitzt, denn einige Patientengruppen sprechen sich für den Boykott von Arzneimitteln des israelischen Original- und Generikaherstellers Teva aus. Das führt seit einigen Wochen zu Streit mit den Ärzten. Viele Ärzte lehnen die politischen Argumente der Teva-Gegner ab, und sprechen von bloßem Antisemitismus.

Vor einigen Wochen haben die zwei größten französischen Ärzteverbände zusammen mit dem französischen Verein der jüdischen Ärzte (AMIF) Alarm geschlagen. Vor allem in Pariser Vororten kleben einige Patienten einen Sticker auf ihre Krankenversichertenkarte, auf dem steht: „Teva j’en veux pas“ („Ich will kein Teva“). Ähnlich wie in Deutschland braucht der Arzt diese Chipkarte, um seine Leistungen abrechnen zu können. Nach Empfehlung der Ärzteverbände haben nun einige Ärzte beschlossen, solche beklebten Karten nicht mehr als Abrechnungsmittel anzunehmen. Die Patienten müssen also die ärztliche Leistung selbst zahlen und können im Nachhinein versuchen, sich die Kosten von der Krankenversicherung rückerstatten zu lassen.

Wie die Ärzteverbände berichten, habe dies bereits mehrfach zu Diskussionen und Auseinandersetzungen in den Praxen geführt. In einem Fall habe ein Patient einen solchen Vorfall heimlich sogar gefilmt und das Video zusammen mit antisemitischen Kommentaren in sozialen Netzwerken verbreitet. Der betroffene Arzt sei Jude.

Leider kein Einzelfall: Schon seit einigen Jahren sammelt die AMIF Berichte über antisemitische Erfahrungen von jüdischen Ärzten und Zahnärzten, aber auch von Ärzten, die von ihren Patienten für Juden gehalten werden. Diese reichen von antisemitischen Bemerkungen, über Beschimpfungen bis hin zu antisemitischen Graffitis vor und in den Praxen. Laut AMIF-Präsident Dr. Bruno Halioua, der als niedergelassener Dermatologe in Paris tätig ist, haben diese Fälle nichts mit Israels Politik zu tun. „Wenn Patienten uns die beklebte Karte mit einem ironischen Lächeln vorlegen, ist es klar, dass es nicht um eine politische Stellungnahme, sondern um reinen Antisemitismus geht“, schreibt er. „Wir haben lange nicht reagiert, jetzt müssen wir insbesondere nach dem Vorfall in den Sozialen Netzwerken diese inakzeptablen Taten in die Öffentlichkeit bringen“, so Halioua weiter.

Teva j’en veux pas (zu Deutsch: Ich will kein Teva)

steht auf dem Boykott-Aufkleber, den einige französische Patienten auf ihrer Krankenversichertenkarte angebracht haben.

Unterstützt von mehreren anderen Ärzteorganisationen fordert die AMIF eine rasche Handlung der Justiz- und Gesundheitsbehörden, da die Anti-Teva-Aufkleber auch die anderen, „normalen“ Arzt-Patienten-Beziehungen schädigen könnten. Schon 2016 hatte es unter anderem in Paris und Toulouse Anti-Teva-Aktionen gegeben. Damals forderten Aktivisten vor den Türen einiger Apotheken ein Abgabestopp von Teva-Arzneimitteln.

Doch das ist nicht das einzige, was Frankreichs Ärzten derzeit die Sorgenfalten in die Stirn treibt. Zunehmend beobachten Ärzte auch die fragwürdige Entwicklung einer sogenannten „identitären“ Medizin. Seit Sommer 2020 kursieren auf Twitter Listen von schwarzen Ärzten, die ausschließlich schwarze Patienten behandeln, mit der Begründung, weiße Ärzte seien wegen ihres „systemischen Rassismus“ nicht geeignet, die Versorgung zu übernehmen. Obwohl die Ärztekammer diese Listen als völlig inakzeptabel kritisiert hat, wurden neue Listen dieser Art in den letzten Monaten entdeckt. Solche Listen gibt es aktuell auch von LGBT-Ärzten (Lesbian, Gay, Bisexual & Transgender) sowie von radikalen feministischen Ärztinnen.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Kommentare
Sonderberichte zum Thema

Ist das AMNOG bereit für HIV-Innovationen?

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Gilead Sciences GmbH, Martinsried
Arzneiforschung: Von Innovationen profitieren nicht nur Patienten, sondern immer auch die Gesellschaft als Ganzes.

© HockleyMedia24 / peopleimages.com / stock.adobe.com

Nutzenbewertung

Arznei-Innovationen: Investition mit doppeltem Nutzen

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa)
AMNOG-Verfahren: Plädoyer für ein Update

© Springer Medizin Verlag GmbH

AMNOG-Verfahren: Plädoyer für ein Update

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Roche Pharma AG, Grenzach-Wyhlen
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Ein älterer Herr, der einen medizinischen Fragebogen ausfüllt.

© buritora / stock.adobe.com

Metaanalyse

Subjektive Krankheitsbelastung bei Krebs prognostisch relevant

Eine junge Frau fasst sich an ihren schmerzenden Ellenbogen.

© Rabizo Anatolii / stock.adobe.com

Laterale Ellbogenschmerzen

Diese sechs Kriterien sprechen gegen einen „Tennisarm“

Eine Ärztin hält einen Reagenzstreifen zur Analyse einer Urinprobe in der Hand.

© H_Ko / stock.adobe.com

Risikofaktoren identifiziert

Für wen könnten Harnwegsinfekte gefährlich werden?