Depression

Therapie an der Leitlinie vorbei?

Krasse Lücken in der Versorgung? Nur jeder vierte Patient mit einer Depression wird so behandelt, wie es die Leitlinien empfehlen. Offenbar hängt das mit der Menge von Fachärzten und Hausärzten zusammen.

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Traurige Frau samt versteinerter Miene.

Traurige Frau samt versteinerter Miene.

© eyetronic / fotolia.com

GÜTERSLOH. Die Mehrzahl der Patienten mit einer schweren Depression in Deutschland erhält offenbar keine leitliniengerechte Therapie. Das geht aus dem neuen "Faktencheck Gesundheit" der Bertelsmann-Stiftung hervor, der am Mittwoch in Gütersloh veröffentlicht wurde.

56 Prozent der Patienten mit einer schweren Depression erhalten demnach lediglich eine Monotherapie entweder mit Antidepressiva oder Psychotherapie, aber nicht wie vorgesehen eine Kombitherapie. 18 Prozent der Patienten werden laut der Erhebung gar nicht behandelt.

Nur 26 Prozent bekämen wie in den einschlägigen Leitlinien vorgesehen eine kombinierte Behandlung mit Psychopharmaka und Psychotherapie oder eine stationäre Behandlung.

Für die Analyse hatte die Bertelsmann-Stiftung Sekundärdaten von sechs Millionen gesetzlich Krankenversicherten aus 84 Betriebskrankenkassen und Innungskrankenkassen ausgewertet. Untersucht wurde der Zeitraum 2008 bis 2012, wobei die Studienautoren ihr Hauptaugenmerk auf die Depressionsdiagnosen und abgerechneten Leistungen des Jahres 2011 gelegt haben.

Höhere Prävalenz im Süden wegen der Hausarztverträge?

Große Unterschiede haben die Forscher auch auf regionaler Ebene gefunden. Wenngleich die gesamte sogenannte "administrative Prävalenz" für alle Depressionsdiagnosen im bundesweiten Schnitt bei 13,4 Prozent lag, schwankte sie stark zwischen sieben und 21 Prozent. Frauen sind zudem doppelt so oft betroffen wie Männer.

Die meisten Diagnosen werden in den südlichen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg sowie in Berlin und Hamburg gestellt. Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt verzeichnen den Daten zufolge die geringste Prävalenz.

Die höhere Prävalenz im Süden der Republik könnte nach Angaben der Autoren unter anderem mit den Hausarztverträgen erklärt werden. So könnte etwa die zentrale Rolle der Hausärzte in der HzV als Koordinatoren der Behandlungspfade sowie die bessere Fortbildung in den Qualitätszirkeln einen positiven Effekt auf die Diagnosehäufigkeit haben.

Den Forschern zufolge gibt es zudem einen "schwach positiven" Zusammenhang der Diagnosehäufigkeit mit der Versorgungsdichte von Hausärzten, Psychiatern und Psychotherapeuten. Erklären ließe sich das positiv betrachtet damit, dass durch eine hohe Versorgungsdichte überhaupt erst eine annähernd reelle Prävalenz abgebildet werden kann.

Negativ formuliert hieße die These: Vor viele Ärzte sind, wird schlicht mehr diagnostiziert. Das Ergebnis wäre dann eine Überversorgung. Ein alternativer Erklärungsansatz könnte sein, dass die hohe Versorgungsdichte dem Behandlungsbedarf folgt. Beweise für die eine oder andere These kann der "Faktencheck" jedoch keine liefern.

Reziprok scheint hingegen das Verhältnis zwischen Versorgungsdichte und Leitlinientreue. Im Süden der Republik ist der Anteil leitliniengerechter Therapie demnach deutlich geringer. Die Autoren fanden eine positive Korrelation zwischen der Versorgungsdichte mit Fachtherapeuten und Leitlinientreue. Im Umkehrschluss sinkt die Treue offenbar mit steigender Hausarztdichte.

Zusammenhang zwischen Versorgungsdichte und Antidepressivabgabe entdeckt

Über die Ursachen können die Forscher freilich nur spekulieren. Denkbar wäre für diesen Zusammenhang etwa eine "anbietersensitive Versorgung". Das will heißen: Wo weniger Fachtherapeuten tätig sind, erfolgt die antidepressive Therapie weniger zielgerichtet.

Das erscheint zumindest bei Psychotherapeuten auf den ersten Blick logisch: Wenn keine Psychotherapie angeboten werden kann, weil nicht ausreichend viele Behandler existieren, werden Hausärzte womöglich seltener "dorthin" überweisen. Eine Verordnung würde folglich nur ins Nirwana führen.

Tatsächlich fanden die Studienautoren einen Zusammenhang zwischen der Versorgungsdichte mit Fachärzten und Psychotherapeuten auf der einen Seite und einer "ausreichend langen" Antidepressivagabe auf der anderen Seite.

Je mehr Psychologen, ärztliche Psychotherapeuten und Psychiater in einer Region niedergelassen waren, desto eher könnte dort auf die übermäßige Pharmakotherapie verzichtet werden, so die Folgerung. Vice versa gab es bei höherer Fachtherapeutendichte mehr "ausreichend lange" Psychotherapien. Fehlen diese Strukturen, wirkt sich das negativ aus. Andere Ärzte, vornehmlich Allgemeinmediziner, so die Hypothese, würden dann auf "machbare Strategien" fokussieren.

Grundsätzlich lasse sich den Studienautoren zufolge aus der Untersuchung allerdings folgern, dass man die Art der Umsetzung von Leitlinienempfehlungen "kritisch" hinterfragen müsse. Auch müsse gefragt werden, ob diese Empfehlungen überhaupt wahrgenommen werden. (nös)

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