Innovationsbremsen lösen

Über den „Olympia-Zehnkampf in der Behördenarena“ Gesundheitswesen

Ideen für gute Medizin gibt es. Doch es hapert am Transfer in die Regelversorgung. Darin war sich eine Podiumsrunde beim Europäischen Gesundheitskongress München einig – und formulierte Vorschläge, wie es schneller gehen könnte.

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Ideen für gute Versorgung gibt es reichlich – sie in die Welt zu tragen, löst mitunter Antragsfluten aus.

Ideen für gute Versorgung gibt es reichlich – sie in die Welt zu tragen, löst mitunter Antragsfluten aus.

© Sergey Nivens/stock.adobe.com

München. Es mangle in Deutschland nicht an Ideen und am Erfindergeist in der Gesundheitsversorgung, sagt Dr. Ralf Langejürgen. „Woran wir uns die Zähne ausbeißen, ist der Transfer vom Modell in die konkrete Anwendung und der Idee in die Arztpraxis“, so der Vorstand des BKK Landesverbands Bayern.

Gründer würden an eine Wand aus Skepsis und Risikoscheu stoßen, auch spricht Langejürgen von einem Paragraphen-Dschungel, einem „Olympia-Zehnkampf in der Behördenarena“, Aufsichtsbehörden, die aktiv würden, noch ehe der Innovator das Licht angeschaltet habe.

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Beim 24. Europäischen Gesundheitskongress in München hatte die Betriebskrankenkasse deshalb zu einem Symposium geladen. Titel: „Innovationsbremse lösen – Brücken bauen zwischen Projekt und Regelversorgung“.

Der Moderator und wissenschaftliche Kongressleiter Professor Andreas Beivers schilderte das Scheitern vieler Gründungen und Startups: „Es gibt viele Kaulquappen, die losschwimmen. Aber wir würden uns noch mehr Frösche wünschen.“

Erfahrungen eines Firmengründers

Wohl auf gutem Wege ist Dr. Lorenz Grünerbel, Gründer und Geschäftsführer von SoreAlert. Entwickelt hat das Team um den Elektrotechniker ein Sensorpflaster, das Druckgeschwüre bei immobilen Patienten verhindern soll. Angebracht wird es am Rücken nahe der Risikostellen, das Pflaster misst rund um die Uhr den Gewebegesundheit und sendet einen Alarm, wenn präventive Maßnahmen notwendig sind, so die Idee.

Profitieren könnten nicht nur Patienten, das Sensorpflaster bedeute zudem einen extremen Zeitgewinn für Pflegekräfte, wirbt Grünerbel. Dem Startup voraus ging ein Forschungsprojekt des Fraunhofer Institut und der TU München, frisch genehmigt worden ist jetzt eine Finanzierung von „EXIT – Existenzgründungen aus der Wissenschaft“.

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Wo aber liegen aus Grünerbels Sicht die Herausforderungen für ein Medtech-Startup? „Wir müssen Patientendaten selbst besorgen.“ Es brauche hier niederschwelligere Möglichkeiten, um Innovation zu testen. Auch müssten Geschäftsmodelle frühzeitig mitgedacht werden. Man bekomme vielleicht einen Selektivvertrag. Doch um in die Regelversorgung zu kommen, dauere es Jahre. „Wir müssen aber die Finanzierung überbrückt bekommen“, sagt Grünerbel. Sein Appell: „Wir müssen das agiler hinbekommen.“

„Innovationsfonds ist besser als sein Ruf“

In die gleiche Kerbe schlägt Professor Martin Dietrich, Leiter des Referats Innovationsfonds und Zukunftsregion digitale Gesundheit beim Bundesgesundheitsministerium. „Der Innovationsfonds ist besser als sein Ruf“, betont er. Innovation sei aber nicht nur Erfindung, sondern auch Durchsetzung.

Dienen soll der Fonds als zentrales gesundheitspolitisches Instrument, um die Gesundheitsversorgung gezielt weiterzuentwickeln. Gefördert werden deshalb Projektentwicklungen. Freilich: Vor wenigen Tagen bekannt wurde die geplante einmalige Senkung der Fördersumme von 200 auf 100 Millionen Euro.

BMG-Experte Dietrich: „Innovation endet aber eben nicht mit der positiven Evaluation. (…) Ein Projekterfolg ist noch kein Innovationserfolg.“ Seine Kernforderung: „Wir brauchen agile Transferprozesse – und das muss unser Gesundheitssystem noch lernen.“

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Anja Schramm, seit Mai Vorstandsvorsitzende der Audi BKK, ist auch Mitglied des Expertenpools des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Sie spricht mit Blick auf den dort angesiedelten Innovationsfonds von einen „sehr, sehr guten Produkt“, aber wahnsinnig vielen Anträgen, Zusagen, die nur gegeben würden, wenn deren Qualität stimme, und von einem „Mikrokosmos, in dem Dinge ausprobiert würden“.

Die größte Hürde aber sei der Transfer. Schramm: „Ich würde mir wünschen, dass wir einen Prozess designen, der die Transferphase beschreibt.“ Der BKK Landesverband Bayern übrigens hat bislang sechs Projekte beim Innovationsfonds eingereicht – alle wurden vom G-BA positiv beschieden.

Frisch genehmigtes Projekt „moVe-it“

Ein Projekt, das seit Oktober für drei Jahre über den Innovationsfonds gefördert wird, ist „moVe-it“. Es zielt ab auf eine evidenzbasierte Botulinumtoxin-Behandlung bei einer Spastik nach Schlaganfall und auf eine bessere interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Den Ausschlag zu „moVe-it“ gegeben habe ein Fernsehbeitrag über die Unterversorgung von Patienten mit einer Spastik nach Schlaganfall, berichtet Dr. Sarah Rudolph, Referentin Versorgungspolitik der Mobil Krankenkasse, die sich seit Start des Innovationsfonds in zahlreichen Projekten als Konsortial- und Kooperationspartner engagiert.

Der Blick in die eigenen Zahlen habe das Versorgungsproblem bestätigt, daraus habe man das Projekt entwickelt und Partner sowie Evaluatoren gesucht. Wichtig sei, so Rudolph, dass man von Beginn an alle Beteiligten und deren Sichtweisen einbinde. Auch Rudolph wünscht sich vor allem praktische Unterstützung in der Transferphase. (mic)

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