Erste Lesung am Donnerstag

Umstrittener Gesetzentwurf zur Triage erreicht den Bundestag

Schutz vor Benachteiligung bei knappen Intensivkapazitäten: Die Abgeordneten des Bundestags haben am Donnerstag über ein ethisch und praktisch anspruchsvolles Thema zu entscheiden. Ärztevertreter warnen vor rechtlichen Risiken.

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Wie verfahren, wenn Behandlungskapazitäten auf der Intensivstation knapp werden? Der Bundestag hat in Kürze über einen Gesetzentwurf der Ampel zu entscheiden.

Wie verfahren, wenn Behandlungskapazitäten auf der Intensivstation knapp werden? Der Bundestag hat in Kürze über einen Gesetzentwurf der Ampel zu entscheiden.

© Boris Roessler/dpa

Berlin. Es ist ein heikler Auftrag, über den die Abgeordneten des Deutschen Bundestages an diesem Donnerstag (13. Oktober) erstmals beraten. Hintergrund ist eine erneute Änderung am Infektionsschutzgesetz (IfSG), mit der der Triage-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von Dezember 2021 Rechnung getragen werden soll.

Die Karlsruher Richter hatten Ende 2021 vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie entschieden, dass sich aus dem Grundgesetz für den Staat der Auftrag ergibt, Menschen mit Behinderung bei knappen intensiv-medizinischen Kapazitäten vor Benachteiligung besonders zu schützen.

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Wie das geschehen soll, ist nun Aufgabe des Gesetzgebers – und keine leichte. Klinikärztinnen und Klinikärzte blicken denn auch gespannt auf den Ausgang der Debatte, da die Entscheidung im Bundestag ihr Tun unmittelbar berührt.

Hallek: Weniger Schwersterkrankte im Pandemieverlauf

Die Sorgen, vor schwierige Entscheidungen gestellt zu werden, sind aber wohl nicht allzu groß. „Es gibt derzeit keinen Anlass zu glauben, dass wir wegen COVID vor Triage-Situationen stehen werden“, sagte Professor Michael Hallek, Direktor des Centrums für Integrierte Onkologie Köln, Bonn, Aachen und Düsseldorf, auf Anfrage der Ärzte Zeitung am Dienstag.

Das gelte für den Winter, aber auch für das kommende Jahr. Er sehe ein anderes Pandemiegeschehen als vor anderthalb Jahren. Es komme aufgrund von COVID-Infektionen deutlich seltener zu Schwersterkrankungen als damals.

Zur Erinnerung: Das Bundeskabinett hatte im August einen entsprechenden Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) abgesegnet. Das Gesetz – heißt es in der Vorlage – diene dem Ziel, das Risiko einer Benachteiligung insbesondere aufgrund einer Behinderung bei der Zuteilung intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten zu reduzieren.

Demnach dürfen Zuteilungsentscheidungen durch Ärztinnen und Ärzte nur nach der „aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit“ der betroffenen Patienten getroffen werden. Eine Ex-post-Triage – also der Abbruch der Behandlung eines Patienten mit geringer Überlebenswahrscheinlichkeit, um einen Patienten mit besserer Prognose intensivmedizinisch versorgen zu können – ist im Gesetzentwurf ausdrücklich untersagt.

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Kritik an Ausschluss der Ex-post-Triage

Daran entzündet sich Kritik. Der Ausschluss der Ex-post-Triage könne dazu führen, dass neu hinzukommende Patienten „mit ebenfalls schwerwiegenden Erkrankungen, aber höherer kurzfristiger Überlebenschance“ nicht intensivmedizinisch behandelt werden könnten. Dieser „First-come-first-serve“-Grundsatz lasse sich aber weder ethisch begründen, noch mit der Realität in den Krankenhäusern in Einklang zu bringen, wendet die Klinikärztegewerkschaft Marburger Bund ein.

Einen Ausgleich mit der Politik strebt die Bundesärztekammer an. Es gebe Situationen, in denen sich allein durch den Krankheitsverlauf die Indikation für einen Patienten ändere, sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, am Dienstag auf Anfrage der Ärzte Zeitung. Das bedeute, dass eine zunächst gestellte Indikation nicht mehr gelte.

Zu einem solchen Zeitpunkt müsse dann neu entschieden werden können. Ob man dies dann als Ex-Post-Triage bezeichne oder als neu zu bewertende Indikationsstellung, sei letztendlich Haarspalterei. Es müsse Ärzten allerdings möglich sein, diesen Weg zu gehen, ohne dadurch in rechtliche Schwierigkeiten zu geraten, sagte Reinhardt.

Reinhardt: Triage muss grundsätzlicher bewertet werden

Der BÄK-Präsident verwies darauf, dass die Fragestellung des so genannten Triage-Gesetzes völlig unabhängig von der Corona-Pandemie einer grundsätzlichen Bewertung bedürfe. Es sei daher nicht plausibel, sie im Infektionsschutzgesetz anzusiedeln. „Es wäre klüger, es dort herauszunehmen“, sagte Reinhardt. Für eine Neubewertung gebe es ausreichend Zeit, da es im Kontext der Pandemie nicht zu Notsituationen kommen werde, riet Reinhardt.

Auch der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL), Dr. Hans-Albert Gehle, sprach sich zuletzt gegen ein Verbot der Ex-post-Triage aus. Die Letztverantwortung sollten immer die behandelnden Ärztinnen und Ärzte haben. Ärztliches Handeln und ärztliche Entscheidungsfreiheit dürften nicht infrage gestellt werden.

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Länderkammer meldet sich zu Wort

Zu Wort gemeldet in der Sache haben sich auch die Länder. Die geplante Regelung, nach der bereits zugeteilte überlebenswichtige Behandlungskapazitäten von der Zuteilungsentscheidung ausgenommen seien sollten, könne zu „deutlichen Unsicherheiten in der Praxis“ führen, heißt es in einer Stellungnahme des Bundesrats zum Triage-Gesetzentwurf.

Es bedürfe daher einer „gesetzlichen Klarstellung, wie mit den Fallgestaltungen der Ex-post-Triage“ zu verfahren sei.

Noch wäre Zeit dafür – die für 16:10 Uhr am Donnerstag angesetzte erste Lesung des Gesetzentwurfs im Parlament ist erst der Auftakt der parlamentarischen Debatte. Es folgen eine Anhörung im Gesundheitsausschuss und die zweite und dritte Lesung im Parlament, anschließend die Beratung im Bundesrat.

Freilich: Lauterbach hat mehrfach betont, eine Ex-post-Triage sei aus seiner Sicht ethisch nicht vertretbar und Ärzten, Patienten und Angehörigen nicht zuzumuten. Dass Lauterbach diesen Standpunkt verlässt, ist unwahrscheinlich.

Runder Tisch: Ex-post-Triage muss verboten bleiben

Vertreter des Runden Tisches Triage – ein Zusammenschluss der LIGA Selbstvertretung, der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie sowie des Forums behinderter Juristinnen und Juristen – riefen die Abgeordneten unterdessen dazu auf, unbedingt am Verbot der Ex-Post-Triage festzuhalten. Es sei durch „konkrete Strafandrohungen“ zu erhärten.

Aber selbst wenn die Ex-post-Triage verboten bliebe, entspreche der Gesetzentwurf noch in keiner Weise den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, kritisierte die Mitinitiatorin des Runden Tisches, Dr. Sigrid Arnade. Das Gericht habe festgestellt, dass ein Vergleich von Erfolgsaussichten zu Diskriminierungen führen könne. „Wieso soll das nun bei einem Vergleich von Überlebenswahrscheinlichkeiten, wie ihn der Gesetzentwurf vorsieht, anders sein?“, fragte Arnade. (hom/af)

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