Pflegeversicherung

Verbände wollen Blüm’sche Jahrhundertreform retten

Die Einführung der Pflegeversicherung 1995 sei ein Meilenstein in der deutschen Sozialgeschichte, betont die Initiative Pro-Pflegereform. Steigende Eigenanteile machten aber einen Komplettumbau nötig.

Von Thomas Hommel Veröffentlicht:
Den Pflegebedürftigen stärker in den Fokus rücken: Verbände werben für eine Pflegeversicherung 2.0.

Den Pflegebedürftigen stärker in den Fokus rücken: Verbände werben für eine Pflegeversicherung 2.0.

© Jiri Hubatka / imageBROKER / picture alliance

Berlin. Mehrere Arbeitgeber und Verbände der stationären und ambulanten Altenpflege haben einen Neustart bei der Pflegeversicherung gefordert. Nötig seien dafür eine „grundlegende Finanzreform“ und eine „Neuausrichtung der Pflegewelt“. In dieser solle nicht mehr nach ambulant, teilstationär und stationär unterschieden werden.

„Es ist an der Zeit, die Pflegeversicherung neu zu denken“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung und Sprecher der Initiative Pro-Pflegereform Bernhard Schneider bei der Präsentation eines neuen Pflegegutachtens am Mittwoch in Berlin.

Finanz- und Strukturreform nötig

Die Einführung der Pflegeversicherung vor 25 Jahren durch den damaligen Arbeitsminister Norbert Blüm sei ein „absoluter Meilenstein“ gewesen, so Schneider. Überschießende Eigenanteile der Pflegebedürftigen machten aber einen Umbau nötig. Die Dynamik für Veränderungen sei „da“.

Erstellt worden ist das Reformgutachten von dem Bremer Gesundheitsökonom Professor Heinz Rothgang. Beauftragt wurde er von der Initiative „Pro-Pflegereform“. Konkret werden in einem ersten Schritt eine Struktur- und in einem zweiten Schritt eine Finanzreform vorgeschlagen.

Letztere setzt auf dem Sockel-Spitze-Tausch auf, den Rothgang bereits in einem früheren Gutachten entwickelt hat. Dabei würde der Eigenanteil abgesenkt und bei einem „Sockelbetrag“ von 471 Euro je Leistungsbezieher und Monat eingefroren, erläuterte Rothgang. Darüber hinaus gehende Pflegekosten würden über die Pflegeversicherung aufgefangen.

Bisher ist es umgekehrt. Der Beitrag zur Pflegeversicherung würde den Berechnungen zufolge auf maximal 5,6 Prozent im Jahr 2045 steigen. Sollte diese Beitragshöhe politisch und gesellschaftlich als zu hoch eingestuft werden, seien weitere „Finanzierungselemente“ heranzuziehen, sagte Rothgang.

Pflege-Finanzreform nötig

Dazu gehöre etwa der Einbezug eines Steuerzuschusses oder die Einführung einer Bürgerversicherung, bei der gesetzliche und privat Versicherte in einen Topf zahlen. Die Politik komme um eine Finanzreform bei der Pflege definitiv nicht herum.

Belasse man alles, wie es ist, gingen die Eigenanteile schon bald „durch die Decke.“ Freilich bestehe die „Gefahr, dass die Politik mit einer weiteren einmaligen Beitragsanhebung reagiert“.

Bisherige Reformansätze adressierten zudem überwiegend die stationäre Pflege, so Rothgang. Das werde der Realität nicht gerecht, da mehr als zwei Drittel der Pflegebedürftigen zu Hause versorgt würden. Im Gutachten wird deshalb eine „Pflegewelt ohne Sektoren“ vorgeschlagen.

Unabhängig davon, wo ein pflegebedürftiger Mensch wohnt, würde die Pflegeversicherung für Grundpflege und Betreuung, die Krankenversicherung für Behandlungspflege und Rehabilitation aufkommen. Der Versicherte hätte die „Hotelkosten“, also die Aufwendungen für Unterbringung zu tragen.

Bisherige Pflegesektoren schleifen

Eine solche Strukturreform setze eine „Schleifung der bisherigen Sektorengrenzen“ in Gang und ermögliche „bedarfsgerechte Pflegesettings“, sagte der Chef des Deutschen Verbands der Leitungskräfte der Alten- und Behindertenpflege Peter Dürrmann. Ziel sei es, professionelle und informelle Pflege stärker zusammenzubringen, um so auch personelle Ressourcen in der Betreuung zu heben.

Für Angehörige soll deshalb auch ein Pflegegeld 2.0 eingeführt werden. Dies soll bei etwa 40 Prozent dessen liegen, was Pflegeprofis verdienen. Dr. Bodo de Vries vom Deutschen Evangelischen Verband für Altenarbeit und Pflege sprach von „Cash gegen Care“.

„Wir können es uns nicht länger leisten, das Angehörige zu Besuchern im Heim werden.“ Sie sollten dort bestimmte Tätigkeiten übernehmen dürfen und Pflegekräfte unterstützen.

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