Hintergrund

Vernetzte Versorgung im Heim: Alle gewinnen - außer den Ärzten

In Düren werden Bewohner eines Pflegeheims in einem interdisziplinären Netz betreut. Patienten und Kostenträger profitieren von dieser Kooperation. Doch das Engagement der Ärzte bildet sich nicht im Honorar ab, die Leistungen verschwinden in der Abstaffelung.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Der Heimarzt als "Alleskönner": Visite in einem Altenheim.

Der Heimarzt als "Alleskönner": Visite in einem Altenheim.

© Klaro

Die 88 Bewohner der Wohnanlage Sophienhof in Niederzier bei Düren profitieren bei der ambulanten medizinischen Versorgung von eingespielten Strukturen. Das Pflegeheim wird von einem interdisziplinären Netz von niedergelassenen Haus- und Fachärzten betreut, die eng mit dem Pflegepersonal und der Heimleitung kooperieren.

"Multimorbide Patienten bedürfen der Zusammenarbeit zwischen Pflegekräften und verschiedenen Ärzten", sagte Dr. Hildegard Schain bei einer Fortbildung der KV Nordrhein (KVNo) in Düsseldorf.

Zwölf Ärzte arbeiten im Netz

Die niedergelassene Nervenärztin und Psychiaterin aus Düren hat das Versorgungsmodell entwickelt. Vorbild war die Hospizidee mit dem ganzheitlichen Blick auf den Patienten, sagte sie. "Gerade die neuropsychiatrische Behandlung muss den älteren Menschen mit seiner Biografie im Blick haben."

Schain geht in der Regel einmal im Monat zur neuro-psychiatrischen Visite ins Heim, die Hausärzte kommen einmal pro Woche. Insgesamt arbeiten zwölf Ärzte im Netz mit.

Einmal monatlich setzt sich die Ärztin mit den Pflegekräften zusammen und bespricht problematische Fälle. "Gemeinsam mit dem Pflegepersonal arbeiten wir aus, wo die Fallstricke liegen und wie die Lösungsansätze aussehen."

Haus- und Fachärzte gemeinsam auf Visite

Regelmäßig gehen Haus- und Fachärzte gemeinsam auf Visite. Sie tauschen sich über die Medikation der Patienten aus und machen sich auf Interaktionen aufmerksam. "Die Patienten sind medikamentös gut eingestellt, weil wir beim Hausarzt-/Facharztkonsil alles eliminieren, was Probleme macht."

Die ärztliche Rufbereitschaft komme wegen der gut geregelten Abläufe im Heim aber nur selten zum Einsatz, sagte Schain. "Seit das Konzept läuft, kann ich an einer Hand abzählen, wie oft ich im Quartal außer der Reihe angerufen werde."

Durch die Kooperation konnte die Zahl der Krankenhauseinweisungen um 70 Prozent reduziert werden. Schain hat für ihr Konzept 2009 den KVNo-Innovationspreis erhalten.

Stundenlohn für zusätzlichen ärztlichen Betreuungsaufwand

Für den zusätzlichen ärztlichen Betreuungsaufwand erhält sie vom Heim einen Stundenlohn. "Ich führe Buch und mache am Ende des Quartals meine Abrechnung." Für die ambulante ärztliche Versorgung gibt das Heim monatlich zwischen 500 und 800 Euro aus - für alle 88 Bewohner zusammen, sagte die Geschäftsführerin der Wohnanlage Gerda Graf.

Der Sophienhof setze auf die Fortbildung und Qualifizierung der Mitarbeiter. Das ermögliche es auch, die Ärzte zu entlasten. "Nur examinierte Pflegekräfte telefonieren mit den Ärzten", sagte Graf.

Die KVNo wolle nordrheinweit eine verbesserte Versorgungsqualität für Heimbewohner erreichen, sagte Vorstand Bernhard Brautmeier. Die KV führt Gespräche mit den Krankenkassen, um das von der "KV Initiative Pflegeheim" entwickelte Modulkonzept umzusetzen.

Angemessene Vergütung für Ärzte wichtig

Es sieht die Bildung von Netzen aus niedergelassenen Ärzten und Pflegeverantwortlichen vor. "Dabei stehen Ziele wie verbesserte Versorgungsqualität, abgestimmte Steuerung der Versorgung, Wirtschaftlichkeit sowie Transparenz im Vordergrund", sagte Brautmeier. Wichtig sei auch die angemessene Vergütung des Zusatzaufwands der Ärzte.

Bislang findet das Engagement von Haus- und Fachärzten in Heimen keinen Niederschlag in der Vergütung. "Der Heimarzt ist ein Alleskönner für 12,72 Euro im Monat", sagte der Mülheimer Hausarzt Uwe Brock mit Blick auf sein RLV von 38,17 Euro. Die Hausärzte müssten die Leistungen neben ihrer üblichen Tätigkeit erbringen, die meisten würden abgestaffelt.

Hohe Ansprüche an Heimarzt

Dabei seien die Ansprüche an den Heimarzt hoch. Er sei Arzt für multimorbide Patienten, Arzt für besondere Erkrankungen, Arzt für alle Facharztbezeichnungen, Arzt für Angehörige und Betreuer, Arzt für alle Fragen der Pflege, Arzt für Dokumentationswünsche des MDK und Arzt für Anfragen der Kostenträger, sagte Brock. "Heimärzte haben eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Wer soll es an ihrer Stelle machen?"

Gerade in technischen Fächern wie der Augenheilkunde erforderten Heimbesuche einen großen logistischen Aufwand, sagte der Essener Augenarzt Dr. Ludger Wollring. Er besucht Heime im Essener Norden und wird dabei von zwei Mitarbeiterinnen begleitet.

"Wirtschaftlich ist es nicht"

"Wir haben das Instrumentarium dabei, mit dem wir die wesentlichen Erkrankungen diagnostizieren können", berichtete Wollring. Auch kleine Eingriffe nimmt er vor Ort vor. "Augenärztliche Heimbesuche sind möglich und notwendig", sagte Wollring. Wegen des hohen Aufwands und der geringen Vergütung sei die Zahl der Hausbesuche bei Augenärzten aber eher gering.

"Betrachten Sie das als mein Hobby - wirtschaftlich ist es nicht."

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Fortschritt gibt es nicht zum Nulltarif

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Kommentare
Dr. jens wasserberg 29.06.201108:45 Uhr

Arzt als kostenloser Haimmitarbeiter

Da gibt es Heime, die multimorbide Patienten versorgen wollen, aber nicht die entsprechenden medizinischen Kompetenzen in Eigenregie vorhalten. Jetzt verpflichten sich Ärzte nahezu kostenlose, diese Lücke zu schließen. Heim und Kassen sparen Geld, die KV vergibt Innovationspreise und die Ärzte erbringen diese Leistungen nahezu kostenlos für die gewinnorientierten Heime und Kassen !
Später werden dann wohl KV-Abrechnungsprogramme aufgelegt, wo allen Kollegen das Honorar gekürzt wird, um den Heimärzten virtuell mehr Honorar auszubezahlen.
Wenn ein Heim eine so konzentrierte Menge an Schwerstkranken versammelt und dafür dann auch die finaziellen Aufwendungen erhält - ob die dann ausreichend sind, ist eine andere Frage - dann ist das Heim verpflichtet, mit seinen finanziellen Mitteln eine den ansprüchen entsprechende Versorgung bereitzustellen. Ansonsten degenerieren diese Heime zu Krankenhäusern, in denen die Ärzteschaft zwar haftungsrechtlich vollständig einbezogen ist, aber keine dem Aufwand angemessene Vergütung erhält. Dass sich hier KV und Ärzteschaft auch noch darum drängen, diese Versorgungslücke kostenlos zu schließen, ist schon recht bizarr. Dadurch werden solche Fehlentwicklungen nur noch verschärft. Die Reduktion der Einweisung als Maß für eine Versorgungsqualität zu definieren entlarvt den eigentlichen Grund dieser Aktion : Einsparung von Kassengeldern und Argumentationsentlastung der Heimleitungen für Einweisungen.
Ginge es den Kassen hier nicht um das Geld, könnten diese doch die Kosten für die Einweisungen direkt an die dort engagierten Ärzte weitergeben. Dann würden sich vielleicht auch freiwillig Ärzte finden, die diese Aufgabe übernehmen wollten ...

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