Deutscher Ethikrat

Warnung vor Effizienz-Hype zur Gesundheit

Gesundheitsdaten sind eine Schatzkiste, doch wer hineingreift, kann auch Unheil anrichten. Bei der Jahrestagung des Deutschen Ethikrats wurde ein an Grundwerten orientierter Umgang mit "Big Data" in der Medizin gefordert.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Smartphones können Gesundheitsdaten sammeln und übermitteln.

Smartphones können Gesundheitsdaten sammeln und übermitteln.

© Alexey Boldin / fotolia.com

BERLIN. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens und der um sich greifende Trend zur Selbstquantifizierung mittels diverser technischer Geräte führen dazu, dass immer mehr sensible persönliche Daten an immer mehr Orten in digital auswertbarer Form zur Verfügung stehen.

Mit Hilfe von Big-Data-Technologien, einer Mischung aus statistischer Analytik und künstlicher Intelligenz oder Mustererkennung, können diese Daten immer besser zusammengeführt und ausgewertet werden.

Vor einem datengetriebenen Effizienz-Hype und Optimierungswahn hat Christiane Woopen, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, angesichts der technischen Möglichkeiten gewarnt.

Diese bieten einerseits enorme Chancen, etwa in der medizinischen Forschung. Es hat aber auch Risiken, wenn die gewonnenen Daten dazu genutzt werden, Menschen zu diskriminieren.

Der Sprecher des Chaos Computer Clubs, Frank Rieger, warnte davor, die Möglichkeiten der Big-Data-Analytik zu unterschätzen, im Positiven wie im Negativen: "Wir werden diese Werkzeuge bekommen, und deswegen müssen wir diskutieren, wohin wir gesellschaftlich wollen."

Grundsätzliche Fragen sollten geklärt werden

Rieger plädierte für eine "technologie-agnostische" Regulierung, damit die Politik nicht ständig gezwungen ist, den neuesten technischen Entwicklungen hinterherzulaufen.

Entscheidend sei, dass eine moderne Gesellschaft an der Schwelle zum Big-Data-Zeitalter grundlegende Fragen beantwortet wie jene, ob der Wille des Einzelnen über dem Wohl der Gemeinschaft stehen sollte, oder ob nach eher chinesischem Vorbild das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl an Menschen angestrebt werden sollte.

Rieger selbst ließ keinen Zweifel, in welche Richtung er tendiert. Er persönlich wolle nicht diskriminiert werden, und dabei sei es egal, auf Basis welcher Technologien dies geschehe: "Algorithmen sind Ausdruck menschlichen Willens. Und die Frage, ob man sich von Profitmotiven leiten lassen will, ist eine Frage der Grundüberzeugungen."

Für den Deutschen Ethikrat stellte Christiane Woopen die Frage, ob Gesundheit wirklich als höchstes Gut anzusehen sei oder ob es nicht lediglich ein hohes Gut sein sollte, das im Dienst eines höheren Guts stehen sollte, nämlich dem des erfüllten Lebens.

Der Wissenschaftstheoretiker Klaus Mainzer warnte, viele der analytischen Methoden seien Jahrzehnte, teilweise Jahrhunderte alt. Gerade im medizinischen Umfeld sieht er die Gefahr, dass Korrelationen überinterpretiert werden und zu politischen Schlussfolgerungen ohne wissenschaftliche Grundlage führen.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 21.05.201520:16 Uhr

"Die Vermessung des Menschen – Big Data und Gesundheit"

Zum Hintergrund - Jahrestagung des Deutschen Ethirrates von heute: "Die Menge der weltweit kursierenden Daten verdoppelt sich jährlich. Auch im Gesundheitsbereich arbeiten immer mehr Forscher, Firmen und Ärzte mit "Big Data". Gesundheitsdaten werden über soziale Netzwerke, mobile Apps oder Online-Patiententagebücher gesammelt. Gleichzeitig wachsen die Möglichkeiten, solche Daten schnell und effektiv auszuwerten und sie mit anderen Daten, etwa zum Einkaufsverhalten, zu verknüpfen.

Solche Analysen ermöglichen tiefe Einblicke in den individuellen Gesundheitszustand und Lebenswandel und bringen unterschiedliche ethische und rechtliche Herausforderungen für verschiedene gesellschaftliche Bereiche mit sich: Im Privatleben ermöglicht das sogenannte Life-Logging eine immer umfassendere Selbstüberwachung, mit der Nutzer womöglich die eigene Freiheit und Selbstbestimmung zunehmend und unbemerkt einschränken.

Internationale Forschung und partizipative Medizin stellen im Rahmen des Open-Data-Trends immer größere Mengen an Rohdaten online zur Verfügung. Zusammen mit den neuen Datenverknüpfungsmöglichkeiten erhöht dies die Gefahr des Missbrauchs und eines Vertrauensverlusts in die Forschung.

In der Gesundheitsversorgung schafft die neue Datenfülle neben Chancen für Diagnostik, Therapie und Forschung auch neue Herausforderungen bei der Interpretation. Hinzu kommt die Sorge, dass die Datenauswertung zunehmend den persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt verdrängen könnte."

http://www.ethikrat.org/veranstaltungen/jahrestagungen/die-vermessunng-des-menschen

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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