Mengenausweitung
Wie Ärzte diffamiert werden
In Schleswig-Holstein treten die Kliniken auf die Barrikaden: Die häufige Kritik an hohen Op-Zahlen sei allzu oft völlig unsachlich. Ärzte fühlen sich offenbar zunehmend von Kassen und Co. diffamiert.
Veröffentlicht:LÜBECK. Mengenausweitungen in deutschen Kliniken sind kein Grund für Diffamierungen der Ärzte, nicht auf operierende Fächer beschränkt und müssen differenziert analysiert werden - diese Botschaft geht von der Landeskrankenhauskonferenz Schleswig-Holstein aus.
Auf den Norddeutschen Gesundheitstagen in Lübeck machten die in der Landeskrankenhauskonferenz zusammengeschlossenen leitenden Ärzte, Pflegemanager und Verwaltungsdirektoren deutlich, dass sie öffentliche Interpretationen der Mengensteigerungen nicht selten als diffamierend empfinden.
Verärgert zeigte sich Dr. Martin Blümke aus dem Westküstenklinikum (WKK) Heide über öffentliche Darstellungen und Aussagen von Kassenvertretern zum Thema. Ärzte würden damit zu Unrecht kriminalisiert, meinte er.
Er geht davon aus, dass derzeit in den Kliniken längst noch nicht alles abgerechnet wird, was abgerechnet werden darf. Das DRG-System als Ursache für Mengensteigerungen fällt nach seiner Ansicht aus - Blümke zeigte, dass sich entgegen der allgemeinen Einschätzung der Fallzahlanstieg seit Einführung des Fallpauschalensystems sogar abgeschwächt hat.
Die Mengen im DRG-System werden nach seiner Ansicht mit steigender Professionalisierung in der Codierung aber zunehmen. Blümke betonte: "Es wird kein Patient auf den OP-Tisch gezwungen, das wäre Körperverletzung."
Er verwies auf eine zunehmende Zahl von relativen Indikationen, bei denen anders als bei eindeutigen oder Kontraindikationen unterschiedliche Auslegungen möglich seien.
Kassen wollen auch mal zuspitzen
Professor Fritz Uwe Niethard, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie, bezeichnete die hohe Zunahme an Eingriffen an der Wirbelsäule als beunruhigend. Möglicherweise, so Niethard, könnten hohe Vergütungsunterschiede zwischen dem konservativen ambulanten und dem Op-Honorar hier eine Rolle spielen.
Niethard zeigte auch starke regionale Unterschiede bei bestimmten Eingriffen auf, warnte aber vor voreiligen Schlüssen und Verurteilungen "Die hohe Versorgungsrate ist auch ein Ausdruck eines hoch entwickelten Gesundheitssystems."
Er verwies außerdem darauf, dass nicht nur Operationen zunehmen, sondern auch die Zahl der Behandlungen von Krebskranken und psychisch Erkrankten deutlich angestiegen seien. Christoph Kranich von der Verbraucherzentrale Hamburg warnte vor einer Schwarz-Weiß-Betrachtung: "Mengenausweitung ist nicht nur gut oder nur schlecht."
Er vermutet aber, dass ärztliche Entscheidungen in Kliniken nicht immer losgelöst von ökonomischen Fragen getroffen werden. Sein Vorschlag, Patienten als Gruppe stärker in Entscheidungen im Gesundheitswesen einzubeziehen, stieß aber auf Ablehnung.
Schleswig-Holsteins Vdek-Chef Armin Tank distanzierte sich von öffentlichen Diffamierungskampagnen unter Selbstverwaltungspartnern - Zuspitzungen, so Tank, müssten aber erlaubt sein.
Um Mengenausweitungen zu begrenzen, hält er "vernünftige Abschläge" für angebracht, andere öffentlich diskutierte Lösungen wie etwa Zertifikatehandel für Operationskapazitäten hält er für ungeeignet.
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