Diskussionsrunde

Wie kann die Pflegeversicherung bezahlbar bleiben?

Die Zukukunft der Pflegeversicherung stand im Fokus einer Expertenrunde. Einigkeit herrschte vor allem in einem Punkt: Eine Reform ist nötig.

Thorsten SchüllerVon Thorsten Schüller Veröffentlicht:
Diskutierten über die Zukunft der Pflegeversicherung (von links): Ruth Nowak, Christof Oswald, Andreas Storm, Prof. Heinz Rothgang, Sabine Dittmar, Andreas Beivers

Diskutierten über die Zukunft der Pflegeversicherung (von links): Ruth Nowak, Christof Oswald, Andreas Storm, Prof. Heinz Rothgang, Sabine Dittmar, Andreas Beivers

© DAK Gesundheit

NÜRNBERG. Nach etwa 40 Milliarden Euro im Jahr 2018 dürften die Kosten für die Pflegeversicherung nach Einschätzung von Fachleuten bis 2022 auf rund 50 Milliarden Euro steigen. Gründe sind unter anderem eine bessere Bezahlung der Beschäftigten in der Pflege, die personelle Ausweitung und die steigende Zahl an Pflegebedürftigen.

Auf einer von der DAK Gesundheit veranstalteten Diskussionsrunde in Nürnberg zum Thema „Pflege 2.0“ waren sich Pflegeexperten einige darüber, dass das System einer Reform bedarf.

So hat sich der Eigenanteil der Versicherten in den vergangenen 20 Jahren vervielfacht und liegt heute bei etwa 700 Euro. Das übersteigt die finanziellen Möglichkeiten vieler Pflegebedürftiger, etwa 30 Prozent von ihnen müssen deshalb Sozialhilfe beantragen.

Wertschätzung für Pflegeberufe

„Die Debatte hat an Fahrt aufgenommen“, stellte Sophie Schwab, Leiterin der Landesvertretung der DAK-Gesundheit Bayern, fest. Ruth Nowak, Amtschefin des bayerischen Gesundheitsministeriums, wies ihrerseits darauf hin, dass die Zahl der heute etwa 3,3 Millionen Pflegebedürftigen in zehn Jahren auf vier Millionen ansteigen dürfte.

Und Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit, plädierte dafür, durch eine Reform der Versicherung auch die Bezahlung der Pflegeberufe und damit die Wertschätzung für diese Personengruppe zu erhöhen.

Die Finanzierung der Mehrkosten, die mit einer Überarbeitung der Versicherung einhergehen, sollte nach seiner Meinung ein Mix aus Beitragsanhebungen und Steuerfinanzierung sein.

„Sockel-Spitze-Tausch“

Wie ein solches Finanzierungsmodell konkret aussehen kann, skizzierte Professor Heinz Rothgang vom Socium Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen anhand des sogenannten „Sockel-Spitze-Tauschs“, bei dem der Eigenanteil der Versicherten auf einen fixen Betrag begrenzt wird, während die Versicherung die darüber hinaus gehenden Kosten trägt.

Heute ist es genau umgekehrt: Die Versicherung trägt einen festen Sockel, die Pflegebedürftigen den nicht kalkulierbaren Rest. Nach dem neuen Modell würde der durchschnittliche Eigenanteil bei einer Pflegedauer von drei bis vier Jahren bei 580 Euro pro Monat bei stationärer und etwa 125 Euro bei einer ambulanten Versorgung liegen.

Dabei hält es Rothgang für unverzichtbar, den Sockelbetrag nicht nur der Höhe nach, sondern auch bezüglich der Laufzeit fix zu definieren. Das „Risiko“ für Qualitätsverbesserungen samt der damit verbundenen zusätzlichen Kosten würde dann die Versichertengemeinschaft tragen.

Die Auswirkungen dieser Systemänderungen hielten sich nach Einschätzung des Bremer Sozialexperten in Grenzen. So würden im stationären Sektor zunächst verstärkt Mittel in hochpreisige Einrichtungen fließen.

Das sei im Sinne besserer Personalausstattung und höherer Löhne gewollt. Zudem würde es anfangs zu Mittelflüssen von Nord nach Süd kommen. Dieser Effekt werde aber durch ein bundesweites Personalbemessungsverfahren und flächendeckende Tariflöhne eingedämmt.

Überinanspruchnahme vermeiden

Darüber hinaus könnte laut Rothgang die Vollversicherung in der Spitze zu einer Überinanspruchnahme des Systems führen, indem teurere Versorgungsformen oder zu teure Anbieter gewählt werden. Zudem könnte die Leistungsmenge ausgeweitet werden, beispielsweise durch die häufigere Inanspruchnahme von Diensten in der ambulanten Pflege.

Um das zu verhindern, schlägt Rothgang vor, einen Einheitspflegesatz auf Landesebene einzuführen oder individuelle Preisverhandlungen zu führen, bei denen Kassen ein finanzielles Motiv hätten, die Kosten zu begrenzen.

Wenngleich es in der bayerischen Landesregierung laut Nowak noch keine Meinung zur künftigen Finanzierbarkeit der Pflegeversicherung gibt, zeigte sich die Amtschefin des bayerischen Gesundheitsministeriums reserviert gegenüber dem „Sockel-Spitze-Tausch“-Modell. Das gehe ihr zu sehr in Richtung Vollversicherung und könne wie in Österreich dazu führen, dass es vermehrt Einweisungen in teure Heime gebe.

„Ich plädiere dafür, im bisherigen System mit Teilkostenfinanzierung zu bleiben“, sagte Nowak. Sie sprach sich außerdem dafür aus, bei der Berechnung des Eigenanteils der Versicherten neben deren Rente auch andere Einkommensarten zu berücksichtigen.

Nicht nur an einzelnen Stellschrauben drehen

DAK-Chef Storm plädierte angesichts der vielen Facetten des Themas, nicht an einzelnen Stellschrauben zu drehen, sondern ein Gesamtkonzept zu entwickeln, um beispielsweise Lohnspreizungen zwischen Beschäftigten in der Pflege und in der allgemeinen Versorgung von alten Menschen zu vermeiden.

Einig waren sich die Diskutanten, dass dieses Thema in der laufenden Legislaturperiode nicht mehr gelöst werden könne. Zumindest sollte aber eine Roadmap für das weitere Vorgehen erstellt werden.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Zeit vertan

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