Weltärztinnenkongress in Münster

"Wir Ärztinnen können den Finger in die Wunden legen"

Unterschiedliche Sorgen der Ärztinnen aus aller Welt prägen den Weltkongress in Münster. Der Wunsch nach Austausch über regionale Unterschiede ist groß. Und eines wir rasch klar: Ein Frauenleben zählt in vielen Ländern wenig.

Christiane BadenbergVon Christiane Badenberg Veröffentlicht:
Mit viel Engagement beim Ärztinnenkongress: Prof. Marianne Schrader (links) betreut auch das Mentorenprogramm des Deutschen Ärztinnenbundes, Prof. Bettina Pfleiderer (Mitte) sitzt dem Wissenschaftskomitee des Kongresses vor. Dr. Astrid Bühren (rechts) war langjährige Vorsitzende des Ärztinnenbundes.

Mit viel Engagement beim Ärztinnenkongress: Prof. Marianne Schrader (links) betreut auch das Mentorenprogramm des Deutschen Ärztinnenbundes, Prof. Bettina Pfleiderer (Mitte) sitzt dem Wissenschaftskomitee des Kongresses vor. Dr. Astrid Bühren (rechts) war langjährige Vorsitzende des Ärztinnenbundes.

© Dammann

MÜNSTER. Wenn mittlerweile mehr als 60 Prozent der Medizinstudenten in Deutschland weiblich sind, braucht man dann wirklich noch einen Weltärztinnenkongress auf deutschem Boden? Wer Antworten auf diese Frage finden wollte, der wurde beim Kongress in Münster schnell fündig.

Klar ist allerdings, dass der Anspruch an den wissenschaftlichen Austausch je nach Herkunftsland durchaus unterschiedlich ist. So spielt für viele Frauen aus armen Ländern eine wichtige Rolle, dass zum Beispiel häufig nur Jungen Schutzimpfungen erhalten. Auch bekommen oft nur Jungen Fleisch zu essen, während die Mädchen wesentlich schlechter ernährt werden. In Indien ist die dritthäufigste Todesart für Frauen das Verbrennen, in vielen Ländern sterben Frauen ganz besonders oft durch Verkehrsunfälle.

Geschlechtsspezifische Daten liegen kaum vor

"Weil ein Frauenleben in vielen Ländern nicht besonders viel zählt", sagt Dr. Waltraud Diekhaus. Die Dortmunder Ärztin war neun Jahre lang Generalsekretärin des Weltärztinnenbundes. Sie will in diversen Funktionen weiter daran arbeiten, dass sich die gesundheitliche Versorgung von Frauen weltweit verbessert. "Wir Ärztinnen sind in aller Welt vor Ort und können den Finger in die Wunden legen", sagt Diekhaus.

Wichtigstes Anliegen ist für sie, aber auch für Dr. Regine Rapp-Engels, der Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, dass es prinzipiell für alle medizinischen Belange geschlechtsspezifische Daten geben sollte. Damit meinen die beiden zum Beispiel Therapie, Forschung, Ernährung oder auch Erziehung. Ein Thema, das derzeit wohl die Ärztinnen aus den reicheren Ländern noch stärker umtreibt als ihre Kolleginnen aus den Dritte-Welt-Staaten. "Im Prinzip müssten alle Lehrbücher neu geschrieben werden, weil dieser Aspekt bislang so gut wie nicht berücksichtigt wird", fordert Diekhaus, auch wenn sie weiß, dass sie sich mit dieser Auffassung vor allem bei männlichen Kollegen nicht viel Freunde macht. Das ist der resoluten und bei ihren internationalen Kolleginnen außerordentlich beliebten Ärztin aber auch wohl nicht so wichtig.

Aber Diekhaus und Rapp-Engels können ihre Forderung anhand von Beispielen gut begründen. So sei bekannt, dass die Herzkranzgefäße von Frauen dünner und verschlungener sind als die von Männern, berichtet Diekhaus. Operationen seien entsprechend schwieriger. Da wundert es dann schon, wenn ein Kardiologe sich bei Rapp-Engels beklagt, dass die Instrumente für eine Herz-OP für Frauen nicht so gut geeignet seien. "Wir Frauen sind aber keine verkleinerten Männer, da müssen eben die Instrumente neu entwickelt werden", sagt Rapp-Engels.

Der Beruf darf nicht an Prestige verlieren

Mittlerweile sei auch entdeckt worden, dass Nikotin-Pflaster bei Frauen nicht so gut anschlagen wie bei Männern und dass, wenn Frauen und Männer gleich viel rauchen, erheblich mehr Frauen an Lungenkrebs erkrankten. Solche Daten seien wichtig und müssten ausgewertet werden, fordern die beiden Ärztinnen, die während des Kongresses nahezu rund- um- die-Uhr im Einsatz sind. Vor allem die Münsteranerin Rapp-Engels ist stark gefragt, da sie als DÄB-Präsidentin auch Gastgeberin ist.

Interessant ist der internationale Austausch der Ärztinnen auch, weil einige regionale Besonderheiten zur Sprache kommen, die sonst in anderen Ländern gar nicht registriert würden. So gibt es offenbar vor allem in Asien und im Iran große Probleme mit der Internetsucht. Hier sehen viele Frauen bereits ihre Familienstrukturen bedroht. In einigen afrikanischen Ländern lehnen es vor allem gebildete Schichten ab, ein Moskitonetz zu benutzen, obwohl diese zum Teil kostenlos abgegeben würden. "Angeblich sei diesen Menschen zu warm darunter oder ihnen würde die Handhabung nicht gefallen", berichtet Professor Bettina Pfleiderer, Vorsitzende des Internationalen Wissenschaftskomitees des Kongresses. Sie hat die eingereichten Abstracts gesammelt und aufbereitet und dabei sind ihr diese Besonderheiten aufgefallen. Ebenso registriert hat sie dabei, dass kaum Teilnehmerinnen aus lateinamerikanischen Ländern Vorträge angemeldet hätten, ganz im Gegensatz zu den Afrikanerinnen oder Asiatinnen. "Sie fürchten offenbar ihr Englisch sei nicht gut genug für eine Präsentation", vermutet Pfleiderer.

Fest steht auch, dass es in Russland sehr viel mehr Ärztinnen als Ärzte gibt. "Das liegt daran, dass Ärzte in Russland sehr schlecht bezahlt werden", sagt Diekhaus. Das sollte den vielen deutschen Medizinstudentinnen, die bald in Kliniken und Praxen streben, eine Warnung sein. Sie müssen sehr genau darauf achten, dass ihr Beruf nicht an Prestige verliert, nur weil er nicht mehr von Männern dominiert wird. Auch das ist eine Erkenntnis des Weltärztinnenkongresses.

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