Maue Einnahmen, hohe Ausgaben

Woran krankt die gesetzliche Krankenversicherung?

Die GKV kommt immer stärker in die Bredouille. Ist sie nun strukturell einnahmenschwach oder durch zu ausgabenlastige Reformen gebeutelt? Eine neue Analyse versucht diese Frage zu beantworten.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Die GKV zahlt für ihre kranken Versicherte, doch das System krankt selbst.

Die GKV zahlt für ihre kranken Versicherte, doch das System krankt selbst.

© HNFOTO / stock.adobe.com

Die Gesundheitspolitik krankt mit Blick auf die Finanzen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) an einem Ausgabenproblem. Zu diesem Befund kommt Jochen Pimpertz vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einem jüngst veröffentlichten Aufsatz (IW-Trends 2019; 46: 1).

Das Bruttonationaleinkommen (BNE) ist seiner Untersuchung nach im Zeitraum von 1991 bis 2017 um knapp 103 Prozent gestiegen, im Mittel mit einer Rate von knapp 2,8 Prozent pro Jahr. Dagegen nahmen die GKV-Ausgaben im selben Zeitraum im Schnitt um 3,5 Prozent pro Jahr zu, 0,7 Punkte stärker als die volkswirtschaftliche Referenzgröße.

Dies sei ein Hinweis darauf, dass „die Finanzierungsprobleme in der GKV vorrangig durch die Ausgabenentwicklung verursacht werden“.

Einnahmebasis verbreitern oder Ausgaben schmälern?

Pimpertz Analyse ist nicht akademisch, sondern hochpolitisch: Wird der GKV eine strukturelle Schwäche auf der Einnahmenseite attestiert, dann liegt es nahe, die Finanzierungsregeln zu modifizieren oder die Einnahmebasis zu verbreitern. Ein Stichwort dafür ist die Bürgerversicherung.

Kranken die gesetzlichen Kassen hingegen an einem Ausgabenproblem, wäre es folgerichtig, den Leistungsumfang der GKV oder Fehlanreize in der Versorgung in den Fokus zu nehmen. Verknüpft wird diese ausgabenorientierte Gesundheitspolitik oft mit der Forderung, stärker auf marktwirtschaftliche Steuerungsinstrumente zu setzen.

Zur Begründung seiner These verweist Pimpertz auf die Entwicklung der durchschnittlichen Pro-Kopf-Ausgaben aller Versicherten in der GKV seit der Wiedervereinigung. Sie nahmen bis zum Jahr 2017 um 141 Prozent oder mit einer jährlichen Wachstumsrate von knapp 3,5 Prozent zu. Die beitragspflichtigen Einkommen je Versicherten stiegen seit 1991 um etwa 85 Prozent oder pro Jahr mit durchschnittlich 2,4 Prozent.

Die Entwicklung von Ausgaben und Einnahmen pro Kopf liegt damit um rund einen Prozentpunkt auseinander. An diesem Befund ändert sich auch dann wenig, wenn statt der Versicherten nur die beitragszahlenden GKV-Mitglieder berücksichtigt werden. Dann sinkt die Wachstumsrate der GKV-Ausgaben zwar auf 3,1 Prozent, aber auch das Wachstum der beitragspflichtigen Einkommen je Mitglied ist mit rund zwei Prozent je Kopf entsprechend niedriger.

Unschärfen in der Analyse

Der IW-Forscher Pimpertz räumt ein, dass es statistisch bedingte Unschärfen in seiner Analyse gibt: Zwar sind die Ausgaben in der GKV-Finanzstatistik solide dokumentiert, doch bei der Berechnung der Höhe der beitragspflichtigen Einkommen könne der Einfluss einer schwankenden Zahl von Personen mit reduziertem Beitragssatz (etwa Selbstständige) oder mit pauschalem Beitrag (Empfänger von Grundsicherung) nicht abgebildet werden.

Die demografische Entwicklung in Deutschland indes gibt Anlass zur Annahme, dass die Einnahmenseite der GKV zunehmend unter Druck gerät.

Da beitragspflichtige Alterseinkommen, vor allem aus der gesetzlichen Rentenversicherung, unter dem Niveau der Durchschnittseinkommen im Erwerbsalter liegen, „provoziert ein steigender Anteil älterer GKV-Versicherter Deckungslücken, die nach derzeitigem Beitragsrecht nur über höhere Beitragssätze geschlossen werden können“, schreibt Pimpertz.

In dem von ihm untersuchten Zeitraum sind die Beitragssätze in der GKV von 12,3 (1991) auf 15,7 Prozent (2017) gestiegen. Daran hat auch ein Steuerzuschuss an die GKV in Höhe von zuletzt 14,5 Milliarden Euro sowie die Beitragspflicht auf Betriebsrenten wenig geändert.

Quo vadis, Staat?

Das Thema könnte die Akteure in der GKV schneller heimsuchen, als ihnen lieb ist: Diesen Donnerstag, 7. Mai, wird die aktualisierte Steuerschätzung für 2019 erwartet. Noch im Oktober 2018 erwarteten Steuerschätzer eine Fortsetzung der Einnahmen-Rallye. Prognostiziert wurde, dass dem Bund 334 Milliarden Euro in die Kassen gespült werden – plus 3,2 Prozent im Vergleich zu 2018.

Vor allem Wirtschaftspolitiker haben die Bürger in den vergangenen Tagen auf schlechte Nachrichten vorbereitet: Man müsse sich entscheiden, ob das Land zukunftsfest gemacht oder der Sozialstaat ausgeweitet werden solle, so Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus – Auftakt der Wiederkehr einer ausgabenorientierten Gesundheitspolitik?

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