Zusammenarbeit

„Ärzte wissen zu wenig über das soziale Netz in der Region“

Viel zu selten funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Sozialarbeitern und Ärzten reibungslos. Wo es hakt und was dies mit der Sprache zu tun hat, erläutert Professor Detmar Jobst vom Institut für Hausarztmedizin der Universitätsklinik Bonn im Interview.

Kathrin HandschuhVon Kathrin Handschuh Veröffentlicht:
Symbolbild: Social safety net

In manchen Notlagen bieten die Kommunen und Kreise Hilfe an. „Das Wissen der Ärzte um das soziale Netz in Kommunen und Kreisen ist unseren Untersuchungen nach wenig ausgeprägt,“ so Professor Detmar Jobst im Interview.

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Ärzte Zeitung: Herr Professor Jobst, wie ist es in Deutschland um die Zusammenarbeit von Hausärzten und Sozialarbeitern bestellt?

Professor Detmar Jobst: Bedauerlicherweise gibt es zwischen den beiden Berufsgruppen keinen regulären Kontakt. Dabei sind die Anliegen von bedürftigen Patienten nicht selten durchaus biopsychosozialer Natur. Obwohl Ärzte und Sozialarbeiter professionelle Helfer in ähnlichen sozialen Notlagen sind, agieren sie bis auf wenige Bereiche überwiegend separat.

Nehmen wir beispielsweise einen Patienten, der sich überschuldet hat. Er leidet seitdem verstärkt an Magenbeschwerden. Falls die Hausärztin oder der Hausarzt hier einen Zusammenhang sehen, spielt dieser bei der Behandlung nur eine untergeordnete Rolle. In so einem Fall wäre es hilfreich, wenn der Hausarzt nicht nur die Beschwerden und die Gefahr eines Ulcus ventriculi medikamentös angeht, sondern auch weiß, dass und wo es eine professionelle Schuldenberatung gibt und den Kontakt herstellen würde. Das Wissen der Ärzte um das soziale Netz in Kommunen und Kreisen ist unseren Untersuchungen nach wenig ausgeprägt.

Professor Detmar Jobst

  • Aktuelle Position: Mitgründer des Instituts für Hausarztmedizin an der Universität Bonn. Außerdem ist er seit 1998 als Hausarzt tätig.
  • Werdegang: Seit den 2000er Jahren forscht er zu sozialen Patientenproblemen. Er ist ständiges Mitglied im Ausschuss für Soziales, Migration und Gesundheit der Stadt Bonn. Seine weiteren Interessen gelten der Leitlinienarbeit und der Anwendung von Naturheilverfahren im häuslichen und medizinischen Kontext.
  • Karriere: Herausgeber des Standardwerks „Facharztprüfung für Allgemeinmedizin“ in 6. Auflage.
  • Privates: Detmar Jobst ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Sie haben Fachbereiche angesprochen, in denen die Kooperation dennoch gut funktioniert. Welche sind das?

Zum Beispiel die ambulante Psychiatrie. Ein Sozialarbeiter besucht Patienten etwa im Auftrag der behandelnden Psychiater. Er kümmert sich um amtliche Schreiben, um Förderungsmaßnahmen, schaut nach dem menschlichen Miteinander in der Wohnsituation, der Eigenversorgung und nach der Körperhygiene. Wie bei den Geisteskrankheiten ist Sozialarbeit eine feste Einrichtung auch in der Therapie von Suchtkranken. Die psychosoziale Beratungsarbeit wird als Pflichtleistung von Kommunen und Kreisen finanziert. Das Verhältnis zwischen substituierenden Ärzten und Sozialarbeitern ist hier zum Teil eng.

Ein weiteres wichtiges Tätigkeitsfeld ist das Entlassmanagement aus dem Krankenhaus. Dabei kümmern sich an Kliniken angestellte Sozialarbeiter darum, für unselbstständige, meist ältere Patienten nach ihrer Entlassung eine geeignete Unterkunft zu finden – entweder im Seniorenheim, in der Geriatrie oder in der Kurzzeitpflege. Manchmal geht es für die Betroffenen auch darum, mit Unterstützung weiter im eigenen Zuhause zu leben.

Prof. Detmar Jobst, Institut für Hausarztmedizin, UKB

Prof. Detmar Jobst, Institut für Hausarztmedizin, UKB

© privat

Worin sehen Sie die Gründe, dass die Zusammenarbeit bislang noch nicht überall etabliert ist?

Ein wichtiger Grund liegt in der unterschiedlichen Ausbildung. Die Werdung von Ärztinnen und Ärzten ist überwiegend akademisch angelegt. Sie gehen erst am Ende ihres Studiums in die klinische Ausbildung. Dagegen kommen Sozialarbeiter durch ihr Fachhochschulstudium früh mit ihrer zukünftigen Klientel und ihren späteren Tätigkeitsfeldern in Kontakt. Sozialarbeit ist breit angelegt, beispielsweise werden juristische, soziologische und psychologische Kenntnisse neben den sozialarbeiterischen Methoden gelehrt und in Projekten innerhalb der Ausbildung angewendet. Diese Rückmeldung haben wir von Sozialarbeitern in unseren Erhebungen bekommen.

Unterschiedlich ist auch die Sprache beider Berufsgruppen: Sie verwenden jeweils sprachliche Chiffren, die weit auseinander liegen und oftmals Erläuterungen benötigen. Während Sozialarbeiter Wert auf nicht-diskriminierende Sprache legen, arbeiten Ärzte untereinander mit medizinischen Fachbegriffen und Kürzeln, die Kommunikation mit Patienten wird im Studium vermittelt. Auch wenn Ärztinnen und Ärzte durchaus empathisch sind und die Patienten so weit wie möglich unterstützen möchten, geht dies nur in begrenztem Maße. Die Mediziner haben im Praxisalltag zu wenig Zeit, aber auch zu wenige Kenntnisse, um sich eingehend mit sozialen Problemstellungen zu befassen.

Was können Ärzte und Sozialarbeiter tun, um in Zukunft gemeinsam Männer und Frauen mit sozialen Schwierigkeiten zu betreuen?

Jeder Fachbereich sollte dem anderen für eine gewisse Zeit über die Schulter schauen, vielleicht für ein Semester während des Studiums. Dadurch lässt sich das Verständnis für die Arbeit des anderen fördern. Für den Praxisalltag benötigen Ärzte außerdem einen Überblick über sozialarbeiterische Angebote auf lokaler und regionaler Ebene – am besten in digitaler Form. Eignen würde sich auch eine spezielle Clearingstelle.

Wenn sich Ärzte und Sozialarbeiter zusammentun, steht häufig die Vermeidung von Pflegebedürftigkeit bei Senioren im Mittelpunkt, beispielhaft waren zuletzt aber auch die Corona-Impfungen in sozialen Brennpunkten. Welche Projekte setzen aus ihrer Sicht eine Kooperation besonders erfolgreich um?

Erwähnenswert ist sicherlich das Projekt „Gemeindeschwester plus“ aus Rheinland-Pfalz. Dort wie auch beim „Gesunden Kinzigtal“ oder dem „Gesundheitskiosk“ in Hamburg werden soziale Aspekte viel stärker in die Präventions- und Beratungsarbeit integriert, als es im ärztlichen Alltag möglich wäre. Diese Projekte stützen sich aber nicht so sehr auf die klassische Sozialarbeit. Vielmehr geht es dort um medizinnahe Dienstleistungen wie Physiotherapie, Fahrdienste oder ehrenamtliche Begleitungen. Neben den Ärzten übernehmen Gesundheitsberater und das Pflegepersonal die Beratungsarbeit.

Hervorheben möchte ich eine Untersuchung über das „Soziale Rezept“, die derzeit vom BMBF gefördert wird. Die aus Großbritannien stammende Idee richtet sich an sozial schlecht gestellte Patienten. Hausärzte können sie per Rezept an Träger sozialer Arbeit überweisen. Dies passt zu den Ergebnissen aus unseren Studien: Ein institutionelles Verfahren trüge dazu bei, die sozialen Nöte unserer Patienten mit geeigneten kommunalen oder regionalen sozialen Hilfsangeboten zusammenzuführen.

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