RWI-Ökonom Augurzky

„Ambulante Leistung muss sich lohnen“

Der Kliniksektor in der Bundesrepublik wandelt sich. Doch das ist erst der Anfang, sagt der RWI-Ökonom Professor Boris Augurzky. Ab 2022 werde die Kostenschraube richtig angezogen. Der Gesetzgeber müsse spätestens jetzt umsteuern – mit mehr Geld im Strukturfonds und einer neuen Vergütungsform.

Denis NößlerVon Denis Nößler Veröffentlicht:
Fordert mehr Geld für den Strukturwandel im stationären Sektor: RWI-Ökonom Professor Boris Augurzky. Sven Lorenz / RWI

Fordert mehr Geld für den Strukturwandel im stationären Sektor: RWI-Ökonom Professor Boris Augurzky. Sven Lorenz / RWI

© Sven Lorenz, Essen

Ärzte Zeitung: Herr Augurzky, in den deutschen Krankenhäusern ist die Zahl der Betten seit 1991 deutlich gesunken aber gleichzeitig die Zahl der Intensivbetten gestiegen. Ist das ein Symptom des medizinischen Fortschritts oder ist es nicht auch den DRG zu verdanken?

Professor Boris Augurzky: Es liegt wohl an beidem. Es gibt ja einiges an medizinischem Fortschritt und es kann deswegen auch ein viel breiteres Patientenklientel behandelt werden als früher. Und die Menschen werden älter, auch damit steigt der Bedarf an intensivmedizinischen Kapazitäten.

Gleichwohl setzt auch das DRG-System Anreize, in Richtung komplexerer Medizin zu gehen. Mit Blick auf die Pandemie müssen wir allerdings auch sagen, dass wir mit so vielen Intensivbetten auch Glück hatten. Im Vergleich zu anderen Ländern sind wir in Deutschland da sehr gut aufgestellt.

Und dennoch prophezeien Sie in einem neuen Dokument für das RWI, dass ab 2022 viele Krankenhäuser ins Straucheln kommen. Warum?

Bislang waren wir davon ausgegangen, dass ab Mitte dieses Jahrzehnts die Krankenhäuser vor Problemen stehen werden. Das liegt an der hochbetagten Gesellschaft: Die geburtenstarken Jahrgänge gehen allmählich in Rente und fehlen uns dann als Steuerzahler und Beitragszahler. Dadurch steht weniger Geld im Gesundheitswesen zur Verfügung.

Mit der Corona-Pandemie wird sich das sogar noch weiter verschärfen. Im Moment zwar noch nicht, weil wir über Konjunkturpakete viel Geld in die Volkswirtschaft pumpen. Aber das sind Schulden, für die wir später bezahlen müssen. Nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr wird wohl die Rechnung präsentiert werden.

Professor Boris Augurzky

  • Aktuelle Position: Leiter des Kompetenzbereichs „Gesundheit“ beim RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung
  • Werdegang: seit 2016 Außerplanmäßiger Professor an der Uni Duisburg-Essen; seit 2019 Vorstandsvorsitzender der Stiftung Münch; seit 2003 RWI, Leiter des Kompetenzbereichs „Gesundheit“; seit 2006 Geschäftsführer des Institute for Health Care Business; 2001–2003 Consultant bei The Boston Consulting Group
  • Ausbildung: 1992–2001 Studium der Volkswirtschaftslehre und der Mathematik an der Uni Heidelberg mit Schwerpunkt Statistik und Ökonometrie; 2001 Promotion

Mit der Konsequenz, dass es dann zu deutlichen Steuererhöhungen kommen wird?

Das wird nicht genügen, man wird an die Kosten herangehen müssen, auch im Gesundheitswesen. Und dann wird es eben Sparmaßnahmen auch im Krankenhausbereich geben.

Sie erwarten, dass eine neue Bundesregierung, egal welcher Couleur, gnadenlos zu Kostendämpfungsgesetzen greifen wird?

Davon gehe ich aus. Wir werden Kostensenkungsmaßnahmen erleben. Wie stark sie sein werden, wird sich zeigen. Das können auch langfristige Maßnahmen sein, die nicht gleich im ersten Jahr greifen. Aber es wird eine Phase der Sparsamkeit auf uns zukommen.

Sie haben die Konjunkturprogramme und Schutzschirme angesprochen. Die gab es ja auch für die Krankenhäuser. Könnte sich die eine oder andere Klinik dadurch nicht vielleicht auch gesundgestoßen haben?

Anfangs waren die Maßnahmen sehr pauschal, da ist völlig klar, dass es damit keine Einzelfallgerechtigkeit gibt. Die Krankenhäuser, die finanziell etwa besser dastanden, konnten sich in dieser Phase zwar nicht gesundstoßen, aber zumindest etwas für ihre wirtschaftliche Gesundung tun. Immerhin hat die Politik das im Sommer neu austariert und die Hilfen etwas stärker differenziert.

Sie fordern in ihrem Diskussionsbeitrag, „nach Corona stabile Krankenhausstrukturen zu schaffen“. Was muss dafür passieren?

Wir haben in Deutschland eine recht hohe Krankenhausdichte, nicht nur in den Ballungsräumen, sondern auch in der Peripherie. Durch eine kluge Zentralisierung der stationären Versorgungsstrukturen könnte unser System aber sehr viel besser werden, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch bezüglich der medizinischen Qualität ...

... zum Preis längerer Anfahrtswege?

Ja, die Erreichbarkeit für die Bevölkerung ist ein wichtiger Punkt. In vielen Fällen kann es auch in ländlichen Regionen eine ausreichende Erreichbarkeit geben, wenn wir stärker zentralisieren. Dabei geht es nicht nur um die Krankenhausstrukturen, wir müssen auch stärker sektorenübergreifend denken. Gerade auf dem Land müssen wir die fachärztliche Versorgung aus ambulanten und stationären Strukturen stärker vernetzen, schlicht mangels der Fachkräfte.

Der eine Aspekt ist die Angebotsstruktur, der andere die Frage nach mehr ambulanter Medizin. Dazu macht sich auch die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Sektorenübergreifende Versorgung“ Gedanken. Was müsste denn aus Ihrer Sicht passieren, dass mehr Patienten von niedergelassenen Ärzten statt in Krankenhäusern behandelt werden?

Nicht nur die hohe Krankenhausdichte ist ein Problem, sondern auch die hohe Zahl der stationären Fälle pro Einwohner. Wir haben zum Teil 30 Prozent mehr stationäre Fälle als in anderen vergleichbaren Ländern. Parallel dazu wird durch den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt in der Medizin aber immer mehr ambulant möglich.

Woran hängt es dann?

Wenn ein Krankenhaus heute mehr ambulante Leistungen erbringt, dann stellt es sich damit wirtschaftlich schlechter als wenn es stationäre Leistungen erbringt. Deshalb müssen wir das Vergütungssystem so gestalten, dass ambulante Leistungen sich lohnen. Wir müssen von vorneherein sektorenübergreifend denken. Sowohl was die Vergütung als wahrscheinlich auch was die Bedarfsplanung angeht.

Wenn Sie sagen, Krankenhäuser müssten mehr ambulant versorgen, werden sich die Vertreter aus dem KV-System aber auf die Hinterbeine stellen, schließlich geht das an ihren Honorartopf.

Ja, das ist klar, das sind die bekannten Frontlinien. Das darf uns aber nicht hindern, über Lösungen nachzudenken. Insbesondere in ländlich geprägten Regionen machen es personelle Schwierigkeiten heute schon schwer, die Versorgung weiterhin gut zu gewährleisten. Denken Sie nur an die Arztpraxen, die erfolglos Nachfolger suchen. Und diesen Personalmangel sehen wir auch in Krankenhäusern.

Wenn beide Sektoren letztendlich aber ähnliche Probleme haben, sollten sie sie gemeinsam lösen. Sie müssen enger zusammenrücken, durchaus auch räumlich. Dann könnten sie Dienste einfacher abbilden, Dienstpläne flexibler gestalten. Und sie könnten so dem ärztlichen Nachwuchs neue Optionen bieten, dann eben doch auf dem Land zu arbeiten.

Diskussionen um Reformen für eine sektorenübergreifende Versorgung gibt es ja schon lange. Wir erinnern uns an den Schulterschluss zwischen KBV und Marburger Bund. Der Bundesgesetzgeber versucht derzeit durch die Hintertür eine Reform der Kliniklandschaft. Stichworte sind der Stufenplan, integrierte Notfallzentren. Geht das in die richtige Richtung?

Diese Maßnahmen weisen zumindest in die Richtung, stärker zu zentralisieren. Instrumente sind unter anderem mehr Regulierung, Vorgaben, Mindestvorgaben, Mindeststrukturen, Personaluntergrenzen. Ich würde mir aber wünschen, dass wir mehr über positive Anreize erreichen, dass wir die Vergütung so gestalten, dass die Versorgungsstrukturen sich in die richtige Richtung entwickeln.

Ich könnte mir gut vorstellen, dass wir in ländlichen Gebieten ein bisschen vom reinen DRG-System abrücken und mehr in Budgets denken, ohne damit aber die bestehenden Strukturen zu zementieren. Ein solches Vergütungssystem sollte den Akteuren mehr Freiheiten lassen als heute, damit sie die Versorgung vor Ort so gestalten können, wie es sinnvoll ist. Und es muss sich für Krankenhäuser lohnen, wenn sie statt einer stationären Versorgung eine Leistung ambulant erbringen.

Könnten das auch Sicherstellungszuschläge oder Vorhaltepauschalen für ländlichen Einrichtungen sein?

Ja, das wäre eine Möglichkeit. Das volle Modell, eine 100-prozentige Finanzierung über ein Regionalbudget statt DRG, hat Vor- und Nachteile. Eine Alternative wäre, dass wir zu Beginn zumindest zum Teil von der ausschließlichen Mengenorientierung abrücken.

Wir könnten etwa ein Drittel über ein Vorhaltebudget finanzieren und die anderen zwei Drittel vergüten wir mengenorientiert über die DRG. Dann hätten wir den Mengenanreiz schon etwas reduziert, hätten aber auch die Vorhalteleistungen besser vergütet. Dann erübrigt sich auch die Debatte um Sicherstellungszuschläge.

Das Vorhaltebudget darf es aber nicht für jedes einzelne Haus separat geben, sonst würden wir viele Ungerechtigkeiten zwischen Regionen schaffen. Das Budget gäbe es für eine Region gemäß ihrer Morbidität und Demografie. Es würde dann auf die Akteure vor Ort aufgeteilt werden.

Sie hatten schon vor Jahren den Begriff der Abwrackprämie für Kliniken ins Spiel gebracht. Wie könnte die ab 2022 aussehen?

Tatsächlich gibt es diese Abwrackprämie ja längst über den Krankenhausstrukturfonds, der das Ziel hat, Kliniken stärker zu zentralisieren und auch zu schließen. Dieser Fonds wird wirklich gut genutzt, es gab sogar eine Übernachfrage, weswegen er über das Jahr 2022 hinaus verlängert wurde. Für diese Strukturveränderung sollten noch mehr Investitionsmittel bereitgestellt werden.

Ein Beispiel, damit einmal die Dimensionen klar werden: Wenn wir dem dänischen Beispiel bei der Zentralisierung folgen wollten, bräuchten wir fast 100 Milliarden Euro für Deutschland als Investitionsmittel. Im Moment haben wir gerade einmal gut fünf Milliarden Euro.

Das Gespräch zum Anhören

Das Interview mit Professor Boris Augurzky gibt es als „ÄrzteTag“-Podcast zum Anhören.

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