Nach Hausarzt-Umschulung

"Der Anspruch ist höher als in Kliniken"

Der ehemalige Klinikarzt Bernd Scharfe fing nach seiner Pensionierung als Weiterbildungsassistent in einer Hausarztpraxis an. Jetzt weiß er, was ein Allrounder auf dem Land ist - und schämt sich für seine Einstellung, die er als Anästhesist hatte.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Bernd Scharfe ist seit einem Jahr Weiterbildungsassistent in Neukirchen.

Bernd Scharfe ist seit einem Jahr Weiterbildungsassistent in Neukirchen.

© Dirk Schnack

NEUKIRCHEN. Bernd Scharfe war der erste Arzt, der 2012 im Norden den Quereinstieg in die Allgemeinmedizin wagte: mit 66 Jahren. Das Fazit des Anästhesisten fällt nach einem Jahr Praxis positiv aus.

"Es war immer mein Wunsch, Menschen helfen zu können. Hier als Landarzt kann ich das", sagt Scharfe.

Bis zu seiner zwischenzeitlichen Pensionierung hatte Scharfe als Anästhesist und Notfallmediziner in den Kliniken in Niebüll und Damp gearbeitet.

Der Bürgermeister des Ortes Neukirchen an der dänischen Grenze hatte den im Nachbarort wohnenden Scharfe nach dessen Pensionierung gebeten, die freie Arztstelle zu besetzen.

Mit dem Quereinstieg Allgemeinmedizin wurden die formalen Hürden von Kammer und KV Schleswig-Holstein schnell aus dem Weg geräumt. Auch die nach zwei Jahren anstehende Prüfung war für Scharfe kein Schreckgespenst.

Praxisinhaber mit seinem älteren Assistenten zufrieden

Heute, nach rund zwölf Monaten in der Praxis, nötigt ihm die Allgemeinmedizin doch gehörigen Respekt ab. "Ich habe geglaubt, dass ich als Anästhesist alles könnte. Ich schäme mich fast ein bisschen für meine damalige Einstellung", resümiert Scharfe heute.

Denn in der Zweigpraxis ist Scharfe als Weiterbildungsassistent täglich mit einem breiten Spektrum konfrontiert, das ihm hohe Konzentration und Arbeitsintensität abverlangt.

Hinzu kommt: Er hat die Patienten nach der Sprechstunde nicht wie in der Klinik unter Kontrolle und keine Kollegen verschiedener Fachrichtungen, die er zu Rate ziehen könnte. "Das ist ein hoher Anspruch, höher als in der Klinik", lautet sein Fazit.

Zufrieden mit seinem älteren Assistenten und der Entwicklung der Zweigpraxis ist auch Dr. Thomas Maurer. Der Praxisinhaber aus dem rund 25 Kilometer entfernten Leck arbeitet jeden Montag mit Scharfe zusammen in der Zweigpraxis.

"Fachlich keine Einbahnstraße"

An den anderen Tagen kann er dank EDV jederzeit einsehen, wie Scharfe den Patientenandrang in Neukirchen bewältigt, und steht bei Bedarf für Kontakt zur Verfügung.

"Bernd Scharfe ist ein typischer Familienmediziner. Er nimmt sich die Zeit, den Menschen zuzuhören, behält aber die Wartenden im Blick", sagt Maurer über den 13 Jahre älteren Kollegen.

In den wöchentlichen Besprechungen des Praxisteams, zu dem auch zwei angestellte Ärztinnen zählen, bringt Scharfe seine ganze Erfahrung ein.

Nach Maurers Beobachtung profitieren er und seine Kolleginnen ebenso wie Scharfe vom Austausch. "Fachlich ist das keine Einbahnstraße", sagt Maurer.

Schwarze Null im ersten Jahr

Wirtschaftlich ist er mit dem ersten Jahr zufrieden. Im ersten Quartal kamen rund 250 Patienten in die Zweigpraxis, in den beiden Folgequartalen zwischen 350 und 400, im vierten Quartal waren es deutlich über 400.

Angesichts eines begrenzten Einzugsgebietes ist das für Maurer ein gutes Ergebnis. "Wir werden eine schwarze Null schreiben", sieht er seine Prognose von vor einem Jahr bestätigt.

Dies gelingt bei der geringen Scheinzahl nur, weil die Verwaltung durch die gut organisierte Hauptpraxis in Leck nebenbei mit erledigt werden kann.

Eigene Niederlassung kann er sich nicht vorstellen

Eine andere Form als die für 20 Stunden geöffnete Zweigpraxis hält Maurer für Orte wie Neukirchen für nicht wirtschaftlich.

Als Inhaber einer Einzelpraxis müsste er versuchen, mehr Patienten auf Kosten der Praxen in den angrenzen Orten zu gewinnen. Das lehnen Maurer und Scharfe ab.

Eine weitere Erhöhung der Scheinzahlen aber halten beide dennoch für möglich. Für Scharfe ist die Anstellung in der Zweigpraxis das ideale Modell, eine eigene Niederlassung kann er sich nicht vorstellen - mit EDV und Administration beschäftigt er sich nicht gern.

Arbeitgebender und beschäftigter Arzt sind heute zuversichtlich, dass sie die angestrebten fünf Jahre in dieser Konstellation zusammen arbeiten werden. Spätestens dann wird sich Maurer nach einem jüngeren Kollegen umsehen müssen.

Maurer will auch nicht ausschließen, dass er nach den positiven Erfahrungen in Neukirchen bei Bedarf eine vergleichbare Konstellation noch an einem weiteren Ort in Nordfriesland wagt.

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Kommentare
Dr. Florian Baier 04.04.201318:57 Uhr

Bei allem Respekt...

Aufgrund seines Alters ist der Kollege vom Notdienst befreit. Er ist Rentner und daher nicht auf den kärglichen Hausarzt-Lohn angewiesen.
Außerdem kann er sich intensivere Beschäftigung mit EDV u. Praxisverwaltung nicht vorstellen. Dies sehen viele Kollegen genauso und daher erscheint ein eigene Hausarztniederlassung ziemlich abschreckend !

Dr. Richard Barabasch 04.04.201313:27 Uhr

Na, da schau hin !

Dieser Bericht - besten Dank dafür! - zeigt zweierlei:
einmal, dass Hausarzt auf dem Lande sein mehr Wert-Schätzung verdient. Der "Neugebackene" tut es aufrichtig und ist aus Erfahrung klug geworden.
Zum anderen: die aktuell möglich gwordenen Kooperationsformen (es war allerhöchste Zeit beim Glockenschlag 24.00 Uhr !!!) ermöglichen Maßnahmen und hilfreiche Konstruktionen einer Sicherstellung, die Zufriedenheit auf beiden (Kooperations-)Seiten aufkommen lassen - wenn "man" (die Kooperierenden UND die KV) will und dergestalt seh'' ich das "hardware"-Problem für die Zukunft ausschließlich in der Zahl der niederlassungswilligen ärztlich geprüften Menschen-Zahl und weniger in der strukturellen Möglichkeit für die Niederlassung als Haus-Land-Arzt,
meint
Richard Barabasch

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