Zukunftsbranche Gesundheit

Die Angst vor der unsichtbaren Hand

Ist unser Gesundheitssystem künftig dem Sozialbereich zuzuordnen, der durch staatliche Eingriffe geprägt ist? Oder geht es eher hin zu Markt und Wettbewerb?

Von Uwe K. Preusker Veröffentlicht:

Das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem sozialen Ausgleich verbinden - so lautet der von dem Nationalökonomen Alfred Müller-Armack im Jahr 1956 formulierte Grundgedanke der Sozialen Marktwirtschaft. In der in der Bundesrepublik verwirklichten Form einer Wettbewerbsordnung, die durch soziale Orientierung und - wo nötig - Flankierung ergänzt wurde, hat sie zu Prosperität und Wohlstand geführt.

Ist es möglich, aus dieser Grundidee der Sozialen Marktwirtschaft heute Anregungen für die Weiterentwicklung des deutschen Gesundheitssystems zu beziehen? Ludwig Erhard sah im Markt und im dort herrschenden Wettbewerb das zentrale Leitbild der sozialen Marktwirtschaft. Wettbewerb, so seine Überzeugung, würde als solcher, gebändigt durch eine vom Staat garantierte Wettbewerbsordnung, die die Bildung wirtschaftlicher Machtkonzentrationen - etwa von Monopolen und ihren negativen Auswirkungen - verhindert, zu positiven Ergebnissen führen. Die soziale Ausrichtung der Marktwirtschaft sollte im Sinne des Subsidiaritätsprinzips nur dort, wo sie sonst gefährdet wäre, durch den Staat durch gezielte Steuerung und soziale Interventionen sichergestellt werden.

Die Grundfrage, die heute zu beantworten ist, wenn nach dem Verhältnis von Sozialer Marktwirtschaft und Gesundheitssystem gefragt wird, ist die, auf welche Seite denn das Gesundheitssystem gehört: Ist unser Gesundheitswesen auch zukünftig der Sphäre des schutzbedürftigen und -würdigen Sozialen zuzuordnen, das vom Staat im Sinne des Subsidiaritätsprinzips durch soziale Interventionen sichergestellt werden muss?

Thomas Straubhaar, seines Zeichens Direktor des Weltwirtschaftsinstitutes in Kiel, sieht viele "soziale" Themen zukünftig im Sinne eines Perspektivwechsels als Themen der Wirtschaftspolitik und nicht der Sozialpolitik - darunter auch die Gesundheitspolitik. Dann aber müssen die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft auch auf die Gesundheitspolitik angewandt werden. Straubhaar zählt dazu neben Wettbewerb und Veränderungsbereitschaft vor allem die strikte Trennung von sozialen Themen einerseits und (markt-)wirtschaftlichen Themen andererseits.

Gut verdeutlichen kann man das am Beispiel des Wettbewerbs: Er ist durch die damit verbundenen Suchprozesse nach den besten Lösungen eine Chance, für die Gesellschaft insgesamt Vorteile und Wachstum zu erreichen. Gegenwärtig stellt Wettbewerb dagegen vor allem eines dar: eine Bedrohung des Besitzstandes jedes einzelnen Players im Gesundheitssystem! Und - Hand aufs Herz - davor haben wir alle Angst!

Die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft aber waren nicht erfolgreich, weil sie die Verhältnisse zementiert und Veränderungen verhindert haben, sondern weil sie genau das Gegenteil taten: Sie waren Ermöglicher und Ermutiger, immer neue, noch bessere Wege zu suchen, die am Ende der Gesellschaft insgesamt zugutekamen.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Statistisches Bundesamt

Beschäftigte arbeiten 2026 2,4 Arbeitstage mehr

Das könnte Sie auch interessieren
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Kommentare
Helmut Karsch 29.07.201008:26 Uhr

Das Marktgeschrei

Das ständige rufen nach Markt und Marktgeschehen jenseits dessen um was es geht ist schon lange keine Utopie mehr und wird sichtbar, wenn sich die größte Krankenkasse "Gesundheitskasse" nennt, um Marktvorteile zu erringen. Ökonomisch ist das sinnvoll, denn es ist wirtschaftlicher, Gesunde als Kranke zu versichern.
Das ist die neue Welt der Gesundheitsversorgung: Der selbstbewusste Kunde, ehemals Patient, schlendert lässig über den Gesundheitsmarkt und prüft die verschiedenen Angebote sorgfältig, bevor er sich für eine Leistung entscheidet. Leistungserbringer, ehemals Ärzte oder Therapeuten, werben mit ihren Angeboten um Kunden und stellen sich verschärftem Wettbewerb untereinander. Patienten und Therapeuten, Leiden und Behandlung, sind aus dem Blick geraten; Leiden würde das freie Spiel ökonomischer Kräfte stören. Problematisch an dieser Vision ist, dass sich das Leiden nicht aus dem Leben entfernen lässt, weil es unvermeidlich dazugehört und alle Menschen früher oder später auf helfende Begleitung (Therapie) angewiesen sind.
Der Zynismus des Neusprechs wird besonders deutlich, wenn anlässlich der Proteste ein Sprecher des Gesundheitsministeriums Therapeuten und Ärzte drohend auffordert, sie sollten nicht vergessen, dass sie "ihre Kunden frei Haus geliefert" bekämen. In der Sprache der Krankenbehandlung, in der Welt des Leidens und seiner Behandlung ist das eine höhnische Beschreibung. Sie steht in schamlosem Kontrast zur Erfahrung eines leidenden Menschen, der sich mit Schmerzen und Angst, vielleicht unter Überwindung von Scham, einem helfenden Begleiter (Arzt, Therapeuten) anvertraut, das heißt sich in Behandlung begibt, weil er sich selbst nicht mehr zu helfen weiß.
Genau aus diesen Gründen sagte der an der Princeton University als Professor für Ökonomie und Internationale Angelegenheiten lehrende Paul Krugman "Free market doesn''t work for health insurance, and never did"

Sonderberichte zum Thema
Mehr als ein oberflächlicher Eingriff: Die Krankenhausreform verändert auch an der Schnittstelle ambulant-stationär eine ganze Menge.

© Tobilander / stock.adobe.com

Folgen der Krankenhausreform für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte

Die Klinikreform bringt Bewegung an der Schnittstelle zwischen Praxen und Krankenhäusern

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztbank (apoBank)
Manchmal kommt Künstliche Intelligenz ziemlich abstrakt daher. Doch es gibt zunehmend auch konkrete Anwendungen, sogar für Arztpraxen.

© 3dkombinat - stock.adobe.com

Praxisorganisation

Mit KI zu mehr Entlastung fürs Praxisteam

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Doctolib GmbH
Dr. med. Gerhard M. Sontheimer (ANregiomed, Region Ansbach) und Holger Baumann (Kliniken der Stadt Köln, v.l.) haben in der Praxis gute Erfahrungen mit Systempartnerschaften gemacht.

© Philips

Mehr Spielraum für moderne Prozesse in der Klinik

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Philips GmbH Market DACH, Hamburg
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Für wen passt was?

Therapie mit Antidepressiva: Auf die Nebenwirkungen kommt es an

Übersichtsarbeit zu Grippeimpfstoffen

Influenza-Vakzinen im Vergleich: Nutzen und Risiken

Lesetipps
Eine MFA schaut auf den Terminkalender der Praxis.

© AndreaObzerova / Getty Images / iStockphoto

Terminservicestellen und Praxen

116117-Terminservice: Wie das Bereitstellen von TSS-Terminen reibungsloser klappt

Bei Grenzentscheidungen (z.B. kürzlich stattgehabte Operation) gelte es, Rücksprache mit der entsprechenden Fachdisziplin zu halten, betont Dr. Milani Deb-Chatterji.

© stockdevil / iStock

Eine schwierige Entscheidung

Schlaganfall: Das sind Grenzfälle der Thrombolyse