Heilbronner Klinik

Fehlgriff bei ausländischem Arzt

Die Medien in Holland nennen ihn "Dr. Frankenstein" - in Heilbronn konnte er unentdeckt praktizieren. Aufgeschreckt von TV-Berichten hat die Klinik den Skandal-Mediziner vor die Tür gesetzt. Offenbar gab es aber schon früher einen Hinweis zu den Vorwürfen im Krankenhaus.

Von Annette Birschel und Roland Böhm Veröffentlicht:
Die SLK-Kliniken Heilbronn haben einen in den Niederlanden wegen Körperverletzung angeklagten Arzt entlassen.

Die SLK-Kliniken Heilbronn haben einen in den Niederlanden wegen Körperverletzung angeklagten Arzt entlassen.

© dpa

HEILBRONN. Ein in den Niederlanden wegen Körperverletzung angeklagter Skandalarzt ist von einem Krankenhaus in Heilbronn entlassen worden. Zuvor hatten niederländische Medien über die Beschäftigung des Mediziners in Deutschland berichtet.

Die Zusammenarbeit mit dem Mann sei daraufhin nach knapp zwei Jahren beendet worden, teilte der Geschäftsführer der SLK-Kliniken Heilbronn, Thomas Jendges, am Samstag (5. Januar) mit.

Er sei "überrascht und geschockt" gewesen, als er von den Vorwürfen gegen den Neurologen erfahren habe.

Der Mediziner soll in den größten medizinischen Strafprozess in der Geschichte der Niederlande verwickelt sein. Er soll in mehr als 20 Fällen Patienten fälschlicherweise unheilbare Krankheiten attestiert haben.

Gegen den niederländischen Skandalarzt hat jetzt die Staatsanwaltschaft Vorermittlungen aufgenommen. Man prüfe den Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung, bestätigte ein Sprecher der Behörde am Montag (7. Januar).

Hintergrund seien Medienberichte, nach denen der Skandalarzt auch in Heilbronn eine Patientin geschädigt haben könnte, hieß es. Zuvor hatte Jendges "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" ausgeschlossen, dass es zu Vorfällen in Heilbronn gekommen sei.

Als Assistenzarzt habe der Beschuldigte immer unter der Aufsicht des Oberarztes oder des Chefarztes gearbeitet. Auch als Stationsarzt habe er keine Eingriffe vorgenommen oder für Patienten kritische Therapien eingeleitet.

Allerdings könnte das Krankenhaus nach einem Bericht der "Heilbronner Stimme" schon früher von den in den Niederlanden erhobenen Vorwürfe gegen den Skandalarzt erfahren haben. Jendges bestätigte dies gegenüber der Zeitung.

Kurz nach Beginn der Tätigkeit des Mannes habe es einen Hinweis gegeben, dass der Arzt seine Zulassung zurückgegeben habe und es ein Verfahren gegen ihn gebe, sagte Jendges demnach.

Die Personaldirektion habe aber entschieden, ihn weiter zu beschäftigen, da der Mann nicht verurteilt war und es auch keinen Haftbefehl gegeben habe. Wer genau im Klinikum von den Vorwürfen wusste, konnte Jendges nicht sagen. "Mir persönlich war es nicht bekannt."

Skandalarzt war auch in Nordrhein-Westfalen tätig

2009 hatte der 67-Jährige zuvor bereits in Nordrhein-Westfalen Schlagzeilen gemacht: Die "Bild"-Zeitung hatte berichtet, dass der Mann von einer Klinik in Bad Laasphe (Kreis Siegen-Wittgenstein) entlassen wurde, nachdem man dort von Journalisten auf die Ermittlungen in den Niederlanden aufmerksam gemacht worden war.

Einzelheiten waren am Sonntag (6. Januar) in Bad Laasphe zunächst nicht zu erfahren, weil der Klinikbetreiber 2011 Insolvenz angemeldet hatte.

Wahrscheinlich hatte der Arzt nicht unter seinem richtigen Namen gearbeitet. "Bild" berichtete damals, der Mann sei in Bad Laasphe als Oberarzt und Neurologe tätig gewesen und nicht durch Fehler aufgefallen.

Dem Mediziner wird in Holland schwere Körperverletzung in mindestens 21 Fällen vorgeworfen.

Er soll von 1998 bis 2003 im Krankenhaus in Enschede bei Dutzenden Patienten unheilbare Krankheiten wie Alzheimer, Multiple Sklerose und Parkinson fälschlicherweise diagnostiziert haben. Sie waren zum Teil jahrelang mit schweren Medikamenten behandelt worden.

Selbstmord nach falscher Alzheimer-Diagnose

Ein Patient habe Selbstmord begangen, nachdem ihm fälschlicherweise Alzheimer attestiert worden war. Bei mindestens 13 Patienten sollen aufgrund der falschen Diagnosen unnötig Gehirnoperationen ausgeführt worden sein.

"Bei einem Mann wurde 12,5 Kubikzentimeter Hirngewebe entfernt", sagte Anwalt Yme Drost, der rund 200 mögliche Opfer vertritt.

2003 hatte das Krankenhaus in Enschede den Arzt entlassen, nachdem seine Abhängigkeit von Medikamenten bekannt worden war. Er soll auch Rezepte gefälscht und über 80.000 Euro veruntreut haben. Ein offizielles Disziplinarverfahren gab es nie.

Auf Druck des Krankenhauses hatte der Arzt sich freiwillig aus dem Ärzteregister streichen lassen und darf daher seit 2006 nicht mehr in den Niederlanden praktizieren. Das Strafverfahren gegen den Mann ist ausgesetzt, da noch Zeugen aus Deutschland vernommen werden sollen.

Doch wie kam der Mann 2011 nach Heilbronn? Er sei der Klinik von einer Ärztevermittlungsagentur als Honorararzt angeboten worden, berichtete Jendges.

Alle notwendigen Urkunden - einschließlich einer deutschen Approbation und einer Facharztanerkennung - hätten vorgelegen und keinen Anlass zur Skepsis gegeben. Der Mann habe zuvor schon an anderen deutschen Kliniken als Honorararzt gearbeitet.

In einem Telefonat habe sich der Chefarzt bei einem Kollegen in Worms über den Mann informiert - jedoch nur über dessen Teamfähigkeit.

Keines der drei deutschen Krankenhäuser habe vor der Beschäftigung des Mannes um Referenzen gebeten, sagte ein Sprecher des Medisch Spectrum Twente der niederländischen Nachrichtenagentur ANP.

Niederländer sind fassungslos

Politiker, und Verbände von Ärzten und Patienten in den Niederlanden reagierten fassungslos: Es sei unvorstellbar, dass der Skandalarzt in Deutschland ungehindert praktizieren konnte.

Hollands Gesundheitsministerin Edith Schippers wirft der Klinik in Heilbronn Nachlässigkeit vor: "Das Krankenhaus hätte seinen Namen nur ein Mal googeln müssen und dann hätten sie das große Elend gesehen", sagte die rechtsliberale Ministerin.

"Wenn ein renommierter Arzt als Assistent arbeiten will, dann würde ich denken, dass das stinkt."

Die sozialdemokratische Regierungspartei forderte eine europäische schwarze Liste, um solche Fälle zu verhindern. Es sei für die Niederlande unmöglich gewesen, die deutschen Behörden vorher zu informieren, versicherte Schippers.

Grund seien die strengen Datenschutzbestimmungen in Deutschland und die Zuständigkeit der Bundesländer. (dpa)

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