Patientensicherheit

Gegen Chaos bei Medizinprodukteverordnung

Die Medizintechnikbranche sieht noch viele offene Baustellen bei der Umsetzung der neuen Medizinprodukteverordnung MDR.

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Berlin. Am Sonntag, den 16. Februar, sind es bis zum Geltungsbeginn der neuen europäischen Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation/MDR) am 26. Mai 2020 noch 100 Tage. Grund genug für die Medizintechnikbranche, bei der Politik nochmals mehr Tempo in puncto Umsetzung einzufordern.

So brachte Dr. Martin Leonhard, Vorsitzender der Medizintechnik im Deutschen Industrieverband Spectaris, am Freitag die aus Sicht der Unternehmen größten MDR-Baustellen in Erinnerung.

„Die zentralen und wichtigen Ziele der MDR, die Patientensicherheit und Qualitätssicherung zu erhöhen, werden bei dem derzeitigen Umsetzungsstand nicht erreicht. Es ist nicht im Sinne des Patienten, wenn benötigte Medizinprodukte zukünftig nicht mehr zur Verfügung stehen. Es ist daher dringend erforderlich, die Funktionalität des Gesamtsystems sicherzustellen.“

Die deutsche Medizintechnikbranche setzt dabei auch auf Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Dessen Einsatz in Brüssel hatte dafür gesorgt, das Europäische Parlament im Dezember ein MDR-Korrigendum beschlossen hat. Medizinprodukte der Klasse I, für die vor dem 26. Mai 2020 nach altem Recht eine Konformitätserklärung erstellt wurde, dürfen nun bis Mai 2024 ohne Einbindung einer Benannten Stelle wie TÜV oder DEKRA weiter in Verkehr gebracht werden. Bisher galt auch für diese Produkte der 26. Mai 2020 als harte Deadline.

Kritik: Vieles nur lückenhaft umgesetzt

Laut Leonhard müssen unter anderem ausreichend Benannte Stellen für Produktzulassungen, eine ausreichende Zahl von Expertengremien und Laborstellen für klinische Prüfungen und eine funktionsfähige Datenbank Eudamed zur Verfügung stehen sowie die von den Unternehmen zu erfüllenden Anforderungen hinreichend klar spezifiziert sein. Doch all diese Punkte seien bislang nicht oder nur lückenhaft umgesetzt. So gibt es zurzeit nur elf Benannte Stellen europaweit.

„Die Europäische Kommission geht davon aus, dass ab Geltungsbeginn der MDR nur 20 Benannte Stellen von derzeit über fünfzig zur Verfügung stehen werden. Somit spitzt sich der Engpass an Zertifizierungsstellen für Medizinprodukte weiter zu. Es ist aus heutiger Sicht kaum vorstellbar, dass das System ab dem 26. Mai tragfähig sein wird“, verdeutlicht Leonhard.

Es bedürfe daher schnell europäisch abgestimmter Regelungen für bewährte Bestandsprodukte, die aufgrund dieser Engpasssituation nicht mehr rechtzeitig rezertifiziert werden können. „Im Dezember 2019 hat sich die überwiegende Anzahl der Mitgliedstaaten für einen sogenannten Bereitschaftstest des Systems ausgesprochen. Dieser fehlt noch immer. Hier muss die Politik rasch handeln“, fordert Leonhard.

Dass die europäische Datenbank Eudamed nicht zum Geltungsbeginn der MDR funktionsfähig sein werde, sorge für zusätzliche Unsicherheit.

Spectaris warnt jedoch vor nationalen Alleingängen. „Solange die Diskussion um Eudamed auf EU-Ebene noch läuft, sollten alle Beteiligten sich um ein einheitliches Vorgehen bemühen, um einen Flickenteppich in Europa zu verhindern“, betonte Leonhard. (maw)

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