Regresse

Hausarzt liest Funktionären die Leviten

Die immer wieder zu hörende Aussage, Regresse seien heute nicht mehr so wild wie noch vor Jahren, treibt einen Hausarzt auf die Barrikaden. Seine These: Die ärztlichen Standesvertreter schreiben die Regressgefahr für Ärzte fest.

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Mehr Platz im Terminkalender - wenn es bloß die Regresse nicht gäbe.

Mehr Platz im Terminkalender - wenn es bloß die Regresse nicht gäbe.

© [M] Steinach / imago | til

KÖLN (iss). Politiker und ärztliche Standesvertreter, die das Regressrisiko der niedergelassenen Ärzte herunterspielen, erweisen dem Gesundheitswesen einen Bärendienst: Sie schreiben einen unhaltbaren Zustand fort und sorgen dafür, dass Patienten weiter unversorgt bleiben, der ärztliche Nachwuchs ausbleibt und immer mehr Ärzte an ihren Arbeitsbedingungen verzweifeln.

Diesen schweren Vorwurf erhebt Dr. Rainer van Elten, Hausarzt im westfälischen Lügde.

"Die Rationierung ist in Deutschland schon Realität", sagt van Elten. Die nach wie vor bestehende Androhung von Regressen gegen Haus- und Fachärzte spielt nach seiner Ansicht dabei eine entscheidende Rolle.

Sein Augenmerk richtet sich vor allem auf den Bereich der Heilmittelverordnungen. In Westfalen-Lippe ist die Verordnungsrate bei Heilmitteln seit langem unterdurchschnittlich, aus Angst vor einem Regress nutzen viele Ärzte das ihnen zur Verfügung stehende Verordnungsvolumen nicht aus.

Im Vergleich zur Gruppe derer, die wenig oder gar keine Heilmittel verordnen, stehen die Viel-Verordner schnell als unwirtschaftlich da.

Kämpfen, bis die Regresse fallen

Dabei gehe es diesen Ärzten nur darum, ihre Patienten angemessen zu versorgen und sie nicht im Regen stehen zu lassen, sagt van Elten. Er selbst hat schon einige Prüfverfahren im Heilmittelbereich hinter sich, zahlen musste er bislang nach eigenen Angaben aber noch nicht.

"Die Verfahren sind mit einem ungeheuer großen Aufwand verbunden", sagt er. Und die Bedrohung bleibt. "Ich muss jeden Tag mit einem neuen Schreiben der Prüfgremien rechnen."

Gerade in der Versorgung von behinderten Kindern hinterlasse die Angst vor einem Heilmittel-Regresse gravierende Spuren, betont der Landarzt.

So habe er einen neunjährigen Jungen mit einem Down-Syndrom als Patienten, der aus einem 40 Kilometer entfernten Ort stammt. "Der Vater kommt mit dem Kind zu mir, weil es kein anderer Arzt fortlaufend behandeln will."

Angesichts solcher Verhältnisse bringt es van Elten auf die Palme, wenn Politiker oder Ärztefunktionäre sagen, dass Regresse längst nicht mehr so eine große Rolle spielen wie vor Jahren. Wer nicht am eigenen Leib von dem Thema betroffen sei, habe gut reden, sagt er.

"Es ist egal, ob die Zahl der Regresse weniger geworden ist oder nicht, entscheidend ist, dass die Bedrohung bleibt." Sie führe dazu, dass die Ärzte den Patienten nicht das verordnen, was medizinisch sinnvoll ist.

Seiner Meinung nach gibt es keinen anderen Ausweg als die Abschaffung der Regresse. "Wir müssen so lange weiterkämpfen, bis sie endlich weg sind."

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Kommentare
Dr. Uwe Lorenz 30.07.201208:18 Uhr

Gelebte Realität - Die Folgen sind absehbar!

Die Angst regiert bereits seit langem den Rezeptblock. Die Angst vor einem Regress, ob nun AM oder HM.
Unverantwortlich ist es von den zuständigen Gremien, welche die Richtgrößen festlegen, dass es keine Analysen hinsichtlich der Entstehung von Regressen gibt. In der Folge werden alle nach 08/15 beurteilt, egal ob Behandlung multimorbider, geriatrischer Patienten oder gesunder Teenager.

"Fein raus" sind da Fachrichtungen, die nur noch an die "ausführende, nachgeordnete Behandlungsebene" Empfehlungen aussprechen brauchen.
Ähnlich verhält es sich auch bei Krankenhausentlassungen. 13 verschiedene Medikamente sind dabei keine Seltenheit mehr.
Aber wie soll man sich dann verhalten? Nicht- oder geringere Nachverordnung, selbst mit Einsatz von Generika sprengt meist das individuelle AM-Budget um ein Mehrfaches. Viele solcher "Risiken" führen ohne Umweg zum Regress.

Auch die angeblich entlastenden Praxisbesonderheiten sind nicht das Papier wert auf denen sie gedruckt sind, weil die Prüfgremien nach meinen Erfahrungen völlig willkürlich diese anerkennen oder nicht.

Nach meinen Erfahrungen gibt es nur einen Weg, sich vor AM-Regressen zu schützen. In der Wirtschaft nennt man das Risikominimierung. Oder anders ausgedrückt.
Die eigenen Risiken der Praxis sind zu erkennen und in der Behandlung zu optimieren. Neue Risiken sollte man nicht annehmen. In diesen Fällen sollte man sich fragen, woher kommt dieser risikoreiche Fall überhaupt? Der wurde doch auch bisher versorgt.

In unserer Praxis fragen in jeder Woche mindestens 3-5 Hochrisikofälle nach Aufnahme, die wir nicht realisieren können.
Das erscheint einigen Kolleginnen und Kollegen vielleicht zu hart und unethisch. Mir persönlich auch, aber das zur Verfügung stehende Budget reicht nun einmal nicht für mehr Risiken.
Im Gegensatz zu Herrn Kollegen van Elten durfte ich bereits bezahlen,
2001 - ca. 3000,- EUR, 2002 - ca. 39,- EUR, weitere Zahlungsandrohungen für 2003 - ca. 116.000,- EUR und 2004 offen - stehen im Raum.
Und das ist die REALITÄT!
In der Wirtschaft gibt es dann für die hohen Risiken "Bad Banken" - für die Basisversorgung mit Arzneimitteln und Heilmitteln gibt es die Ärzte, die diese verordnen.
Es wird unter dieser Drohkulisse nicht gelingen das Ärzteproblem in Deutschland zu lösen.

Rudolf Bauer 30.07.201207:37 Uhr

Regress

Es ist für mich schon seit Jahren unverständlich wie sich die KV gegenüber ihren Mitgliedern verhält.
An eine von den Mitgliedern finanzierte Organisation sollte man die Anforderung stellen a priori diese Mitglieder in allen Belangen zu vertreten.
Dazu gehört auch die Vertretung gegenüber den Kostenträgern,also den Kassen und damit die Abwendung der Regresse.
Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten.Ich habe in meinem Berufsleben bestimmt mit 1000 Ärzten gesprochen.Dabei waren nur einzelne, die eventuell nicht sorgsam mit den Budgets umgehen.
99 % wollten das Beste für ihre Patienten unter möglicher Schonung der Kassen.
Deshalb habe ich auch nie Pharmaprodukte oder med.Hilfsmittel vertreten, die keine Vorteile für Patient und Arzt versprachen.
Ebenso ist es heute usus auf die böse kostentreibende Pharmaindustrie einzuschlagen. Allerdings wissen diese Unternehmen sich besser zu wehren.
Aber eventuell stimmt ja in der ganzen Gesundheitspolitik einiges nicht.

Rudolf Bauer
Pharmareferent i.R.

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