Entlassmanagement
Urteil: Rückwirkend Pflegegeld, weil Klinik nicht darüber informiert hatte
Kliniken müssen im Rahmen des Entlassmanagements auch zur Leistungspflicht der Pflegekassen beraten. Unterbleibt das, können Versicherte Ansprüche sogar rückwirkend geltend machen.
Veröffentlicht:Kassel. Nach einer Krankenbehandlung sollen Patienten auch die ihnen zustehenden Pflegeleistungen früh- und rechtzeitig bekommen. Krankenhäuser haben hierzu eine umfassende Beratungspflicht, die auch einen Hinweis auf das Pflegegeld umfasst, wie jetzt das Bundessozialgericht entschied.
Im Streitfall ging es dabei allein um das Verhältnis zwischen Versichertem und Kasse. Danach muss sich die Pflegekasse Fehler des Krankenhauses wie eigene Beratungsfehler zurechnen lassen und hier Pflegegeld auch rückwirkend zahlen. Inwieweit hier ein Durchgriffsrecht der Kassen gegenüber den Kliniken bestehen kann, etwa über das für das Entlassmanagement gezahlte Pauschalhonorar, blieb daher offen.
Das Entlassmanagement wurde schon Mitte der 1990er Jahre eingeführt, hat sich danach aber erst langsam entwickelt. Es bildete den Gegenpol zu der aus Kostengründen angestrebten kürzeren Verweildauer im Krankenhaus. Patienten sollten dann aber von Beginn an auch ambulant gut versorgt sein.
Inzwischen sind auch Leistungen der Pflegeversicherung in das Entlassmanagement einbezogen, und die meisten Krankenhäuser haben für die damit verbundenen Aufgaben Sozialberaterinnen eingestellt. Die praktische Versorgung im Auge geraten reine Geldleistungen dabei wohl leicht aus dem Blick.
Aufklärung ist sozialrechtlicher „Managementauftrag“
So war es auch hier. Der 2003 geborene Kläger war im Mai 2013 wegen eines bösartigen Hirntumors operiert worden. Anschließend erhielt er in drei Blöcken Bestrahlungen und Chemotherapie. Dazwischen und danach hatten seine Eltern ihn zu Hause betreut und gepflegt.
Der Junge bekam einen Rollstuhl und andere Hilfen. Aber erst im November 2014 erhielten die Eltern während einer Reha-Maßnahme den Hinweis auch auf mögliches Pflegegeld. Sie beantragten die Leistung, und die Pflegekasse zahlte nach Pflegestufe I. Rückwirkende Leistungen lehnte sie jedoch ab. Laut Gesetz bestehe ein Anspruch erst ab dem Antragsmonat.
Hier muss die Pflegekasse nun aber trotzdem auch rückwirkend zahlen, urteilte das BSG. Zur Begründung verwies es auf die gesetzlichen Vorgaben zum Entlassmanagement. Danach haben Ärzte und Krankenhäuser „unverzüglich die zuständige Pflegekasse zu benachrichtigen, wenn sich der Eintritt von Pflegebedürftigkeit abzeichnet oder wenn Pflegebedürftigkeit festgestellt wird“. Voraussetzung ist, dass die Patienten dem zustimmen.
Dies sei ein „Managementauftrag“, mit dem der Gesetzgeber eine gute Versorgung und einen reibungslosen Übergang zwischen verschiedenen Versorgungsbereichen habe sicherstellen wollen. Der Gesetzgeber habe gewollt, dass Versicherte „die Versorgung, auf die sie Anspruch haben, auch tatsächlich erreicht und wirksam wird“, betonte das BSG.
Pflegekasse muss für Unterlassung der Klinik geradestehen
Nach dem Kasseler Urteil sind die ursprünglich für die Krankenkassen geschaffenen Vorschriften auch für sämtliche Pflegeleistungen anwendbar. Die Patienten hätten im Krankenhaus einen Beratungsanspruch „wie auf die Beratung durch die Pflegekassen selbst“. Hier habe die Klinik aber weder die Pflegekasse informiert noch die Eltern beraten. Dies müsse sich die Pflegekasse „wie eigene Beratungsfehler zurechnen lassen“, so das BSG. Das ergebe sich aus den Zielen des Gesetzgebers.
Dabei betonten die Kasseler Richter den erheblichen Umfang der Beratungspflichten insbesondere für Kliniken: „Die Beratungsleistungen eines Krankenhauses nach dem Versorgungs- und Entlassmanagement haben sich auf alle Folgen zu erstrecken, die bei Behandlungsabschluss als möglich erscheinen können. Dazu muss Pflegebedürftigkeit nicht bereits eingetreten sein oder mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald eintreten.“ Die Beratung müsse auch Komplikationen einbeziehen, die mit der jeweiligen Behandlung typischerweise einhergehen können.
Ob und welche Folgen eine fehlerhafte oder unzureichende Beratung für das Krankenhaus haben kann, hatte das BSG nicht zu entscheiden.
Bundessozialgericht, Az.: B 3 P 5/19 R