Mehr oder weniger?

Verwirrung um Op-Zahlen

Die Zahl der Operationen steigt, meldet die Bundesregierung - und löst eine heftige Diskussion aus. Doch die Zahlen sind nicht eindeutig.

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Wird in Deutschland zu viel operiert?

Wird in Deutschland zu viel operiert?

© Franck Boston / fotolia.com

BERLIN. Steigen oder sinken die Op-Zahlen in Deutschland? Nach Angaben der Bundesregierung ist die Zahl der Operationen zwischen 2005 und 2011 um 25 Prozent gestiegen.

Hatte es damals rund 12,1 Millionen chirurgische Eingriffe gegeben, waren es 2011 fast 15,4 Millionen. Das geht aus einer Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor.

Die Zahl der Wirbelsäulen-Op hat sich laut Gesundheitsministerium zwischen 2005 und 2011 immerhin mehr als verdoppelt - von 326.962 auf 734.644. Im Jahr 2010 gab es in Deutschland mit 295 pro 100.000 Einwohner so viele Hüftoperationen wie nirgends sonst in Europa.

Auch bei Knie-OP liegt Deutschlands Quote mit 213 Eingriffen im europäischen Vergleich vorne.

Die Bundesrepublik ist zudem eines der Länder mit den meisten Kaiserschnitten. Von 1000 Babys im Jahr 2010 kamen 314 - und damit fast ein Drittel - per Kaiserschnitt zur Welt. Im OECD-Vergleich war die Quote mit 448 je 1000 Geburten lediglich in Mexiko, in Korea (352) und in der Schweiz (328) höher.

Das Bundesgesundheitsministerium führt "weniger als 40 Prozent" des Op-Zuwachses auf die zunehmende Alterung der Bevölkerung zurück.

Wie der restliche Leistungsanstieg zu erklären ist, darüber soll eine vom Ministerium bei Ärzten, Kassen und Krankenhäusern in Auftrag gegebenen Studie Aufschluss geben.

Zu viele unnötige Operationen?

Die Zahlen haben am Wochenende eine politische Diskussion ausgelöst: Der Spitzenverband der Krankenkassen kritisierte: "Es ist offensichtlich, dass wir in Deutschland ein Problem mit medizinisch nicht notwendigen Operationen haben. Das liegt aber nicht an denen, die die Operationen hinterher bezahlen, sondern an denen, die zu viel operieren", sagte Verbandssprecher Florian Lanz.

Für den gesundheitspolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn (CDU), wird in Deutschland ohne Zweifel mehr operiert als in anderen europäischen Ländern. Bis Jahresende solle die Studie erhellen, "ob bei uns zu viel operiert wird und warum".

Jeder Patient müsse sich darauf verlassen können, dass nur operiert werde, "weil es medizinisch nötig ist und nicht, um den Umsatz zu steigern".

Die Linke führt die Entwicklung auf das Fallpauschalensystem und eine chronische Unterfinanzierung der Krankenhäuser zurück. "Da werden sinnlose Anreize zum Schneiden gesetzt, während die Mittel bei Heilung und Prävention fehlen. Die Fallpauschale muss fallen", sagte Linken-Fraktionsvize Klaus Ernst.

Die wachsende Zahl von Operationen hat nach Einschätzung des Gemeinsamen Bundesausschusses von Ärzten und Krankenkassen auch mit den Wünschen der Patienten zu tun. Die Anspruchshaltung der Patienten sei in den letzten Jahren "unglaublich" gewachsen, sagte der Vorsitzende des Gremiums, Josef Hecken, der "Berliner Zeitung" (Samstag).

"Es sind doch nicht immer die Krankenhäuser, die aus Geldgründen Eingriffe vornehmen wollen. Es sind häufig die Patienten, die Behandlungen einfordern", sagte Hecken. "Viele halten doch ihren Arzt inzwischen für unfähig, wenn er von einem Eingriff abrät und einfach nur ein paar Tage Bettruhe verordnet."

Häufig würden nur die Vorteile einer Behandlung gesehen und die Risiken völlig ausgeblendet. "Da muss ein Umdenken stattfinden. Denn: Weniger ist oft mehr", betonte Hecken.

Montgomery: Kein Beleg, dass zu viel operiert wird

Dagegen vertrat Ärztepräsident Professor Frank-Ulrich Montgomery die Meinung, aus den Statistiken lasse sich bestenfalls herauslesen, dass viel operiert werde - "aber nicht belegen, dass zu viel operiert wird".

Wenn man die Schmerzen von Hüftarthrose-Patienten in Rechnung stelle, die etwa in Schweden sechs Monate bis ein Jahr auf eine Operation warten müssten, sei die hohe Zahl von Hüftoperationen hierzulande ein Qualitätsmerkmal, sagte er den "Ruhr Nachrichten" (Samstag).

Der Anstieg der Rücken-Operationen sei hoch, weil sie bis vor zehn Jahren noch kaum gemacht worden seien.Man könne jedoch nicht ausschließen, dass auch einmal ein Patient zu viel operiert werde, räumte Montgomery ein.

"Es gibt Anreizsysteme, die nahelegen, dass auch aus ökonomischen Gründen operiert wird." Die Ärzte seien aber durch Qualitätskontrollen bemüht, dies zu verhindern.

Neue Daten weisen aber auf eine Umkehrung dieses Trends zumindest bei Hüft- und Knieoperationen hin. Hier zeichne sich für die Jahre 2012 und 2013 ein Rückgang um zehn bis 20 Prozent ab, so Professor Klaus-Peter Günther von der Uniklinik Dresden. (dpa/eb)

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