Testlauf für die barrierefreie Videosprechstunde

Telemedizinraum im Plattenbau statt Praxisbesuch

Die Stadt Jena testet ein digitales Gesundheitsangebot für ihre Einwohner. Direkt in einem Plattenbau betreiben die Stadtwerke eine barrierefreie Anlaufstelle für Videosprechstunden. NäPas und nichtärztliche Praxisassistenten unterstützen die Patienten.

Von Katrin Zeiß Veröffentlicht:
Videosprechstunde mit Hautärztin Dr. Christine Zollmann.

Videosprechstunde mit Hautärztin Dr. Christine Zollmann. Zollmann und ihr Team schalten sich ein bis zwei Mal pro Woche in den Lobedaer Telemedizinraum ein. Dort können Patienten dann barrierefrei die Videosprechstunde nutzen.

© Michael Reichel

„Telemedizinraum“ steht in großen Lettern am Eingang eines grau-weiß und rostrot getünchten Elfgeschossers. Eine auch für Rollstuhlfahrer zugängliche Rampe führt zu einer Glastür im Erdgeschoss, dahinter ein nüchtern eingerichteter Raum mit Tisch, Tablet und Lesegerät für Gesundheitskarten.

Der Elfgeschosser steht im Wohngebiet Lobeda, einem Plattenbauviertel mit etwa 23.000 Einwohnern in Thüringens Universitäts- und Industriestadt Jena.

Hier betreiben die Stadtwerke Jena eine Anlaufstelle für ärztliche Videosprechstunden. Direkt im Wohngebiet, zugänglich für jedermann und betreut von Personal des kommunalen Unternehmens. Als Modellprojekt, befristet auf drei Jahre.

Teil des „smarten Quartiers“

Die Videosprechstunden gehören zum „smarten Quartier“, in das Stadt und Stadtwerke einen Teil des in DDR-Zeiten entstandenen und zu Jenas größtem Stadtviertel gewachsenen Wohngebiets umgewandelt haben. Dafür wurden 250 Ein- bis Fünf-Zimmer-Wohnungen saniert und mit allerlei digitalen Finessen ausgestattet.

Mieter mit Pflegebedarf können über Partner der Stadtwerke Pflegeleistungen in Anspruch nehmen, einige Wohnungen stehen als „Gesundheitsappartments“ für temporäres Wohnen nach operativen Eingriffen zur Verfügung.

Der Telemedizinraum soll nicht nur den Einwohnern des Viertels, sondern ganz Jenas Zugang zu Videosprechstunden niedergelassener Ärzte und des benachbarten Universitätsklinikums verschaffen. Finanziert wird das smarte Quartier aus einem Förderprogramm des Bundes.

Sozialarbeiterin Mandy Steinbrück leitet das Telemedizin-Projekt im Quartier.

Sozialarbeiterin Mandy Steinbrück leitet das Telemedizin-Projekt im Quartier.

© Michael Reichel

Der Gedanke hinter dem Telemedizinraum: In einer Zeit des demografischen Wandels, in der die Wege zum Arzt für viele Menschen immer länger werden, weil Praxisinhaber in Rente gehen und oft keine Nachfolger finden, könnten leicht zugängliche Videosprechstunden helfen, die Gesundheitsversorgung zu sichern.

„Wir wollen das Telemedizin-Konzept so weit entwickeln, dass es in unterschiedlichen Betreibermodellen und auch in anderen Orten genutzt werden kann“, erläutert Projektleiterin Mandy Steinbrück, eine 48 Jahre alte Sozialarbeiterin und -betriebswirtin.

Es geht vor allem um technische Unterstützung

Vorstellbar seien zum Beispiel kommunal betriebene Telemedizinräume mit festangestellten NäPas, nichtärztlichen Praxisassistenzen. Diese könnten Menschen, die nicht zu den „Digital Natives“ gehören, sich schwertun mit der IT, über keinen eigenen PC oder eigenen Internetzugang verfügen, beim Videochat mit Ärzten helfen.

Im Modellprojekt übernimmt diese Rolle der Student Aria Rouhollahi. Der 25-Jährige unterstützt als IT-Assistent – Neudeutsch „Community Manager“ – die Bewohner beim Umgang mit der Technik.

In dem 28 Quadratmeter großen Telemedizinraum bittet er gerade eine Frau, die um einen Videochattermin gebeten hat, ans Tablet und hilft ihr beim Aufbau der Internetverbindung.

„Venen- und Hautpraxis Jena“ erscheint auf dem Monitor, ein Countdown-Ticker zählt die verbleibenden Minuten, bis sich Praxisinhaberin Dr. Christine Zollmann dazu schaltet.

Rouhollahi zieht sich zurück, Patientin und Ärztin sind allein im Gespräch, das einige Minuten dauern wird. Wie bei jedem Arzt-Patient-Gespräch wird die Vertraulichkeit auch im Telemedizinraum gewahrt.

Kaum Ärzte für Videochats

Mit der Dermatologin Christine Zollmann haben die Stadtwerke eine Vorreiterin bei Videosprechstunden in Thüringen als Partnerin gewonnen.

Ihre Praxis in Jena mit mehr als einem Dutzend Ärzten hat jahrelange Erfahrungen damit gesammelt. In den Lobedaer Telemedizinraum schaltet sich ihr Team derzeit ein- bis zweimal wöchentlich, dort gibt es dafür feste Sprechstundenzeiten.

Einen zusätzlichen Topf fürs Ärztehonorar gibt es im Projektbudget nicht, es gelten die in der GKV üblichen Abrechnungsregeln für Videosprechstunden, wie die Ärztin erklärt. Zum Einsatz kommt eine in vielen Arztpraxen gängige Software, der Zugang über ein weiteres Programm ist ebenfalls möglich.

Zollmanns Bereitschaft, die Videosprechstunden in Jena-Lobeda in ihren Praxisablauf zu integrieren, hat das Modellprojekt sozusagen gerettet. Fast wäre es nicht zustande gekommen. „Die meisten Ärzte finden dafür keine Kapazitäten“, musste Steinbrück erfahren.

Bislang ist außer der Dermatologin noch das Jenaer Uniklinikum mit im Boot, es steht für hausärztliche Online-Sprechstunden zur Verfügung. Steinbrück würde das Spektrum gerne erweitern und ist deswegen inzwischen auch an die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen (KVT) herangetreten.

Zurückhaltung bei Patienten

Zurückhaltung zeigt sich allerdings auf anderer Seite, der der Patienten. Die erwartete Nachfrage ist bislang ausgeblieben. Mandy Steinbrück klingt ernüchtert, als sie erzählt, dass nach vier Monaten in Betrieb bislang lediglich die dermatologische Sprechstunde von wenigen Patienten in Anspruch genommen werde.

Das allgemeinmedizinische Telemedizinangebot erfahre bislang gar keinen Zuspruch. „Das habe ich nicht erwartet“, räumt die Projektleiterin ein.

Aria Rouhollahi unterstützt als IT-Assistent die Bewohner beim Umgang mit der Technik.

Aria Rouhollahi unterstützt als IT-Assistent die Bewohner beim Umgang mit der Technik.

© Michael Reichel

Über die Gründe kann sie nur rätseln. Wahrscheinlich sei das Angebot noch immer zu unbekannt, vermutet sie. Andererseits könnte eine Rolle spielen, dass Jena nicht als Ärztemangelregion in Thüringen, sondern im Gegenteil als ärztlich gut versorgt gilt. Dies bestätigt auch Christine Zollmann. „In Jena ist man recht schnell bei einem Arzt.“

Die Ärztin glaubt, dass die Zurückhaltung mit der Unkenntnis vieler Patienten über die Vorteile von Videosprechstunden – zum Beispiel, dass auch die Ausstellungen von E-Rezepten oder eAU hier möglich sind – zusammenhängt.

Steinbrück und IT-Assistent Rouhollahi erinnern sich an einen der ersten Patienten im Telemedizinraum, der sich wunderte, dass er keinen Arzt vor Ort vorfand, sondern eben auf dem Monitor. „Er ist enttäuscht wieder gegangen.“ Und vermutlich spielen schlicht Gewohnheiten eine Rolle.

KV: „Goldstandard bleibt der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt“

Dass Patienten ihre Ärzte leibhaftig statt virtuell bevorzugen, deckt sich mit der Einschätzung der KVT. „Der Goldstandard für die Patienten ist und bleibt der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt“, äußerte der zweite KVT-Vorsitzende, Thomas Schröter, kürzlich.

Egal wie voll das Wartezimmer ist und ob es per Videoschalten vielleicht schneller geht. In Thüringen machten Videosprechstunden etwa im vierten Quartal 2024 gerade einmal 0,2 Prozent der ambulanten Behandlungsfälle aus.

Hautärztin Christine Zollmann sieht in dem Jenaer Modellprojekt dennoch eine Chance – gerade als Vorbild für ländliche, medizinisch nicht so gut versorgte Regionen. Erste Kommunen haben Interesse angemeldet.

Crossen und Langenwolschendorf, zwei ländliche Gemeinden im östlichen Thüringen, könnten dem Jenaer Vorbild folgen und zentrale Anlaufstellen für Videosprechstunden einrichten.

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