Bestimmen die Gene, was wir essen sollen?

Treffen sich Ernährungsexperten und Molekulargenetiker, geht es um Nutrigenomik. In Potsdam diskutierten sie Zusammenhänge zwischen Genen, Ernährung und Erkrankungen. Ergebnis: Die Welt ist komplexer als gedacht.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Noch Zukunftsmusik: Ernährungsempfehlungen und Einkaufszettel berücksichtigen die individuelle genetische Ausstattung.

Noch Zukunftsmusik: Ernährungsempfehlungen und Einkaufszettel berücksichtigen die individuelle genetische Ausstattung.

© Foto: www.BilderBox.com

Bei der Nutrigenomik interessieren uns in erster Linie die Effekte von Nahrungsbestandteilen auf die Genfunktion und auf das Entstehen von Erkrankungen", betonte der Konferenzleiter der NuGOweek Professor Hans-Georg Joost vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam. Am Ende sollen dann möglichst konkrete Ernährungsempfehlungen stehen, die auf die individuelle genetische Ausstattung hin maßgeschneidert sind.

So weit das Ziel, dem Wissenschaftler von 23 europäischen Zentren seit Januar 2004 im Rahmen des von der EU geförderten Forschungsprogramms NuGO nachgehen. In der Praxis gestaltet sich das Ganze freilich etwas schwieriger als erhofft: Zwar ist hinlänglich bekannt, dass Erkrankungen wie der Typ-2-Diabetes familiär gehäuft auftreten. Aber bei den allermeisten der bisher bekannten Genvarianten ist der Effekt des einzelnen Gens nur minimal.

So wurde zum Beispiel im Rahmen der EPIC Potsdam-Studie ein validierter Risiko-Score für Typ-2-Diabetes erstellt, in den Faktoren wie Alter, Ernährung, körperliche Betätigung und Bauchumfang eingehen. "Das was wir bisher an Genen haben, verändert das Risiko dagegen rein gar nicht", so Joost.

Soll heißen: Wo unklar ist, welche Gene eigentlich das Risiko erhöhen, wird es auch mit der genetisch maßgeschneiderten Ernährung schwierig. Die Frage ist jetzt: Spielen einzelne Gene einfach nicht die große Rolle, von der bisher ausgegangen wurde? In diesem Fall müsste die familiäre Häufung der Erkrankungen anders erklärt werden.

Konkrete Empfehlungen sind noch nicht möglich

Etwas ermutigender sind die Ergebnisse des Lipgene-Projekts, bei dem es um Ernährung und das metabolische Syndrom geht. "Hier konnten für einige Genvarianten Wechselwirkungen mit fettreicher Ernährung belegt werden", so Joost. Diese seien allerdings so komplex, dass sie für konkrete Empfehlungen derzeit nicht zu gebrauchen sind.

Auch die DIOGenes-Studie, die sich mit 763 Probanden um den Zusammenhang zwischen Ernährung und Adipositas kümmert, war bisher nur teilweise erfolgreich. Immerhin konnte klar gezeigt werden, dass eine proteinreiche Ernährung nach einer Gewichtsabnahme den Jojo-Effekt bremst. Der glykämische Index hat dagegen keinen Einfluss.

Doch an einzelnen Genen konnte das auch hier noch nicht festgemacht werden: "Es scheint nahe liegend, Interaktionen zwischen Genen und Lebensstil für die Entstehung der Adipositas zu postulieren, aber es ist extrem schwer, hier molekulare Mechanismen zu finden, geschweige denn sie in epidemiologischen Studien zu zeigen", sagte Ruth Loss vom Institute of Metabolic Science in Cambridge.

Und selbst da, wo sich Korrelationen finden lassen, kann es schwierig werden mit den Empfehlungen. "Wir haben zum Beispiel gezeigt, dass es eine Hochrisikovariante des Gens TCF7L2 gibt. Liegt die bei einem Menschen vor, dann haben Vollkornprodukte nicht den protektiven Effekt auf die Entstehung eines Typ-2-Diabetes, den sie normalerweise haben", so Joost. Das TCF7L2-Gen codiert für einen Transkriptionsfaktor, der bei der Insulinsekretion ein Wörtchen mitzureden hat.

Die Frage ist nur: Was tun mit dieser Erkenntnis? "Wir können den Menschen mit einer Hochrisikovariante des Gens ja nicht sagen: Leute, lebt ruhig ungesund, Euer hohes Risiko habt ihr eh. Das ist sicher nicht ideal", beschreibt Joost das Dilemma. Ein bisschen mehr Forschung ist also noch angesagt, um irgendwann ganz gezielte Ernährungsempfehlungen geben zu können, nach dem Motto: Sie haben hier zwar ein problematisches Gen, aber wenn Sie regelmäßig dies oder jenes essen, dann können Sie das kompensieren.

Bis dahin sollten Träger des Risikogens ganz besonders auf Gewicht und körperliche Bewegung achten. Und der Genuss von Vollkornprodukten ist trotzdem positiv, weil sie auch andere gesundheitsfördernde Effekte haben, etwa das Darmkrebsrisiko senken.

Weitergehen soll es auf jeden Fall mit der Nutrigenomik in Europa: Zwar läuft das Förderprogramm demnächst aus. "Wir werden aber als Netzwerk zusammenbleiben", betont Joost.

Weitere Informationen: www.nugo.org

Schlagworte:
Mehr zum Thema

Möglicher Langzeiteffekt bei älteren Frauen

Supplementation von Calcium und Vitamin D könnte Krebsmortalität senken

Unabhängig vom BMI

Frauen mit Bauchspeck häufiger infertil

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Aktuelle Forschung

Das sind die Themen beim Deutschen Parkinsonkongress

Lesetipps
Die Empfehlungen zur Erstlinientherapie eines Pankreaskarzinoms wurden um den Wirkstoff NALIRIFOX erweitert.

© Jo Panuwat D / stock.adobe.com

Umstellung auf Living Guideline

S3-Leitlinie zu Pankreaskrebs aktualisiert