Helfen heißt, Demenz-Patienten früh zu behandeln

"Helfen nicht vergessen" - unter diesem Motto wird heute beim Welt-Alzheimer-Tag mit Vorträgen und Tagungen auf das Schicksal der weltweit etwa 18 Millionen Alzheimer-Kranken aufmerksam gemacht. Hilfe ist dringend nötig. Das wird etwa darin deutlich, daß immer noch die wenigsten Patienten eine spezifische antidementive Therapie erhalten.

Veröffentlicht:

Gerade einmal 13 Prozent der Alzheimer-Patienten, die gesetzlich krankenversichert sind, werden nach dem aktuellen Stand der medizinischen Forschung behandelt, so der Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Nervenärzte, Dr. Frank Bergmann aus Aachen.

An der mangelnden Wirksamkeit der Substanzen kann das jedoch nicht liegen. Zwar können Antidementiva die Progression der Erkrankung nicht stoppen, sie können sie aber bremsen. Damit gelingt es den Patienten auch, länger im Alltag zurecht zu kommen.

Viele Studien haben auch schon Hinweise darauf ergeben, daß durch eine frühe Antidementiva-Therapie die Zeit bis zur Pflegeheim-Aufnahme verzögert werden kann. Damit helfen diese Medikamente bei einem der wichtigsten Wünsche der Betroffenen: möglichst lange in der vertrauten häuslichen Umgebung zu bleiben.

Doch auch die Angehörigen profitieren von einer antidementiven Therapie der Erkrankten. So sind Aggressivität und psychomotorische Unruhe bei der Pflege Demenz-Kranker ein großes Problem. Auch hier lindern Antidementiva oft die Symptome, manchmal sind jedoch zusätzlich Neuroleptika nötig. Gut dokumentiert ist dabei der Effekt von Risperidon (Risperdal®).

Derzeit gibt es vier spezifische Antidementiva zur Alzheimer-Therapie. Donepezil, Rivastigmin und Galantamin erhöhen die Konzentration von Acetylcholin im Gehirn. Die drei Cholinesterase-Hemmer sind bisher zur Therapie bei leichter bis mittelschwerer Erkrankung zugelassen.

Memantine dagegen blockiert bei toxischen Glutamat-Konzentrationen den NMDA (N-Methyl-D-Aspartat)-Rezeptor. Auf diese Weise wird ein pathologischer Kalzium-Einstrom in die Zelle verhindert. Memantine ist bisher zur Therapie bei mittelschwerem bis schweren M. Alzheimer zugelassen.

Mit den drei Cholinesterase-Hemmern läßt sich die Progression der Alzheimer-Erkrankung vorübergehend bremsen und stabilisieren. Die kognitive Leistungsfähigkeit kann bei früh gestarteter Therapie für einige Zeit sogar besser werden. Der Therapie-Effekt entspricht einer Verzögerung der Krankheitsprogression um ein Jahr.

  • Für Donepezil (Aricept®) liegen Daten vor, daß Alzheimer-Patienten, die neun bis zwölf Monate lang täglich 5 mg oder 10 mg des Wirkstoffs einnehmen, im Mittel 21 Monate später ins Heim kommen als Patienten mit nur vorübergehender oder niedriger dosierter Donepezil-Therapie. Verhaltensstörungen wie motorische Unruhe, Halluzinationen oder depressive Vestimmungen wurden in Studien signifikant gemildert.
  • Auch Rivastigmin (Exelon®) wirkt auf Symptome wie Halluzinationen, nächtliche Verhaltensauffälligkeiten, Enthemmung oder Reizbarkeit. Die Menge zusätzlich notwendiger Psychopharmaka kann bei Demenz-Patienten so signifikant reduziert werden.
  • In einer Studie mit Galantamin (Reminyl®) lebten nach drei Jahren noch 86 Prozent der Alzheimer-Patienten zu Hause, ohne jedoch nur 60 Prozent. Der Zeitpunkt einer dauerhaften Unterbringung im Pflegeheim werde nach diesen Ergebnissen um fast zwei Jahre verzögert, so die Studien-Autoren.
  • In Studien mit Memantine (Axura®, Ebixa®) konnten Patienten mit fortgeschrittener Alzheimer-Demenz besser im Alltag zurechtzukommen als Patienten ohne das Medikament. Memantine lindert auch Agitiertheit und Aggressionen, Wahnvorstellungen und Depressionen. Bei Patienten, die täglich 20 mg Memantine einnahmen, waren in Studien pro Monat etwa 50 Stunden weniger Pflege nötig als bei Patienten mit Placebo. Es gibt auch Daten, nach denen mit dem Glutamat-Antagonisten die Aufnahme in ein Pflegeheim hinausgeschoben wird.
  • Zum Ginkgo-biloba-Spezialextrakt EGb 761 (Tebonin®) gibt es ebenfalls positive Daten. Der Extrakt ist zur Therapie von Patienten mit dementiellem Syndrom bei primär degenerativer oder vaskulärer Demenz sowie Mischformen zugelassen. Nach einer prospektiven Studie in 133 Praxen besserte sich die Lebensqualität der Angehörigen, wenn Demenz-Kranke das Ginkgo-Mittel bekamen. Nicht so bei Patienten ohne Ginkgo.

Doch auch nicht-medikamentöse Maßnahmen können Betroffenen helfen und Angehörigen die Pflege erleichtern. So lindert etwa ein strukturierter Tagesablauf mit tagsüber ausreichendem Licht Symptome wie Schlafstörungen und nächtliche Unruhe. Musiktherapie hat sich bei Aggressivität bewährt, und ein täglicher Spaziergang oder ein 30minütiges Training mit Gleichgewichtsübungen hält Alzheimer-Patienten länger mobil und selbstständig.

Lesen Sie dazu auch: Der Kampf gegen Alzheimer sollte zur Chef-Sache werden Demenz-Tests dauern oft nur wenige Minuten Aktionen zum Alzheimer-Tag Kranken nicht widersprechen! Pflegetips für Angehörige

Mehr zum Thema

NHANES-Analyse

Bei Hörminderung: Hörgeräteträger leben länger

Weniger Rezidive

Hustenstiller lindert Agitation bei Alzheimer

US-amerikanischer Neurologen-Kongress

Neue Daten zu Lecanemab: Frühe Alzheimer-Therapie lohnt sich

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Wo lang im Gesundheitswesen? Der SVR Gesundheit und Pflege empfiehlt mehr Richtungspfeile für alle Akteure.

© StefanieBaum / stock.adobe.com

Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege

Gesundheitsweise empfehlen Primärversorgung für alle – und Quotierung der Weiterbildung

„Wenn die Politik Wissenschaftlern sagen würde, wir wollen dieses oder jenes Ergebnis, ist das Propaganda.“ Klaus Überla – hier im Treppenhaus seines Instituts – über Einmischungen aus der Politik.

© Patty Varasano für die Ärzte Zeitung

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

Dr. Iris Dötsch Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologin und Ernährungsmedizinerin hat die Hauptstadtdiabetologinnen, eines neues Netzwerk für Frauen in der Diabetologie, gegründet.

© snyGGG / stock.adobe.com

Hauptstadtdiabetologinnen

Ein Netzwerk für Diabetologinnen