WHO besorgt

Über diese 8 Keime zerbrechen sich Forscher den Kopf

Multiresistente Keime verursachen in Europa immer mehr schwere Infekte. Die meisten Patienten stecken sich in Kliniken und Praxen an, so eine Studie. Was der WHO sauer aufstößt: eine inflationäre Antibiotika-Theraphie.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Ins Ziel gefasst: Die WHO betrachtet die Bekämpfung von resistenten Keimen als wichtige Aufgabe der gesamten Menschheit.

Ins Ziel gefasst: Die WHO betrachtet die Bekämpfung von resistenten Keimen als wichtige Aufgabe der gesamten Menschheit.

© peterschreiber.media / stock.ado

SOLNA. Der Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, betont die WHO. Aktuell ist der Organisation die große Zahl der Antibiotika-Therapien während der Grippesaison ein Dorn im Auge.

Eine Antibiose könne hier zwar in manchen Fällen bei sekundären bakteriellen Infektionen von Nutzen sein, doch gegen Grippeviren selbst ist sie wirkungslos, betont das WHO-Regionalbüro Europa in einer Mitteilung und mahnt Ärzte zu zielgerichtetem und sparsamem Einsatz, um die Entstehung von Antibiotika-Resistenzen zu bremsen.

Komplikationen durch Resistenzen nehmen in Europa stark zu, warnt die „Burden of Antimicrobial Resistance (AMR) Collaborative Group“ um Dr. Allessandro Cassini vom „European „Centre for Disease Control and Prevention“ (ECDC) in Solna bei Stockholm.

Das Team hat Daten des „European Antimicrobial Resistance Surveillance Network (EARS-Net) analysiert und die Krankheitslast durch resistente Keime für 2015 in den Ländern der EU und des Europäischen Wirtschaftsraums (EU/EEA) ermittelt. Erstmals gibt es damit Zahlen zu den durch die Erreger verursachten „Disease adjusted life years“ (DALY) in den einzelnen Staaten (Lancet Infect Dis. 2019; 19: 56).

Acht Keime in zwei Gruppen

Die Forscher haben Infektionen mit acht Keimen ausgewertet:

  • Acinetobacter, Enterococcus faecalis und faecium sowie E. coli und Klebsiella pneumoniae (alle resistent gegen Colistin, Carbapenem, Drittgenerations-Cephalosporine),
  • Pseudomonas aeruginosa, Staph. aureus und Streptococc. pneumoniae (resistent gegen Meticillin, Makrolide und Penicillin).

Die Keime stehen für alle möglichen Infektionen wie Sepsis, urologische Infektionen, Atemwegsinfektionen und chirurgische Infekte. Ermittelt wurden für Europa im Jahr 2015 knapp 671.689 Erkrankungen mit diesen Erregern sowie 33.110 Todesfälle und 874.541 DALY.

Daraus ergibt sich europaweit bei den Problemkeimen eine Inzidenz von im Schnitt 131 Infektionen, 6,4 Todesfällen und 170 DALY pro 100.000 Einwohner. Fast zwei Drittel der Problemkeime waren dabei mit nosokomialen Infektionen assoziiert; diese standen für 72 Prozent der Todesfälle und 75 Prozent aller DALY.

Vorbild Island?

Besonders betroffen von den resistenten Keimen sind Säuglinge bis ein Jahr (etwa 1900 DALY/100.000) und Senioren ab 65 Jahre (etwa 600 DALY/100.000). Außerdem gibt es große Unterschiede zwischen den Ländern Europas. In Italien und Griechenland verursachen die resistenten Erreger mit >400/100.000 fast hundert Mal mehr DALY als beim Primus Island. Deutschland liegt hier unter den Ländern Europas mit etwa 70 DALY pro 100.000 auf dem achten Platz.

„Die Krankheitslast durch resistente Keime in Europa ist nach den Studien-Ergebnissen ähnlich hoch wie durch Influenza, Tuberkulose und HIV zusammen. Die Belastung durch die Problemkeime hat sich dabei seit 2007 verdoppelt“, schreiben Professor Evelina Tacconelli von der Universität Verona und Dr. Maria Diletta Pezzani in einem Kommentar zu der Studie (Lancet Infect Dis. 2019; 19: 4).

Sie fordern mehr europäische Kooperationen bei Gegenmaßnahmen. Für Praxen und Kliniken müsse es klar definierte Standards für Antibiotika-Einsätze geben. Die bisherigen Maßnahmen gegen Resistenz-Entwicklungen reichten nicht aus.

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