Computerspiele

Experten warnen vor Suchtgefahr für Kinder

Computerspiele sind Teil der Jugendkultur. Debattiert wird im Kinderzimmer wie unter Experten immer wieder die Frage der Suchtgefahr. Eine aktuelle Umfrage identifiziert Risiko-Gamer.

Veröffentlicht:
Wenn das Spiel zur Sucht wird: Jeder vierte Risiko-Gamer spielt am Wochenende fünf Stunden und mehr am Tag, ergab eine aktuelle Studie.

Wenn das Spiel zur Sucht wird: Jeder vierte Risiko-Gamer spielt am Wochenende fünf Stunden und mehr am Tag, ergab eine aktuelle Studie.

© Anastassiya /stock.adobe.com

BERLIN. Im Umgang mit Computerspielen legen nach Hochrechnungen rund 465.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland ein auffälliges Verhalten bis hin zur Sucht an den Tag. Das geht aus der Studie „Geld für Games“ hervor. Die Studie des Deutschen Zentrums für Suchtfragen (Hamburg) und der Krankenkasse DAK-Gesundheit wurde am Dienstag in Berlin vorgestellt.

Für die Studie wurden tausend 12- bis 17-Jährige zu ihrem Spielverhalten befragt. Die Suchtexperten sehen bei rund 12 Prozent der Teilnehmer Anzeichen riskanten und bei immerhin rund 3 Prozent Anzeichen krankhaften Spielverhaltens auf der Basis US-amerikanischer Diagnosekriterien für das Krankheitsbild Computerspielsucht. Dazu zählen Interessensverlust an früheren Hobbys, ständiges Denken ans Spielen, Entzugserscheinungen, Lügen über das Ausmaß des Spielverhaltens, Kontrollverlust bezüglich der Spieldauer und Gefährdung des eigenen Werdegangs.

Das sind die wichtigsten Ergebnisse von „ Geld für Games“

  • 72,5 Prozent der Jugendlichen in Deutschland spielen regelmäßig Computerspiele wie Fortnite, FIFA oder Minecraft. Das sind mehr als 3 Millionen Minderjährige.
  • Die werktägliche Spielzeit liegt im Schnitt bei zwei Stunden und 14 Minuten, an Wochenenden bei drei Stunden und 33 Minuten.
  • 15,4 Prozent von ihnen, also etwa 465.000, zeigen ein riskantes oder pathologisches Spielverhalten – davon sind 79 Prozent Jungs.
  • Jeder vierte Risiko-Gamer spielt am Wochenende fünf Stunden und mehr am Tag.
  • Einzelne Spieler geben in sechs Monaten bis zu 1.000 Euro aus.
  • 11 Prozent der Risiko-Gamer fehlen innerhalb von einem Monat eine Woche oder mehr in der Schule oder Ausbildung (dreimal mehr als unauffällige Spieler.

Auffälligkeiten bei Risiko-Gamern

In der Gruppe der 465.000 Kinder und Jugendlichen sehen die Forscher mehr Ausgaben für Computerspiele, häufigeres Fehlen in der Schule und mehr emotionale Probleme als bei unauffälligen Spielern.

Ein riskantes Gaming, so Professor Rainer Thomasius vom Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf, kann mit der Vernachlässigung schulischer Verpflichtungen einhergehen. So liege unter Risiko-Gamern der Anteil derer, die in den vorangegangenen vier Wochen eine Woche oder mehr in Schule oder Ausbildung gefehlt haben, mit 10,9 Prozent fast dreimal so hoch wie bei unauffälligen Spielern.

Risiko-Gamer berichteten häufiger über emotionale und Verhaltensprobleme, insbesondere über Ängste und depressive Symptome. Klinisch auffällig zeigten sich 42 Prozent aller Risikogamer im Hinblick auf Hyperaktivität. Dies schlägt sich nieder in Konzentrationsmangel, motorischer Unruhe und Impulsivität. Etwa ein Fünftel aller Gamer berichtet von oppositionellen, regelwidrigen und aggressiven Verhaltensweisen.

Kritik an Lootboxen

„Wenn mehr als 450.000 Jugendliche in Deutschland Gefahr laufen, die Kontrolle über das eigene Computerspielen zu verlieren, dann läuft etwas richtig schief“, erklärte Marlene Mortler (CSU), Beauftragte der Bundesregierung für Drogenfragen. Richtig ärgerlich sei, wenn Jugendliche in einigen Spielen „abgezockt“ würden.

Spielehersteller installierten „dubiose Mechanismen“, um jungen Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen, darunter sogenannte Lootboxen. Das sind Überraschungskisten mit virtuellen Inhalten, die Spieler als Belohnung für erreichte Spielziele oder gegen Bezahlung erhalten.

Gaming-Branche rechtfertigt Spielaufbau

Mortler stuft das als Glücksspiel ein, das Jugendlichen in Deutschland nicht angeboten werden dürfte. „Da müssen die Aufsichtsbehörden einfach ran“, ergänzte sie.

Der Branchenverband Game sieht die Spiele als festen Bestand der Jugendkultur und geht davon aus, dass weniger als ein Prozent aller Spielenden ein ungesundes Nutzungsverhalten entwickelten. Der Verband lehne ein Verbot von Lootboxen weiter ab, sagte Geschäftsführer Felix Falk.

Entscheidende Unterschiede zu Glücksspielen würden in der Debatte übersehen. So enthielten diese Boxen immer einen vorher genannten Umfang an virtuellen Gegenständen und Zusatzinhalten. Lediglich die exakten Inhalte seien nicht bekannt.

„So wie auch bei Panini-Sammelbildern oder Überraschungseiern“, sagte Falk. Der Spieler erhalte immer einen Gegenwert in Form virtueller Inhalte. Ein Verlust des eingesetzten Geldes ist deshalb nach Meinung der Branche ausgeschlossen.

DAK-Chef fordert Warnhinweise

DAK-Vorstandschef Andreas Storm hält dem entgegen: Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass die Spieleindustrie die Aufmerksamkeit der Jugendlichen clever fessele und ihnen auch für vermeintlich kostenlose Spiele mehr und mehr Taschengeld entlocke. Er fordert ein Verbot von Lootboxen. Nötig seien außerdem Warnhinweise für Spielzeiten und Ausgaben. (run/dpa)

So steigern Computerspiele die Suchtgefahr

Als Beispiele für suchtfördernde Spielverläufe nennt das Deutschen Zentrum für Suchtfragen:

  • Open-End: Die virtuellen Welten verändern sich ständig. Es werden neue Spielerlebnisse ohne endgültiges Ziel angeboten.
  • Personalisierung: Games gehen auf Bedürfnisse und Wünsche der Spieler ein und berücksichtigen persönliche Fähigkeiten.
  • Soziale Zugehörigkeit: Ein Teamverbund ermöglicht schnelle Spielfortschritte und schafft Wertschätzung und Anerkennung.
  • Belohnungen für hohes Spielengagement der Gamer.
  • Loot-Boxen: Diese Überraschungskisten gibt es für erfolgreiches Spiel oder gegen Geld. Nutzer werden so an die suchtgefährdenden Mechanismen des klassischen Glücksspiels herangeführt. In Belgien und den Niederlanden sind Loot-Boxen bereits verboten.
  • Virtuelle Währung: Geld intensiviert das Spielerlebnis. Bestimmte Funktionen sind nur im Tausch gegen Geld zu erlangen (In-Game-Käufe). (Quelle: DAK Pressemitteilung)
Mehr zum Thema

Bürokratieabbau in der Praxis

Kinderärzte fordern Abschaffung der Kinderkrankschreibung

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Führen den BVKJ: Tilo Radau (l.), Hauptgeschäftsführer, und Präsident Michael Hubmann im Berliner Büro des Verbands.

© Marco Urban für die Ärzte Zeitung

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“

Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch.

© Rolf Schulten

Interview

Diakonie-Präsident Schuch: Ohne Pflege zu Hause kollabiert das System