MRT-Studie

Traumata in der Kindheit verändern Wahrnehmung

Je ausgeprägter Misshandlungen in der Kindheit sind, desto unangenehmer werden Berührungen empfunden, haben Forscher der Uni Bonn herausgefunden.

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Berührungen wirken bei Personen ohne Misshandlungserfahrung beruhigend – bei Menschen mit Trauma weniger.

Berührungen wirken bei Personen ohne Misshandlungserfahrung beruhigend – bei Menschen mit Trauma weniger.

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BONN. Menschen, die als Kind misshandelt wurden, haben als Erwachsene eine veränderte Reizwahrnehmung.

Das haben Forscher der Uni Bonn herausgefunden: Traumatisierte Personen empfanden in der Studie von Forschern um Ayline Maier Berührungsreize weniger beruhigend als Menschen ohne Traumata.

Zudem entdeckten die Forscher bei den Patienten Veränderungen in der Aktivierung des somatosensorischen Kortex und der posterioren Inselrinde. Des Weiteren hielten traumatisierte Personen zu Unbekannten eine größere soziale Distanz (Am J Psych 2019; online 16. August).

An der Studie nahmen 92 Erwachsene (64 Frauen) mit unterschiedlich schweren Traumata teil, berichtet die Uni Bonn. Voraussetzung war, dass die Teilnehmer weder unter neurologischen Erkrankungen litten noch Medikamente einnahmen, um diese Einflüsse auszuschließen. Die sensorische Wahrnehmung testeten die Wissenschaftler, indem sie mit einer Hand schnell oder langsam über die nackte Haut der Schienbeine strichen.

Berührungen mit Baumwollhandschuh

Zwischenmenschliche Berührungen werden ja über zwei unterschiedliche Nervenfasern in der Haut vermittelt: Aß-Fasern übertragen den sensorischen Reiz und sprechen primär auf schnellere Berührungen an, C-taktile Fasern hingegen übertragen das emotionale Wohlgefühl und werden primär durch langsame Berührungen aktiviert.

Die Testpersonen lagen während der Untersuchung im MRT und konnten den Experimentator nicht sehen, der die Bewegungen vollführte. Dessen Hände steckten in Baumwollhandschuhen, um direkten Hautkontakt zu vermeiden. Nach jeder Messung wurden sie befragt, wie beruhigend die Berührungen empfunden wurden.

Das Team stellte fest: Je ausgeprägter die Misshandlungen in der Kindheit waren, desto unangenehmer wurde die Berührung empfunden und umso stärker reagierten somatosensorischer Kortex und posteriore Inselrinde auf schnelle Berührungen.

Posteriore Inselrinde für Hunger, Durst, Schmerz zuständig

Der somatosensorische Kortex ist im Gehirn bekanntlich in etwa über dem Ohr lokalisiert und registriert, wo eine Berührung stattfindet. „Dieses Areal kodiert haptische Empfindungen und ist an der Vorbereitung und Initiierung von Körperbewegung beteiligt – zum Beispiel daran, das berührte Bein wegzuziehen“, wird Studienautorin Maier in der Mitteilung der Uni Bonn zitiert.

Die posteriore Inselrinde ist ein tief im Gehirn hinter der Schläfe liegendes Areal, das für jegliche Körperwahrnehmung wie Berührung, Hunger, Durst und Schmerz zuständig ist.

Dagegen war der Hippocampus bei langsamen Berührungen deutlich schwächer aktiviert, wenn traumatische Erfahrungen in der Kindheit gemacht worden waren. Die Gehirnstruktur dient bekanntlich der Gedächtnisbildung und speichert negative und positive Assoziationen von Reizen ab.

„Konkret könnte die Aktivität des Hippocampus widerspiegeln, wie belohnend eine Berührung im Experiment empfunden wurde“, erläutert Maier.

Die Forscher stellten auch fest, dass die soziale Distanz bei Traumatisierten im Schnitt zwölf Zentimeter größer war als bei Menschen ohne Traumata.

Chance für neue Therapien?

„Die Resultate zeigen, dass bei Menschen mit traumatischen Erlebnissen in der Kindheit die Wahrnehmung und die sensorische Verarbeitung verändert sind“, fasst Mitautor Dr. Dirk Scheele die Ergebnisse zusammen. Berührungen wirken weniger beruhigend als bei Personen ohne Misshandlungserfahrung.

Wie Kontrolluntersuchungen zeigen, seien dafür nicht die Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Angstattacken verantwortlich, sondern die Traumatisierung selbst.

„Das Ergebnis eröffnet Chancen für neue Therapien: Ergänzende körperbasierte Therapien in einem sicheren Umfeld könnten ein Umlernen dieser Reizverarbeitung ermöglichen“, vermutet Erstautorin Maier. (eb)

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