INTERVIEW

Die Chance, daß ein Tumor plötzlich verschwindet, liegt bei einigen Krebsarten durchaus im Prozentbereich

Krebskranke, bei denen der Tumor ohne erkennbare Ursache plötzlich verschwindet - das kommt selten vor. Bei manchen Tumoren liegen die Chancen für eine Spontanremission jedoch im Prozentbereich, berichtet Dr. Herbert Kappauf aus Starnberg. Kappauf hat zu dem Thema das Buch "Wunder sind möglich" veröffentlicht. Mit dem Onkologen sprach Ruth Ney von der "Ärzte Zeitung".

Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Was war für Sie der Anlaß, sich intensiv mit Spontanremissionen bei Krebspatienten zu beschäftigen?

Kappauf: Angefangen hat es mit der eigenen Beobachtung einer plötzlichen Remission bei einem Mann mit Lungenmetastasen durch Nierenkrebs und damit, daß zunächst Kollegen in der Klinik freundlich lächelten und meinten, ich hätte wohl die Röntgenaufnahmen vertauscht. So wurde ich neugierig, ob bereits über solche Phänomene in der Medizin berichtet wurde und wie oft.

Ärzte Zeitung: Und wie oft kommt es nach ihren Recherchen zu Spontanremissionen?

Kappauf: In der medizinischen Literatur sind weit über 1000 Fälle von Spontanremissionen bei onkologischen Erkrankungen gut dokumentiert.

Ärzte Zeitung: Gibt es eine offizielle Statistik zur Häufigkeit von Spontanremissionen?

Kappauf: Nein, die gibt es nicht. Schätzungen gehen von einer Häufigkeit von 1:60 000 bis 1:100 000 aus. Die Dunkelziffer ist sicher sehr hoch. Das ändert allerdings nichts daran, daß das Phänomen insgesamt selten ist. Bei häufigen Tumoren wie Bronchial-, Magen- und Kolonkarzinome sind Spontanremissionen sogar äußerst selten, bei einigen selteneren Tumoren dagegen relativ betrachtet etwas häufiger.

Ärzte Zeitung: Und bei welchen Krebsarten sind Spontanremissionen häufiger aufgetreten?

 
"Es sind über 1000 Spontanremissionen gut dokumentiert"

Kappauf: Dazu gehören vor allem Nierenzellkarzinome, schwarzer Hautkrebs und maligne Lymphome. Denn hier gibt es systematische Studien, und zwar aus dem einfachen Grund, daß man lange keine tumorspezifischen Therapien zur Verfügung hatte. Einem Behandlungsversuch wurde daher in Studien meist eine Kontrollgruppe ganz ohne Therapie gegenübergestellt. Spontanremissionen konnten so gut auffallen. Genauso sind Spontanremissionen bei Säuglingen mit Neuroblastom seit langem gut bekannt.

Ärzte Zeitung: Sie sprechen nur von Spontanremissionen und nicht von Spontanheilung. Warum eigentlich?

Kappauf: Diese Begriffe werden gerne durcheinander geworfen. Es ist aber wichtig, daß man zwischen ihnen unterscheidet. So ist eine Spontanheilung eine anhaltende Spontanremission. Etwa 80 Prozent der Spontanremissionen sind aber nicht vollständig und nur vorübergehend. Der Tumor beginnt also irgendwann wieder zu wachsen. Spontanremissionen haben - außer bei Kindern mit Neuroblastomen - somit auch nicht immer einen Einfluß auf die Langzeitprognose.

Ärzte Zeitung: Welche Mechanismen werden als mögliche Auslöser für Spontanremissionen bei Krebs diskutiert?

 
"Krebspatienten können viel für ihre Lebensqualität tun"

Kappauf: Diskutiert werden vor allem Abläufe, die zur Zelldifferenzierung und Apoptose führen, sowie Telomerasehemmung und anti-angiogenetische Faktoren, die letztlich auch eine Apoptose der Tumorzellen bewirken. Gerade die Antiangiogenese ist bei soliden Tumoren, die bereits einige Zentimeter Größe erreicht haben, sicherlich etwas ganz Wichtiges. Bei Lymphomen sind eher immunologische Faktoren wichtig, ebenso bei Nierenzellkarzinomen und Melanomen.

Ärzte Zeitung: Gibt es etwas, was man Patienten raten kann, etwa um immunologische Faktoren zu unterstützen?

Kappauf: Es gibt keine konkrete Maßnahme, die gesichert die Chance auf eine Spontanremission erhöht. Die Patienten mit Spontanremissionen, die ich kennengelernt habe, sind zum Beispiel gänzlich unterschiedlich mit ihrer Erkrankung umgegangen. Auch für Mittel, die landläufig zur Stärkung des Immunsystems angepriesen werden, kann seriös keine höhere Wahrscheinlichkeit für eine Spontanremission postuliert werden. So lassen sich auch die wenigsten Krebserkrankungen mit einem geschwächten Immunsystem in Zusammenhang bringen.

Ärzte Zeitung: Was raten Sie dann krebskranken Patienten, die etwas für sich tun möchten?

Kappauf: Für viele krebskranke Patienten ist es entlastend zu wissen, daß sie weniger für den Krankheitsverlauf, um so mehr jedoch für ihre Lebensqualität tun können, etwa täglich ein Spaziergang, eine lang aufgeschobene Reise, oder ein Stammtisch mit Freunden.

Das Buch "Wunder sind möglich" ist im Herder-Verlag Freiburg erschienen und kostet 19,90 Euro.

Lesen Sie dazu auch: Spontanremission - Wunder bei Krebs

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