HINTERGRUND

Häufig Stürze und viele Infekte - wenn ältere Menschen zu wenig essen, haben sie eine schlechte Prognose

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:

Schwerkranke oder alte Menschen sind oft mangelernährt oder haben Anorexie - vor allem in Kliniken. Nach Studien der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) sind 50 Prozent der Krankenhaus-Patienten im Alter über 70 Jahre mangelernährt, von den Jüngeren immerhin 20 Prozent.

Im Vergleich zu normal Ernährten haben Betroffene dabei häufiger Komplikationen wie Infektionen oder Wundheilungsstörungen, sie müssen im Mittel länger im Krankenhaus bleiben und werden häufiger erneut eingewiesen. Bei gleicher Grunderkrankung ist die Sterberate im ersten Jahr nach einem Klinikaufenthalt bei Mangelernährten viermal höher als bei normal Ernährten, wie Professor Herbert Lochs von der Charité in Berlin bei der DGEM-Jahrestagung in München berichtet hat. Mangelernährte alte Menschen haben zudem wegen geschwächter Muskeln ein erhöhtes Risiko für Stürze und Frakturen.

Fragebögen helfen, eine Mangelernährung zu erkennen

Was können Hausärzte tun, um den Ernährungszustand ihrer Patienten zu verbessern? Unterernährung kommt vor allem bei Älteren oft schleichend. Um früh eingreifen zu können, muß daher das Gewicht gefährdeter Patienten regelmäßig kontrolliert werden. Die DGEM empfiehlt bei Verdacht auf Mangelernährung zudem, mit einem standardisierten Fragebogen wie dem Subjective Global Assessment (SGA) den Ernährungszustand zu überprüfen. Dabei werden Gewichtsveränderungen, Eßverhalten, gastrointestinale Symptome und Leistungsfähigkeit erfaßt und die Patienten etwa auf Muskelschwund und Ödeme untersucht. Der Bogen kann von der Internetseite der DGEM heruntergeladen werden (www.dgem.de).

Gründe für Mangelernährung können Zahnprobleme oder Schluckbeschwerden ebenso sein wie Trauer und Einsamkeit oder Appetitmangel bedingt durch Krankheit oder physiologische Veränderungen im Alter.

Oft tragen auch Medikamente zur Mangelernährung bei, wie Dr. Donald R. Noll aus Kirksville in den USA berichtet (Clin Geriatrics 12, 2004, 27). So sind Übelkeit, Verstopfung, trockener Mund, Bauchbeschwerden oder Verwirrtheit unerwünschte Wirkungen vieler Arzneimittel. "Eine Medikamenten-Anamnese und gegebenenfalls eine Umstellung auf Alternativen lohnen sich immer, um bei Patienten gegen Gewichtsverlust vorzugehen", berichtet der Internist. Er rät zum Beispiel bei Depressiven mit Untergewicht zu einer antidepressiven Therapie mit Mirtazapin. Das Medikament kann den Appetit steigern.

Einige Medikamente können auch gezielt verabreicht werden, um den Appetit zu erhöhen. So lohne sich bei alten Menschen mit Untergewicht ein Therapieversuch mit dem Progesteron Megestrol-Acetat (400 bis 800 mg pro Tag), berichtet der Internist. Auch das Cannabinoid Dronabinol habe außer einer antiemetischen und analgetischen Wirkung einen Appetit-anregenden Effekt und führe nach Studienergebnissen etwa bei älteren Demenzpatienten zur Gewichtszunahme. Der Effekt könne jedoch erst nach zwei bis vier Wochen deutlich werden. Noll rät, das Mittel abends zu geben und mit 2,5 mg pro Tag zu beginnen, um das Risiko eines Deliriums zu minimieren.

Grundlage der Behandlung bei Mangel- und Unterernährung ist jedoch die Ernährungstherapie. So empfiehlt die DGEM in ihren neuen Leitlinien unbedingt eine Behandlung bei einem Body-Mass-Index (BMI) unter 20 kg/m2 im Alter ab 70 Jahre, bei jüngeren Patienten bei einem BMI unter 18,5 kg/m2, wenn ein Patient unfreiwillig in den vergangenen drei Monaten fünf Prozent oder in sechs Monaten zehn Prozent seines Gewichts verloren hat.

Multimorbide Kranke brauchen oft Nahrungssupplemente

Reicht zur Kompensation einer Mangelernährung normale Kost nicht aus, dann wird eine enterale Therapie zunächst mit Nahrungssupplementen empfohlen. Gerade multimorbide, gebrechliche alte Menschen sollten Präparate mit hoher Nährstoffdichte erhalten. Werden die Präparate von Patienten nicht akzeptiert, weil sie zu süß oder zu stark sättigend sind, können Pulver, die unter die normale Nahrung gemischt werden verwendet werden. Reicht dies nicht aus, kann eine Sondenernährung weiterhelfen. Die Indikation sollte dabei möglichst früh gestellt werden, empfiehlt die DGEM.



FAZIT

Mangelernährte Patienten über 70 Jahre haben häufiger Infektionen und Wundheilungsstörungen als normal Ernährte und ein deutlich erhöhtes Risiko, innerhalb eines Jahres nach einem Klinikaufenthalt zu sterben. Gründe für die Mangelernährung können Schluckbeschwerden oder Depressionen sein. Auch unerwünschte Arzneiwirkungen können die Appetitlosigkeit verstärken und erfordern die Umstellung auf andere Medikamente. Arzneien wie Megestrolacetat oder Dronabinol eignen sich, um den Appetit zu steigern.

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