BDI-Präsident Spies im Interview

Budgetierung wird zur Gretchenfrage

Ohne ein Aufbrechen der Budgets wird die sektorenübergreifende Versorgung nicht vorankommen, ist sich BDI-Präsident Dr. Hans-Friedrich Spies sicher. Hier werde Gesundheitsminister Spahn handeln müssen. Im Interview erläutert er, wie Alternativen aussehen könnten.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
"Eine Einheitsvergütung ist eine reine Illusion", sagt Dr. Hans-Friedrich Spies, Präsident des Berufsverbands Deutscher Internisten (BDI).

"Eine Einheitsvergütung ist eine reine Illusion", sagt Dr. Hans-Friedrich Spies, Präsident des Berufsverbands Deutscher Internisten (BDI).

© BDI

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Spies, der BDI war der erste Berufsverband, der eine Abkehr von ärztlichen Budgets gefordert hat und das noch unter Gesundheitsminister Hermann Gröhe. Stehen die Chancen für den Wandel unter Minister Spahn besser?

Dr. Hans-Friedrich Spies: Unter Minister Gröhe war das Thema tatsächlich ein Tabu. Bei seinem Nachfolger Jens Spahn gibt es ernst zu nehmende Hinweise, dass sich etwas ändert. Er hat erkannt, dass zumindest die Versorgung von ambulanten Notfällen geregelt werden muss.

Diese Patienten sollen wohl gesondert vergütet werden. Die Gretchenfrage wird sein, ob er dies extrabudgetär oder durch eine Umverteilung der Gelder im Topf der Vertragsärzte finanziert. In einem solchen Fall wäre das ein Schlag ins Wasser.

Die Budgets werden mittlerweile auch von anderen Berufsverbänden als einer der größten Hemmschuhe für die sektorenübergreifende Versorgung gesehen. Warum ist beides so eng miteinander verknüpft?

Dr. Hans-Friedrich Spies

Aktuelle Position: Seit 2016 Präsident des Berufsverbandes Deutscher Internisten e.V. (BDI); seit 2015 Vorstandsmitglied des Spitzenverbands Fachärzte Deutschland e.V.

Werdegang/Ausbildung: Medizinisches Staatsexamen an der Justus-Liebig-Universität Gießen (1969); Weiterbildung zum Internisten mit Schwerpunkt Kardiologie

Karriere: Niederlassung als Internist und Kardiologe mit belegärztlicher Tätigkeit am Bethanien-Krankenhaus (1979-2009) in Frankfurt/Main; 2. Vorsitzender der KV Hessen (1997-2001); 1. Vorsitzender der KV Hessen (2001-2003); Beisitzer im Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (2001-2004); 2. Vizepräsident des BDI (2012-2016)

Spies: Die Budgets lassen sich nur mit einer strikten Sektorengrenze ambulant/stationär umsetzen, weil die Versorgungsebenen selbst sehr unterschiedlich organisiert sind – besonders erkennbar am Leistungsrecht. Der Vertragsarzt darf nur abrechnen, was im EBM steht.

Das Krankenhaus alles, was nicht ausdrücklich verboten ist. Deshalb rührt die Diskussion der Grenze ambulant/stationär an den Grundprinzipien unseres Gesundheitswesens mit seiner Budgetierung.

Wie könnten die Alternativen zu den Budgets konkret aussehen – ohne dass das Gesundheitssystem finanziell an die Wand fährt?

Spies: Das ist eine interessante Frage, weil man bei aller berechtigten Kritik als Berufsverband auch Lösungen vorschlagen sollte. Es gibt mehrere Modelle, wobei die derzeitige Art der Budgetierung auch nach Ansicht von Ökonomen besonders einfallslos ist.

Die Lehre aus ärztlicher Sicht wäre eine Steuerung über eine qualitätsgesicherte Indikationsstellung für diagnostische und therapeutische Leistungen – nach dem Motto, was medizinisch begründet ist, wird bezahlt. Erste Denkansätze gibt es zurzeit im Labor.

Die zweite Variante stellt die ärztliche Leistung frei und budgetiert nur den technischen Anteil der Leistung.

Die dritte schreibt das System insgesamt fort: An der Grenze ambulant/stationär sucht man nach einer gemeinsamen Fallpauschalenlösung, die Grundversorgung würde weiter mit einem dadurch abgespeckten EBM reglementiert bleiben, alles andere stünde ambulanten Zusatzversicherungen offen, mit dem Nebeneffekt, dass der deutsche Patient auch teilweise wieder wirtschaftliche Verantwortung übernehmen würde.

Wäre das nicht auch eine sinnvolle Aufgabe der von der großen Koalition angedachten Kommission, die ein gemeinsames Honorar für PKV und GKV prüfen soll?

Spies: Richtig, ohne eine Regelung der ärztlichen Vergütung ist nichts umsetzbar. Eine Einheitsvergütung ist eine reine Illusion, eine GOÄ würde man immer für Leistungen außerhalb des Systems brauchen. Jeder freie Beruf – und dazu gehören die Ärzte – benötigt eine eigene Gebührenordnung, zumal Ärzte nicht nur gegenüber Patienten, sondern eben auch gegenüber weiteren Institutionen ärztlich liquidieren müssen. Dies wird zurzeit völlig ausgeblendet.

Diese Diskussion gehört aber auch und vor allem in den Ausschuss von Bund und Ländern, der durch die Fraktionen erweitert wird, und der die Grenze ambulant/stationär neu ordnen soll.

Grenzen bestehen nicht nur zwischen Sektoren: Die DGIM hat ihren diesjährigen Kongress unter das Motto "Innere Medizin – Medizin für den ganzen Menschen" gestellt. Wie sieht es mit der Brücke zwischen Fachgesellschaft und Berufsverband aus: Sollten beide für eine ganzheitliche Versorgung noch enger zusammenrücken?

Spies: Das Kongressthema kommt zur rechten Zeit, nicht nur wissenschaftlich, auch berufspolitisch, weil zurzeit versucht wird, die ärztliche Versorgung durch eine Substitution, zum Beispiel bei psychotherapeutischen Leistungen aufzuspalten.

Die wissenschaftliche Gesellschaft und der Berufsverband müssen deshalb zusammen arbeiten, auch weil die Politik und die Selbstverwaltung immer mehr wissenschaftliche Begründungen für ihre ökonomischen Zwänge suchen. DGIM und BDI haben ihre Zusammenarbeit deshalb bereits institutionalisiert.

Ein wichtiges Thema, das gerade auch die Berufsverbände dieses Jahr beschäftigen wird, ist auch die Reform der (Muster-)Weiterbildungsordnung. Wie viele Vorgaben braucht es für eine qualitativ gute Weiterbildung?

Spies: Das Thema ist sehr wichtig und schwierig zugleich. Die neue Musterweiterbildungsordnung geht weniger von definierten Zeiten und Untersuchungszahlen aus als die seitherige. Es geht viel um Kenntnisse und Erfahrungen, alles wird in einem Logbuch festgehalten.

Damit wird mehr Verantwortung bei den Weiterbildern abgeladen. In dieser Situation dürfte die Facharztprüfung wohl mittelfristig an Bedeutung gewinnen und verschärft werden.

Wie wahrscheinlich ist es, dass der Ärztetag hier zu einem Konsens kommt?

Spies: Der Ärztetag wird, wie üblich, nach breiter und detaillierter Diskussion letztendlich zustimmen, auch wenn zwei Big Points nahezu ungeregelt bleiben: Die Definition und Abgrenzung der Fächer untereinander wird bei der neuen Systematik schwieriger werden.

Dies dürfte sozialrechtliche Konsequenzen haben. Und das Problem, wie man bei den derzeitigen Arbeitsschutzregelungen die jetzt schon langen Mindestweiterbildungszeiten einhalten will, ist nicht gelöst.

Es steht auch eine Lockerung des Fernbehandlungsverbotes an. Als Kardiologe ist Ihnen die telemedizinische Versorgung nicht fremd. Wie weit darf eine solche Fernbehandlung Ihrer Meinung nach gehen? Wo liegen die Grenzen?

Spies: Telemedizin hat sich bereits punktuell bewährt. Um in der Kardiologie zu bleiben: Die 90-jährige, gehbehinderte Patientin aus dem Altenheim muss nicht mehr mit dem Krankentransport in die Praxis gefahren werden, nur um dort das Schrittmacheraggregat technisch zu überprüfen.

Der persönliche Erstkontakt oder aber auch eine richtungsweisende Verschlechterung bei bekannter Erkrankung setzt weiter einen persönlichen Kontakt voraus. Schon allein um die Arzt-Patienten-Beziehung aufzubauen oder zu erhalten.

Das können Elemente der Digitalisierung nicht ersetzen. Vieles andere wird durch die Telemedizin sicher erleichtert, so dass das derzeitige Fernbehandlungsverbot gelockert werden muss.

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