IGES-Gutachten

Flächen-Tarif in der Altenpflege kostet Milliarden

Das Ziel der Bundesregierung, die Gehälter in der Altenpflege zu verbessern, könnte teuer werden. Vor allem, weil private Träger, die 40 Prozent des Marktes ausmachen, bislang deutlich unter Tarif zahlen.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Quelle der Datensätze: IGES

Quelle der Datensätze: IGES

© Gina Sanders/ stock.adobe.com | Patrick Seeger / dpa

BERLIN. Die große Koalition hat sich ein großes Ziel gesetzt: „Gemeinsam mit den Tarifpartnern wollen wir dafür sorgen, dass Tarifverträge in der Altenpflege flächendeckend zur Anwendung kommen“, heißt es im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Nun zeigt ein Gutachten des IGES-Instituts für das Bundesgesundheitsministerium, was die Aufwertung aller Gehälter auf ein tarifliches Niveau kosten würde: zwischen 1,4 und 5,2 Milliarden Euro.

Fünf Szenarien hat das IGES erarbeitet, um den zusätzlichen Finanzbedarf zu ermitteln, der sich aus der Differenz der Tarifentgelte und den tatsächlich gezahlten Gehältern (Arbeitgeberbrutto) ergibt. Dabei wurden Daten der Bundesagentur für Arbeit und des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2017 zugrundegelegt.

Teuerste Variante wäre demnach eine Anpassung der Gehälter an den Tarifvertrag im öffentlichen Dienst (TVöD). Hierbei würde ein zusätzlicher Finanzbedarf von 4,7 bis 5,2 Milliarden Euro entstehen. Günstigste Variante wäre hingegen ein regionalisierter Tarif (auf niedrigem Tarifniveau), er würde 1,4 bis 1,6 Milliarden Euro kosten.

Für Gesundheitsminister Jens Spahn bildet das Gutachten eine gute Grundlage, um eine bundesweit gültige Lösung zu finden. Er sagt aber auch: „Klar ist: Egal, wofür wir uns entscheiden – das bedeutet spürbare Mehrkosten. Daher ist ein fairer Ausgleich wichtig, den werden wir in der weiteren Diskussion erarbeiten.“

Dabei trifft die Aufwertung der Gehälter vor allem die privaten Träger. Das hat zwei Gründe: Zum einen ist das Entgeltniveau bei den privaten laut Gutachten deutlich niedriger als bei den anderen Trägern. Zum anderen arbeiteten fast 43 Prozent – also die Mehrheit – der 759.106 Menschen, die im Jahr 2017 in der ambulanten oder stationären Altenpflege tätig waren, für einen solchen privaten Träger.

28 Prozent waren für einen kirchlichen, 24 Prozent für einen freigemeinnützigen rund fünf Prozent für einen öffentlichen Träger tätig. Die einzelnen Szenarien im Überblick:

Bundesweiter Mindesttarif

Über alle Bundesländer hinweg würde ein einheitlicher Mindesttarif gelten. Das würde laut IGES-Gutachten auch die zum Teil noch bestehenden Entgeltunterschiede zwischen Ost und West ausgleichen.

  • Szenario 1 – Anpassung an TVöD: 88 Prozent der Altenpfleger würden von dieser Angleichung profitieren, damit würde eine Entgelterhöhung in voller Breite stattfinden. Die Anpassung würde wie gesagt 4,7 bis 5,2 Milliarden Euro kosten, wobei allein die privaten Träger einen Finanzbedarf von 3,1 bis 3,5 Milliarden Euro hätten, die kirchlichen Träger hingegen nur von 484 bis 561 Millionen Euro. Eine Pflegefachkraft würde dann brutto bis zu 3625 Euro/Monat verdienen, eine Pflegehilfskraft 3186 Euro/Monat. Bei dieser Variante zeigt sich auch das Ost-West-Gefälle der Gehälter deutlich: Denn obwohl etwa in Bayern nahezu doppelt so viele Pflegekräfte arbeiten wie in Sachsen, übersteigt der Finanzbedarf in Sachsen mit seinen bis zu 608 Millionen Euro den in Bayern mit seinen bis zu 492 Millionen Euro deutlich.
  • Szenario 2 – Anpassung an Tarif der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Bayern: Fast die Hälfte des Finanzbedarfs, der zwischen 3,1 und 3,6 Milliarden Euro liegt, verteilt sich auf die neuen Bundesländer. Auch hier liegt der höchste Finanzbedarf mit 2,3 bis 2,6 Milliarden Euro bei privaten Trägern. Da viele Beschäftigte bei kirchlichen Trägern bereits heute höher entlohnt werden, als der der AWO-Tarif vorsieht, würde sich der Finanzbedarf kirchlicher Träger im Vergleich zum Szenario 1 um 50 Prozent reduzieren. Der Rückgang des Finanzbedarfs der übrigen Träger liegt im Vergleich hingegen nur bei 30 Prozent.
  • Szenario 3 – Gestaffelter Mindestlohn: Diese Variante orientiert sich in der Staffelung an den Tarifen aus Szenario 1 und 2, die unterste Stufe für Hilfskräfte entspricht etwa dem gesetzlichen Mindestlohn in westdeutschen Pflegeeinrichtungen in 2017. Eine Pflegefachkraft würde in diesem Szenario brutto bis zu 3200, eine Hilfskraft bis zu 2500 Euro/Monat verdienen. Insgesamt entsteht ein Finanzbedarf von 1,6 bis 1,98 Milliarden Euro, davon allein 1,3 bis 1,6 Milliarden Euro bei privaten Trägern.

Regionaler Tarif

Es wird ein regionalisierter Mindesttarif mit dem jeweiligen Bundesland als Bezugsgröße geschaffen. In Szenario 4 orientiert sich die Anpassung an der tariflichen Entlohnung kirchlicher Träger. Dadurch würde bundesweit ein Finanzbedarf von immerhin 3,5 bis 4 Milliarden Euro entstehen, da die Tarifwerke kirchlicher Träger nach dem Gutachten ein vergleichsweise hohes Tarifniveau aufweisen.

Aber auch die kirchlichen Träger müssten 242 bis 315 Millionen Euro zusätzlich aufbringen. Der höchste Finanzbedarf nach Regionen besteht bei diesem Szenario in Nordrhein-Westfalen mit bis 599 Millionen Euro, gefolgt von Niedersachsen mit bis zu 593 Millionen Euro.

Den niedrigsten Finanzbedarf hätte noch vor den Stadtstaaten Bremen (bis zu 49 Millionen Euro) und Hamburg (bis zu 65 Millionen Euro) das Saarland mit bis zu 48 Millionen Euro. Berlin käme auf einen Finanzbedarf von bis zu 182 Millionen Euro.

Im finanziell günstigsten Szenario 5 werden die durchschnittlichen bezahlten Entgelte freigemeinnütziger Träger als Referenz herangezogen. Hier beliefe sich der zusätzliche Finanzbedarf auf 1,4 bis 1,6 Milliarden Euro. Etwa 80 Prozent des Gesamtfinanzbedarfes würde dabei in westdeutschen Bundesländern anfallen, besonders betroffen wären Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen.

Große Unterschiede

  • Beschäftigte in der Altenpflege verdienen deutlich weniger als Klinik-Pflegekräfte.
  • 600 Euro/Monat beträgt der Unterschied im Mittel. Das zeigt ein Gehaltsvergleich der Hans-Böckler-Stiftung.

Lesen Sie dazu auch: Studie bestätigt: Große Gehaltsunterschiede in der Pflege

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