„Digitale Versorgung“-Gesetz

Entwurf mit analogen Krücken?

Kassen, Ärzteverbände, aber auch die Industrie schreiben Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) noch einiges ins Lastenheft bei seinem E-Health-Gesetz II. Das spiegelt sich in diversen Stellungnahmen zur Verbändeanhörung wider.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Ein Plus für die Versorgung? Laut Verbänden weist der Referentenentwurf für das „Digitale Versorgung“-Gesetz erhebliche Mängel auf.

Ein Plus für die Versorgung? Laut Verbänden weist der Referentenentwurf für das „Digitale Versorgung“-Gesetz erhebliche Mängel auf.

© santiago silver / stock.adobe.com

BERLIN/KÖLN/BONN. Anlässlich der Verbändeanhörung zum „Digitale Versorgung“-Gesetz (DVG) am Montag hagelte es Kritik am Referentenentwurf inklusive Änderungsvorschläge aus den unterschiedlichsten Richtungen. Im Fokus stehen dabei die digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA).

 Pars pro toto begrüßt der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa) zwar die Absicht von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), den Einsatz telemedizinischer Methoden auszuweiten, hegt aber Bedenken bezüglich deren Einsatzes im Versorgungsalltag.

Die Stellungnahmen im Einzelnen

  • Der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa) stellt die Frage, ob der Einsatz im Versorgungsalltag schon ganz durchdacht ist: Es „erfolgt jedoch keine Qualitätskontrolle, inwieweit die telemedizinische Diagnostik oder Behandlung dem persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt gegenüber gleichwertig ist“, verdeutlicht SpiFa-Hauptgeschäftsführer Lars F. Lindemann in seiner Stellungnahme. Somit setze sich der telemedizinisch tätige Arzt einem unbegrenzten und, wie der SpiFa betont, derzeit von seiner Berufshaftpflicht nicht abgesicherten Haftungsrisiko aus. Mögliche juristische Streitfälle könnten die Folge sein, warnen die Fachärzte – und die wiederum könnten der Telemedizin insgesamt einen negativen Ruf bescheren. „Hier sollte unbedingt nachgebessert werden, um Rechtssicherheit zu schaffen“, so Lindemanns Plädoyer. Positiv beurteilt der SpiFa, dass der Gesetzgeber telemedizinische Leistungen zusätzlich und damit außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung fördern will. „Noch besser wäre allerdings, die extrabudgetäre Vergütung nicht auf einen Zeitraum von insgesamt zwei Jahren zu begrenzen und den entsprechenden Passus im Gesetzesentwurf zu streichen“, so Lindemann. Die Budgetierung ärztlicher Leistungen führe stets zu Verwerfungen zwischen den unterschiedlichen Fachgruppen und zu Wartezeiten in der vertragsärztlichen Versorgung, ergänzt er.
  • Der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hatte bereits Ende vergangener Woche Stellung bezogen. Ihr ist insbesondere der neue SGB-V-Pragraf 68b („Förderung von Versorgungsinnovationen“) ein Dorn im Auge. Sie versteht ihn insofern als „Kriegserklärung“ an die Ärzteschaft, als darin auch eine Patientensteuerung durch die Kostenträger angelegt ist. Wörtlich heißt es in dem Entwurf: „Im Rahmen der Förderung von Versorgungsinnovationen können die Krankenkassen ihren Versicherten Informationen und Angebote zu individuell geeigneten Versorgungsmaßnahmen unterbreiten“.
  • Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) stößt sich unter anderem daran, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Referentenentwurf die Aufgabe zugewiesen bekommt, „zu prüfen, welche DiGA ‚positive Versorgungseffekte‘ aufweisen und daher GKV-Leistung werden. Dieser Plan ist nicht zielführend“, heißt es in einer Stellungnahme. „Wir schlagen vor, dass ein Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung anstelle des BfArM die in § 139e vorgesehenen Aufgaben übernimmt. Im Grundsatz kann das geplante Verzeichnis digitaler Gesundheitsanwendungen in Struktur und Organisation eng an das bereits etablierte Vorgehen beim Hilfsmittelverzeichnis angepasst werden“, so das IQWiG weiter. Das IQWiG kritisiert des Weiteren, wie bereits unter anderem von der Diagnostikaindustrie moniert, dass im Referentenentwurf lediglich DiGA mit Medizinprodukten der Risikoklassen I und IIa („Niedrigrisikobereich/nichtärztliche DiGA) abgedeckt sind. Für Anwendungen mit Medizinprodukten der Risikoklassen IIb und III („Hochrisikoanwendungen/ärztliche DiGA“) bliebe somit nur der – im schnelllebigen digitalen Zeitalter aus IQWiG-Sicht nicht angemessene Weg in die Kostenerstattung über den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA). Das IGWiG regt dementsprechend an, „für ärztliche DiGA eine schnellere Bewertung zu ermöglichen. Konkret bietet es sich an, die etablierten Prozesse aus dem AMNOG-Verfahren für Arzneimittel und dem Verfahren nach §137h SGB V für Hochrisiko-Medizinprodukte adaptiert zu übernehmen“, heißt es in der Stellungnahme. Für die Anbieter digitaler Gesundheitsanwendungen könne so eine „One-size-fits-all-Bewertung“ ermöglicht werden, wirbt das IQWiG für sein Ansinnen.
  • Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) mahnt, in puncto DiGA die Herstellerbelange – bei den Anbietern handelt es sich in den meisten Fällen um Start-ups und andere kleine sowie mittelständische Unternehmen – nicht außer Acht zu lassen. „Nur, wenn dafür eine Refinanzierung über die GKV erfolgt, ist sichergestellt, dass der Aufwand der Hersteller digitaler Anwendungen angemessen vergütet wird und damit wirtschaftlich zu erbringen ist.“ von BAH-Seite.
  • Der Verband der Ersatzkassen (vdek) lobt zunächst, dass durch eine schnellere Implementierung digitaler Lösungen wie Apps und der elektronischen Patientenakte (ePA) mehr Schwung in die Versorgung komme. Naturgemäß loben die Kassen – im Gegensatz zur KBV – die Pläne, dass sie ihren Versicherten künftig neue digitale Versorgungskonzepte anbieten dürfen sollen. Positiv sei, dass die verpflichtenden Inhalte der ePA durch Daten zum Impfausweis, Zahn-Bonus-Heft, U-Untersuchungen und Medikationsplan bereits zum März 2021 erweitert werden sollen. „Damit die ePA und die weiteren medizinischen Anwendungen wie elektronische Verordnungen im Versorgungsgeschehen flächendeckend ankommen, sollten auch weitere Leistungserbringer wie Logopäden und Ergotherapeuten zügig einbezogen und an die Telematikinfrastruktur angebunden werden“, fordert der vdek.
  • Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) macht sich indes stark für die Anbindung der Zahntechniker an die Telematikinfrastruktur, um für die intensive Kommunikation zwischen Praxen und Dentallaboren künftig auf sichere Übermittlungsverfahren zurückgreifen zu können. Außerdem möchte die Zahnärzteschaft stärker im DVG berücksichtigt werden. „Aus Sicht des Berufsstandes wäre es zum Beispiel wünschenswert, bestimmte Regelungsbereiche wie digitale Gesundheitsanwendungen oder Telekonsile auch auf den vertragszahnärztlichen Bereich auszuweiten“, so KZBV-Chef Dr. Karl-Georg Pochhammer.
  • Die Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds) bemängelt unter anderem zu viele Freiheiten, die das DVG – zumindest im Stadium des Referentenentwurfes – der gematik in puncto § 291e Interoperabilitätsverzeichnis einräume. „Durch die Aufhebung von Satz 6 gibt es keine Vorgaben mehr, ob und wie die gematik mit den Stellungnahmen der Experten umzugehen hat. Schon bisher berücksichtigte die gematik die Stellungnahmen eher nicht oder sie konnte den Experten nicht darstellen, wie sie die Stellungnahmen berücksichtigte. Diese Vorgaben müssen daher bestehen bleiben“, so die gmds.

Die wichtigsten Punkte des DVG

  • Vertragsärzte werden verpflichtet, Gesundheitsdaten auf Nachfrage in einer E-Akte zu speichern.
  • Videosprechstunden sollen Alltag werden. Ärzte sollen dafür auch werben dürfen.
  • Telekonsile zwischen Ärzten sollen extrabudgetär vergütet werden.
  • Die Telematikinfrastruktur soll zügig ausgebaut werden – auch Apotheken und Krankenhäuser sollen schnell angeschlossen werden.
  • Gesundheits-Apps sollen von Vertragsärzten verordnet werden können.
  • TI-Verweigerern drohen Sanktionen (Honorarkürzungen um 2,5 Prozent).
  • Krankenkassen sollen ihren Mitgliedern neue digitale Versorgungsangebote machen dürfen.

Lesen Sie dazu auch: KV Nordrhein bleibt skeptisch: „Das DVG hat es in sich“ KBV: Digitalisierung nicht den Kassen überlassen

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Digitale Positionsbestimmung

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